Pin It

Fraunhofer IWS löst mit Partnern Industrialisierungsproblem der Hersteller

Weltweit ist er täglich millionenfach im Einsatz: Als portables Labor im
Miniformat zeigt der Corona-Antigen-Schnelltest aktuell deutlich, welches
Potenzial in Lab-on-chip-Systemen steckt. Die Analyse binnen weniger
Minuten, die er ermöglicht, ist gerade in der Pandemie von immenser
Bedeutung. Immer mehr solcher medizinischer Kleinstsysteme kommen in der
Diagnostik zum Einsatz. Bei komplizierteren Testsystemen sind Entwicklung
und Herstellung jedoch mit hohen Kosten verbunden. Im Forschungsprojekt
SIMPLE-IVD entwickeln Forschende des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff-
und Strahltechnik IWS zusammen mit mehreren Partnern neue
Fertigungsverfahren und Methoden für die kosteneffiziente Produktion von
Schnelltest-Kartuschen.

Lab-on-Chip-Systeme sind nur wenige Zentimeter klein, vereinen aber auf
dieser geringen Fläche diverse Funktionalitäten, wie sie in der
Vergangenheit nur gut ausgestattete Labore erlaubten. »Gerade in der
personalisierten Medizin werden sie in Zukunft eine bedeutende Rolle
spielen«, erwartet Dr. Frank Sonntag, Abteilungsleiter Biosystemtechnik
und Digitalisierung Fraunhofer IWS. Geringste Mengen an Flüssigkeiten aus
Patientenproben lassen sich vollkommen automatisch analysieren. Die
einfache Handhabung ermöglicht künftig zudem eine patientennahe
Labordiagnostik. Zwar wurden in den vergangenen Jahren in der ganzen Welt
verschiedene Lab-on-chip-Systeme entwickelt. Davon kam jedoch nur ein
kleiner Teil auf den Markt. »Die Hürde ist die Skalierung der im
Labormaßstab entwickelten Tests für die Massenproduktion«, erklärt er. Das
Fraunhofer IWS entwickelte eine Lösung für diese Probleme bei der
Industrialisierung.

Einmal Planen für gleich mehrere Verfahren

Im Mittelpunkt des Projekts »Skalierbare Mikrofertigung polymerer In-
Vitro-Diagnostik-Systeme« (SIMPLE-IVD) stehen die In-Vitro-Diagnostik-
Kartuschen (IVD-Kartuschen) für die Schnelltests. »Für den Weg von der
Kleinserie hin zu großen Stückzahlen fehlen aktuell noch prototypische
Produktionsprozesse«, erläutert Florian Schmieder vom Fraunhofer IWS, der
das Projekt koordiniert. Bei der Herstellung im Labor kommen unter anderem
Verfahren der additiven Fertigung oder die Multilagenlamination zum
Einsatz, also der Aufbau in Schichten aus Polymerfolien, die für die
Serienfertigung in Spritzguss oder Rolle-zu-Rolle-Verfahren umgesetzt
werden würden. »Bisher mussten Hersteller für die Skalierung in ein
anderes Verfahren noch einmal ganz von vorn beginnen«, erklärt der
Wissenschaftler der Gruppe Mikro- und Biosystemtechnik.

Sein Team hat nun eine Lösung für diese Problematik gefunden, indem es
spezielle Designregeln entwickelt und erprobt hat. Mit deren Hilfe können
Produzenten bereits in der Planungsphase für die IVD-Kartuschen
Anforderungen für verschiedenste Herstellungsverfahren sowohl der
Prototypenentwicklung als auch für Klein- und Großserien in ihre
Konstruktion einbeziehen. Für mehrere klassische Herstellungstechnologien
haben die Wissenschaftler des Fraunhofer IWS solche Designregeln bereits
gestaltet. Dazu gehören neben Spritz- und Vakuumguss auch die
Multilagenlamination, das Tiefziehen sowie mehrere additive Verfahren.
»Künftig werden wir die Palette stetig erweitern«, blickt Schmieder
voraus. Dabei ließen sich mit Kunden schnellstmöglich auch Lösungen
entwickeln, die genau zu deren Anforderungen passen. Auch eine
Rücktranslation von Groß- in Kleinserien wäre praktisch möglich.
Interessant seien die Designsets nicht nur für die Hersteller von IVD-
Kartuschen. »Es gibt aktuell zahlreiche Biotechnologie-Start-ups, die
genau solche Möglichkeiten brauchen«, erläutert Schmieder.

Weltweit einzigartige Lösung spart Zeit und Kosten

Großer Vorteil der innovativen Methode: Prototypen und Kleinserien können
schneller als bisher in industrielle Lösungen umgesetzt werden. Lab-on-
chip-Systeme erreichen somit schneller Marktreife und stehen Anwendern
zügiger zur Verfügung. »Wir können die Zeit, die bisher dafür notwendig
war, mit unserer weltweit einzigartigen Lösung nahezu halbieren«, macht
der Forscher des Fraunhofer IWS deutlich. Das alles reduziert die Kosten
im Herstellungsprozess.

Alle am Projekt beteiligten Unternehmen erproben und validieren die
Designregeln. »Die im Verbundprojekt SIMPLE-IVD entwickelten
Translationstechnologien helfen uns als Hersteller innovativer
Blutseparationstechnologien neue Produkte schnell und kosteneffizient vom
Prototypen zum fertigen Serienprodukt zu entwickeln«, unterstreicht auch
Dr. Wilhelm Gerdes, CSO bei der Cell.Copedia GmbH aus Leipzig, die
bisherigen Ergebnisse. Weitere Beteiligte sind die Microfluidic ChipShop
mbH aus Jena und die beiden Dresdner Unternehmen GeSIM Gesellschaft für
Silizium-Mikrosysteme sowie die Michael Sander Kunststofftechnik GmbH.
Finanziert wird SIMPLE-IVD durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung.

Bis zum Projektende im Jahr 2022 sollen die Ergebnisse in einen
universellen Datensatz übersetzt werden. »Wir wollen mit verschiedenen
Verfahren funktional gleichwertige IVD-Kartusche herstellen«, erklärt
Florian Schmieder die Hintergründe. Ziel ist es, mit unterschiedlichen
Methoden die gleiche hohe Qualität der Endprodukte zu erreichen, die in
der Anwendung identische Ergebnisse ermöglichen. Maßgeschneiderte IVD-
Tests ermöglichen im Gesundheitswesen ein individuelles und permanentes
Screening von Erkrankungen. »Unser neuartiges Verfahren ermöglicht es, den
Markt für das frühzeitige Erkennen von Krankheiten zu erschließen, die
aktuell im Rahmen der gesetzlichen Vorsorgeleistungen aus Kostengründen
nicht abgedeckt werden können«, fasst Frank Sonntag zusammen. Auch der
Einsatz für diagnostische Home-Care-Anwendungen in der häuslichen Pflege
oder in Pflegeeinrichtung wäre denkbar.