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Anne-Marie Sust (links) entwickelte für ihre Abschlusskollektion innovative und umweltfreundliche Farbpasten auf Mikroalgenbasis. Bei der Entwicklung unterstützte sie Dr. Vanessa Homburg (rechts).  Patrick Pollmeier
Anne-Marie Sust (links) entwickelte für ihre Abschlusskollektion innovative und umweltfreundliche Farbpasten auf Mikroalgenbasis. Bei der Entwicklung unterstützte sie Dr. Vanessa Homburg (rechts). Patrick Pollmeier

Mode und nachhaltige Materialien – eine interdisziplinäre Masterarbeit an
der FH Bielefeld: Anne-Marie Sust entwickelte für ihre Abschlusskollektion
innovative und umweltfreundliche Farbpasten auf Mikroalgenbasis. Bei der
Entwicklung unterstützte sie die Arbeitsgruppe „Fermentation und
Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“. Die Arbeit wurde jetzt für den
„Green Concept Award“ nominiert.

Bielefeld (fhb). Bis ein T-Shirt bei uns im Kleiderschrank liegt, hat es
oft eine lange und umweltschädliche Reise hinter sich. Bereits bei der
Produktion der Baumwollfasern werden enorme Mengen an Wasser und
Pestiziden eingesetzt. 200 Tonnen Wasser werden für das Färben und
Veredeln von einer Tonne Textilien benötigt. Hinzu kommt: Diverse
chemische Stoffe werden zum Färben und Bedrucken eingesetzt. Viele davon
sind giftig, einige sogar krebserregend und die meisten stammen aus
fossilen Ressourcen. [i] Geht das anders?

Ein Raum am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld: Auf
einem großen Holzschrank stehen Kleiderpuppen, an den Wänden gegenüber
sind bunte Skizzen und Notizen angeheftet. An einer Kleiderstange hängen
T-Shirts und Hoodies mit hellblauen Aufdrucken, dazwischen ein auffälliger
Jeans-Overall mit detailliertem Print. Bei den Kleidungsstücken handelt es
sich um die Abschlusskollektion von Anne-Marie Sust, Modestudentin an der
FH Bielefeld. Die Kleidungsstücke hat sie nicht nur selbst entworfen und
genäht, alle Stoffe hat sie auch bedruckt. Doch beim Betreten ihres
Arbeitsraums steigt einem nicht der bekannte beißende Farbgeruch in die
Nase. Denn die Grundlage für die blaue Farbe auf den Kleidungsstücken sind
Mikroalgen.

2.700 Liter Wasser für ein konventionelles T-Shirt

Eigens für ihre Abschlussarbeit entwickelte Anne-Marie Sust innovative
Mikroalgenfarben zum Bedrucken von Textilien. Unterstützung erhielt sie
dabei von der Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulierung von Zellen und
Wirkstoffen“ des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik. Doch
bis dahin war es ein langer Weg mit Versuchen und Experimenten.

Warum der Aufwand? Ein wesentlicher Motivationsgrund für Anne-Marie Sust
war der nachhaltige Aspekt: „Aktuelle Herstellungs- und Färbeverfahren der
Modebranche sind auf die Verwendung von nicht nachhaltigen Textilien und
hochverschmutzenden Farbstoffen ausgerichtet. Allein für die Herstellung
eines neuen T-Shirts benötigt man 2.700 Liter Wasser.“ Diesen Status quo
findet die Studentin schlecht und überlegte sich alternative
Möglichkeiten. Für ihre Kollektion verwendete sie Second-Hand Stoffe sowie
biologische und fair gehandelte Naturstoffe.

Aus dem Laborkolben auf den Stoff

Ortswechsel: Wir befinden uns im Labor für Verfahrenstechnik, dem
Wirkungsbereich von Dr. Vanessa Homburg von der Arbeitsgruppe
„Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“ unter der
Leitung von Prof. Dr. Anant Patel. Statt Schneiderpuppe und Nähmaschine
sind hier Mikroskop und Inkubator die täglichen Arbeitsgeräte. Dr. Vanessa
Homburg hat im Bereich Mikroalgen promoviert und unterstütze Anne-Marie
Sust bei der Umsetzung ihrer Idee.

Um zu verstehen, wie die nachhaltige blaue Farbe auf den Stoff kommen
kann, muss man erst einmal begreifen, was Mikroalgen eigentlich sind.
Homburg: „Bei Mikroalgen handelt es sich um mikroskopisch kleine
Organismen, die genau wie Pflanzen in der Lage sind, Photosynthese zu
betreiben, sich also im wesentlich aus Licht und CO2 zu ernähren. Um das
Licht nutzen zu können und sich gleichzeitig vor den schädlichen
Auswirkungen von zu viel UV-Licht zu schützen, nutzen sie Moleküle.“ Genau
diese Moleküle nimmt das menschliche Auge als farbig wahr.

Grundpaste macht Farbstoff robuster

Als Dr. Vanessa Homburg und Prof. Dr. Anant Patel vom Projekt der
Modestudentin hörten, waren sie sofort fasziniert von der Idee, das breite
Spektrum der Mikroalgen auch abseits ihrer eigenen Versuchen zu nutzen:
„Ich war mir sicher, dass es möglich ist, Mikroalgen zum Färben zu
verwenden, bin aber aufgrund meiner Erfahrungen davon ausgegangen, dass
diese Idee nicht so einfach umzusetzen sei.“ Doch die Skepsis verflog
schnell: Bereits bei der ersten vermuteten „Hürde“, dem Austausch der
konventionellen petrochemischen Pigmente gegen die Mikroalgen-basierten
Pigmente gab es keine Probleme. „Wir waren ehrlich gesagt überrascht, dass
wir eine Farbpaste herstellen konnten, ohne dass die Mikroalgen
beispielsweise verklumpen oder sich direkt entfärben“, so Homburg.

