Pin It

Zum Tag des Hörens am 3. März: Akustik- und Musikinstrumentenforschung in
der Zuse-Gemeinschaft trennt Klang vom Krach

Berlin, 26. Februar 2021. Sei es Sprache oder Musik: Ob ein Klang zum
einen als verständlich, zum anderen als angenehm empfunden wird, hängt
nicht nur von der Lautstärke, sondern auch davon ab, in welchem Umfeld der
Laut ertönt. Forschende der Zuse-Gemeinschaft arbeiten erfolgreich daran,
das individuelle Hörerleben mit evidenzbasierten Methoden zu bewerten und
daraus Schlüsse für verbesserte Akustik zu ziehen, sowohl fürs Hören des
Individuums wie auch für Gemeinschaftserlebnisse wie Konzerte.

Geselligkeit fehlt vielen Menschen während der Corona-Schließungen am
meisten. Doch gerade das Gespräch in großer Runde macht Menschen mit
Hörschwäche oft die größten Probleme beim Verstehen von Sprache. In der
angewandten Wissenschaft hat sich für das Herausfiltern der Information
aus dem Begleitlärm der Begriff der subjektiven Höranstrengung etabliert.
Die HörTech gGmbH, Institut der Zuse-Gemeinschaft, hat jetzt einen Test
etabliert, der diese subjektive Höranstrengung mit einem neuen Verfahren
objektiviert. Unter dem Namen ACALES wurde es, gefördert vom
Bundeswirtschaftsministerium, in der angewandten Forschung für die
Bereitstellung bei Hörakustikern entwickelt, wo Patienten es bereits
nutzen können.

Nutz- und Störgeräusche in Abständen variiert
ACALES mutet zunächst wie ein gewöhnlicher Hörtest an. Die Patienten
bekommen über Lautsprecher Sätze zum Hörverständnis vorgespielt, bei denen
die sogenannten Nutzgeräusche, also die Informationsbestandteile, mit
Störgeräuschen versetzt sind. Das Besondere: Bei der nun erfolgenden
Messung der subjektiven Höranstrengung werden Nutz- und Störgeräusche
basierend auf den Bewertungen der Patienten in einem individuellen Abstand
variiert. Dafür markieren die Patienten per Tablet oder Smartphone auf
einer 14-stufigen Skala, die von „mühelos“ bis „extrem anstrengend“
reicht, wie anstrengend es war, dem Sprecher der Sätze zu folgen. Auf
dieser digitalen Datenbasis erstellt die ACALES-Software eine Auswertung
der individuellen subjektiven Höranstrengung. Diese mentale Hörlast
beschreibt den zu betreibenden Aufwand, um trotz der Störgeräusche Sprache
zu verstehen.

Individueller Test für einen Massenmarkt
„Das Gehirn kann Störgeräusche als Sinneswahrnehmung nicht ignorieren,
versucht solche Geräusche aber auszublenden. Diese Anstrengung ist
physiologisch durch EEG-Verfahren messbar, die auch subjektiv für den
Nutzer wahrgenommen wird. „Diese subjektiv empfundene mentale Last
erfassen wir mit ACALES“, erläutert HörTech-Forscherin Melanie Krüger, die
an der Entwicklung federführend beteiligt war. Wissenschaftlich
abgesichert ist ACALES durch medizinische Tests. „Die Ergebnisse
korrelieren mit EEG-Messungen, die wir parallel durchgeführt haben“,
erklärt Krüger. Nicht nur über Gehirnstrommessungen wie das EEG, auch über
die Erfassung der Absonderung von Stresshor-monen und über die Veränderung
der Pupillengröße ist die Höranstrengung bereits messbar. ACALES
vereinfacht und beschleunigt das bisherige Vorgehen mit einer völlig neuen
Methode radikal und macht die Messung der subjekti-ven Höranstrengung
alltagstauglich. Das ist wichtig auch für das Gesundheitssystem, denn die
Zahl der in Deutschland abgesetzten Hörgeräte ist in den letzten Jahren
stetig gestiegen, und zwar laut Angaben des Branchenverbandes BVHI auf
knapp 1,5 Millionen Stück im Jahr 2019. Für den Vergleich von Hörgeräten
und den ihnen zugrunde liegenden Algorithmen erhalten Patienten mit der
HörTech-Innovation einen digitalen Helfer, der dem individuellem Bedarf
und Empfinden gerecht werden soll und Patienten wie auch Hörakustiker bei
der Auswahl eines optimalen Hörgerätes unterstützt.

