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Verbindung mehrerer Organ-Chips mit verschiedenen Gewebetypen  μOrgano Lab
Verbindung mehrerer Organ-Chips mit verschiedenen Gewebetypen μOrgano Lab

Der klassische Weg der Medikamentenentwicklung führt meist nicht am
Tiermodell vorbei. Dabei erschwert die begrenzte Übertragbarkeit der
Ergebnisse oft die Suche nach geeigneten Wirkstoffen. Denn entweder werden
diese aufgrund von Nebenwirkungen zu früh ausgeschlossen, oder aber sie
zeigen im Menschen nicht die erhoffte Wirkung. Es wird an In-vitro-
Testsystemen, basierend auf humanen Zellen und Geweben gearbeitet, um
diese Vorhersagekraft zu verbessern. Daher entwickelt das NMI in
Reutlingen künftig, gemeinsam mit akademischen und industriellen Partnern,
ein Testsystem, das Tumor und Immunsystem simuliert.

Herausforderung – Krebstherapie

Krebs gilt weltweit als eine der häufigsten Todesursachen. Obwohl
Forschende immerzu neue Therapieansätze entwickeln, schaffen es nur halb
so viele Wirkstoffkandidaten bis zum Patienten wie dies bei Medikamenten
der Fall ist, die der Behandlung anderer Krankheiten dienen. Das liegt vor
allem daran, dass die Arzneimittel zuerst im Tiermodell getestet werden,
sich die Immunsysteme unterschiedlicher Spezies jedoch stark voneinander
unterscheiden. Dabei spielen gerade Immuntherapeutika eine zunehmende
Rolle bei der Behandlung von Krebserkrankungen.

Interdisziplinäre Suche nach dem passenden In-vitro-Testsystem

Der Einfluss des Immunsystems ist einer der Gründe, aus denen sich das
NMI, gemeinsam mit der Universität Tübingen und den Unternehmen Miltenyi
Biotec B.V. & Co. KG und LaVision BioTec GmbH, der Entwicklung eines In-
vitro-Testsystems widmet, das Tumore und deren Interaktion mit dem
umliegenden Gewebe besser abbildet. Bei dem zu entwickelnden Modell
handelt es sich um einen Multi-Organ-Chip, wobei man unter Organ-on-Chip-
Technologien generell In-vitro-Testsysteme versteht, die menschliche
Gewebe in mikrofluidische Chips integrieren und Miniorgane imitieren.
Werden mehrere dieser Chips mit verschiedenen Gewebetypen miteinander
verbunden, lässt sich die Interaktion zwischen den Geweben und Zellen,
beispielsweise Tumor und Immunzellen, untersuchen. „Gerade für die
Entwicklung von Immuntherapien ist die Möglichkeit, humane Gewebe und
Immunzellen zu integrieren, von entscheidender Bedeutung“, erklärt
Jun.-Prof. Dr. Peter Loskill, Leiter des μOrgano Labors an der Universität
Tübingen, „denn indem wir die Interaktion von Tumor und Immunsystem
beobachten können, diese Einheiten also nicht länger getrennt voneinander
betrachten, steigt auch die Chance, wirksame Therapeutika zu
identifizieren.“ Auch das Problem der Übertragbarkeit von Ergebnissen von
einer Spezies auf eine andere soll der neue Ansatz lösen.

Ziel: Entwicklung eines Multi-Organ-Chips

Das neue Organ-on-a-Chip-Testsystem soll dabei nicht nur ein
Lymphknotenmodell mit Tumormodellen verbinden, auch die direkte Umgebung
des Tumors wird auf dem Chip nachgebildet werden. Außerdem soll die
Plattform dahingehend optimiert werden, dass die Immunzellen frei
zirkulieren können. Eine Beobachtung dieser Vorgänge mittels nicht-
invasiver Bildgebung soll darüber hinaus möglich werden. Bei der Umsetzung
dieses Vorhabens greifen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch
auf Erkenntnisse vorhergehender Forschungsprojekte zurück. „Am NMI befasst
sich eine ganze Forschungsgruppe mit aus Patientengewebe abgeleiteten
Mikrotumoren. Das sind dreidimensionale Gewebestücke, die sowohl aus
Tumorzellen, als auch aus Bestandteilen des angrenzenden Gewebes wie
extrazelluläre Matrixproteine bestehen“ erklärt Prof. Dr. Katja Schenke-
Layland, Direktorin des NMI. „Kombiniert mit dem Wissen der
Projektpartner, kann die Entwicklung des Multi-Organ-Chips gelingen und
die Entwicklung innovativer Krebstherapien entscheidend vorangetrieben
werden.“
Gefördert wird das Projekt durch das HOPE-Programm von Wellcome Leap über
die Dauer von drei Jahren mit insgesamt 3,434 Millionen US Dollar.

Über das NMI

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der
Universität Tübingen ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und
betreibt anwendungsorientierte Forschung an der Schnittstelle von Bio- und
Materialwissenschaften. Es verfügt über ein einmaliges, interdisziplinäres
Kompetenzspektrum für F&E- sowie Dienstleistungsangebote für regional und
international tätige Unternehmen. Dabei richtet sich das Institut
gleichermaßen an die Gesundheitswirtschaft sowie Industriebranchen mit
werkstofftechnischen und qualitätsorientierten Fragestellungen wie
Fahrzeug-, Maschinen und Werkzeugbau.

Das Forschungsinstitut gliedert sich in drei Geschäftsbereiche, die durch
ein gemeinsames Leitbild miteinander verbunden sind: Die Suche nach
technischen Lösungen erfolgt stets nach höchsten wissenschaftlichen
Standards. Im Geschäftsfeld Pharma und Biotech unterstützt das NMI die
Entwicklung neuer Medikamente mit biochemischen, molekular- und
zellbiologischen Methoden. Der Bereich Biomedizin und
Materialwissenschaften erforscht und entwickelt Zukunftstechnologien wie
die personalisierte Medizin und Mikromedizin für neue diagnostische und
therapeutische Ansätze. Im Fokus des Dienstleistungsangebotes steht für
Kunden die Strukturierung und Funktionalisierung von Werkstoffen und deren
Oberflächen. Im Geschäftsfeld Analytik und Elektronenmikroskopie werden
analytische Fragestellungen beantwortet.

Über die Landesgrenzen hinaus ist das NMI für sein Inkubatorkonzept für
Existenzgründer mit bio- und materialwissenschaftlichem Hintergrund
bekannt.
www.nmi.de

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der
Universität Tübingen wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und
Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg unterstützt und ist Mitglied der
Innovationsallianz Baden-Württemberg, einem Zusammenschluss von 13
außeruniversitären und wirtschaftsnahen Forschungsinstituten.
www.innbw.de