Auch die Sorge, dass die Farben unter UV-Einwirkung sehr schnell
ausbleichen, war unbegründet. Dies liegt unter anderem an einer speziellen
Grundpaste, die bereits UV-Schutzmittel enthält. Anne-Marie Sust hat die
Methode der Fixierung auf dem Stoff in vielen Versuchsreihen optimiert, um
die Stabilität des Drucks gegenüber Abrieb (z.B. bei Berührung) oder beim
Waschen zu erhöhen. „Die genaue Zusammensetzung bleibt aber mein
Betriebsgeheimnis“, so die Absolventin.

„Good Design grows better with Age“

Zurück im Arbeitsraum in der Lampingstraße: Gegenüber der Kleiderstange
hängt das „Visionboard“ von Anne-Marie Sust mit Fotos von
Kleidungsstücken, Farbpaletten und Laboren. Dazwischen der Spruch „Good
Design grows better with Age“ (Gute Designentwürfe werden mit der Zeit
besser). Ein wichtiger Ansatz für die Arbeit.

Die Mikroalgen, die Sust und Homburg für den Farbstoff verwenden, sind
getrocknet, leben also nicht mehr. Daher können einmal durch Licht
zerstörte Moleküle nicht neu produziert werden – die Farben verschwinden
bei Sonneneinstrahlung.  Sust: „Ziel meiner Arbeit ist es, den
Betrachtenden für Vergänglichkeit und Nachhaltigkeit der Kleidung zu
sensibilisieren. Die Entscheidungen, wie der oder die Tragende mit den
lebenden Mikroalgenprints umgeht, liegt an ihr oder ihm selbst. Dadurch
werden organische Prozesse und deren Vergänglichkeit zur Ästhetik
erhoben.“

Interdisziplinäre Zusammenarbeit an der FH Bielefeld

Initiiert wurde die Kooperation von Prof. Dr. Anant Patel, Leiter der
Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“
und Vizepräsident für Forschung, Entwicklung, Transfer, und von Prof.
Philip Rupp, Verantwortlicher für das Lehrgebiet Kollektionsgestaltung und
Modedesign. Patel: „Durch Kooperationen dieser Art tritt das immense
Forschungspotenzial unserer Hochschule im Bereich der Nachhaltigkeit zum
Vorschein. Außerdem erweitert die Zusammenarbeit den Horizont aller
Beteiligten über den eigenen Forschungsbereich hinaus.“ Eine Ansicht, die
Prof. Rupp teilt: „Wir ebnen die Wege für fachbereichsübergreifenden
Kooperationen im Interessen unserer Studierenden und können so gemeinsam
ganz neue Techniken entwickeln und ausprobieren.“

Viel Forschungspotential für nachhaltigere Verfahren
Übrigens, für Sust sind die blauen Farbtöne der Kollektion ein bewusster
Hinweis auf die Wassermengen, die für die Produktion von konventioneller
Kleidung benötigt werden. Allerdings sind mit dem entwickelten Verfahren
auch andere Kolorierungen möglich, denn Mikroalgen gibt es in den
unterschiedlichsten Farben. Sust und Homburg haben sich bei dem Projekt
zunächst auf Mikroalgen beschränkt, die bereits für den Einsatz in
Lebensmitteln zugelassen sind und daher auch in einem größeren Maßstab
hergestellt werden können.

Spannend ist die Frage, ob das Verfahren auch für eine Massenproduktion
geeignet ist. Dr. Vanessa Homburg: „Dafür stellt die große Menge der
benötigten Mikroalgen-Pigmente noch eine Herausforderung dar. Auch muss
noch untersucht werden, ob eine technische Qualität der Mikroalgen
anstelle der von uns verwendeten Lebensmittel-Qualität ausreichend ist.
Dies wäre nötig, um den Preis der Farben zu senken.“

Viel (Forschungs-)Potenzial also für alternative und umweltfreundlichere
Druckverfahren. Für Anne-Marie Sust sind diese in der Modebranche
allerdings unverzichtbar: „Wir müssen sowohl mit unseren Kleidungsstücken
als auch mit unseren Ressourcen viel bewusster umgehen.“ Einen ersten
Schritt in diese Richtung hat sie gemeinsam mit Vanessa Homburg mit ihrer
Modekollektion getan.

Green Concept Award 2022 und Dutch Design Week

Die Masterarbeit ist nun für den „Green Concept Award“ nominiert worden.
Mit dem Green Concept Award zeichnet der Green Future Club jedes Jahr
Konzepte für nachhaltige Materialien, Produkte und Services aus, die noch
nicht auf dem Markt sind. Noch bis Ende Januar kann auf folgender Webseite
für die Arbeit abgestimmt werden: https://www.gp-award.com/en/produkte
/why-colours-matter
.

Mit ihrer innovativen Kollektion war Anne-Marie Sust außerdem auf der
„Dutch Design Week“ (DDW)“ im Oktober 2021 in Eindhoven vertreten. Unter
dem Thema „The Greater Number“ forderte das größte Designfestival
Nordeuropas einen kritischen Blick auf unsere Art zu produzieren und zu
konsumieren.