„Akustischer Fingerabdruck“ ermittelt
Was sich gut anhört, empfindet jeder Mensch anders. Das gilt auch für die
Musik. Jedoch hat die Akustik für eine Objektivierung des Hörerlebnisses
eine Reihe von Kriterien entwickelt. Worauf es bei deren Anwendung
ankommt, weiß man am Institut für Musikinstrumentenbau (IfM) im
vogtländischen Zwota, wo die angewandte Forschung schon seit 70 Jahren
Untersuchungen zu den Klangeigenschaften von Musikinstrumenten durchführt.
Um die klangliche Qualität, die durch Konstruktion, das eingesetzte
Material und handwerkliche Details entstehen, isolieren und bewerten zu
können, wurden im IfM für jedes Instrument objektive Untersuchungsmethoden
entwickelt. Hierfür werden die Instrumente künstlich im reflexionsarmen
Raum angeregt, welcher keine Schallreflexionen erzeugt. Das abgestrahlte
Schall-Signal wird mittels Frequenzanalyse messtechnisch erfasst und im
Ergebnis entsteht der individuelle „Akustische Fingerabdruck“. Hieraus
werden Attribute wie Bassbereich, Volumen, Klarheit und Helligkeit
berechnet. „Ziel sollte ein ausgewogenes Verhältnis dieser Bereiche sein,
um zu einem möglichst ausgeglichenen Klang der Instrumente zu gelangen“,
erklärt IfM-Geschäftsführer Holger Schiema.

Darüber hinaus hat der Raum mit seiner Akustik einen erheblichen Einfluss
auf den Klangeindruck. Verantwortlich hierfür ist die sogenannte
Nachhallzeit des Raumes, welche beispielsweise in der Dresdner
Frauenkirche bei bis zu 5 Sekunden und in der Dresdner Semperoper bei 1,6
Sekunden liegt. Die Räume sind hier so gestaltet worden, dass sie
akustisch die jeweiligen Instrumente und Musikwerke optimal unterstützen.

Psychoakustik: Im Spannungsfeld von Schall und Hörereignis
Neben der Berücksichtigung solcher Effekte ist auch das subjektive
Hörempfinden für die IfM-Forschenden ein wichtiger Faktor: „Was der Mensch
hört, ist nicht unbedingt das, was wir messen können. Denn auf dem Gebiet
der Psychoakustik bewegen wir uns im Spannungsfeld von Schall als
Hörereignis und messbarem physikalischem Phänomen“, so Schiema.
Bewertungskriterien in der Psychoakustik sind Attribute wie Lautheit,
Offenheit, Rauhigkeit und Schärfe. Ein Ergebnis der Bewertung kann
beispielsweise der sogenannte Wohlklang sein. Bei allen akustischen
Kriterien, mit denen Holger Schiema und sein Team Musikinstrumente und
deren Wirkung im Raum mit digitalen und anderen Werkzeugen beurteilen,
steht für den Akustikexperten fest: „Den größten Einfluss auf den Klang
der Instrumente haben die Musizierenden selbst.“

„Innovationen aus der Zuse-Gemeinschaft schaffen Mehrwert u.a. für
Gesundheits-, Kultur- und Kreativwirtschaft. Diese benötigen wir, auch um
gestärkt aus der Corona-Krise zu kommen“, erklärt der Geschäftsführer der
Zuse-Gemeinschaft, Dr. Klaus Jansen.

Originalpublikation:
https://www.zuse-gemeinschaft.de/presse/pressemitteilungen