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Ein Stör wird in der Havel ausgewildert.  Philipp Freudenberg
Ein Stör wird in der Havel ausgewildert. Philipp Freudenberg

Sie haben in den letzten 250 Millionen Jahren seit ihrer Entstehung einige
dramatische Veränderungen überlebt, aber mittlerweile sind sie die am
stärksten bedrohte Tiergruppe der Welt – die Störe. Bis vor kurzem gab es
noch 27 Arten, nun nur noch 26: Der Chinesische Löffelstör gilt seit der
letzten Bewertung der Internationalen Naturschutzunion (IUCN) vom Juli
dieses Jahres als ausgestorben. Für die verbleibenden Störarten hat sich
die Situation seit der Bewertung von 2010 deutlich verschlechtert. Dr.
Jörn Gessner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
(IGB) war federführend in die Erstellung der IUCN Roten Liste eingebunden.

Die Internationale Naturschutzunion, kurz IUCN, ist die globale Instanz
für die Bewertung des Zustands der Natur und die zu ihrem Schutz
erforderlichen Maßnahmen. Sie hat mehr als 1 400 Mitgliedsorganisationen
und wird von rund 15 000 Experten unterstützt.

Die IUCN hat am 21. Juli 2022 die aktualisierte Fassung der Roten Liste
veröffentlicht, auch die Bewertung zum Status der Gruppe der Löffelstöre
und Störe (Acipenseriformes), die von Vertretern der Sturgeon Specialist
Group unter der Federführung von IGB-Forscher Dr. Jörn Gessner und Dr.
Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-
IZW) erarbeitet wurde. „Seit der letzten Bewertung in 2010 hat sich die
Situation allgemein verschlechtert. Eine Art, der Chinesische Löffelstör
(Psephurus gladius) ist bereits als ausgestorben zu betrachten. Eine
weitere Art kommt nur noch aufgrund von Besatzmaßnahmen vor, sie gilt als
,in freier Wildbahn ausgestorben‘. Für acht Arten ist der Zustand
kritischer als bei der Bewertung von 2010. Der Zustand von 17 Arten blieb
unverändert kritisch, und der Zustand einer Art, die immer noch als
kritisch eingestuft wird, hat sich verbessert“, resümiert IGB-Forscher
Jörn Gessner das Ergebnis.

In Europa und Asien ist der Rückgang am dramatischsten:

Der Jangtse-Stör oder Dabry-Stör (Acipenser dabryanus) der im Jangtse-
Fluss in China beheimatet ist, wurde von „vom Aussterben bedroht" auf „in
freier Wildbahn ausgestorben" hochgestuft, da die Tiere zwar noch in ihrem
ursprünglichen Lebensraum  vorkommen, aber nur noch aus Besatzprogrammen
stammen und in den letzten 20 Jahren keine natürliche Vermehrung mehr
beobachtet wurde. Nur 22 verbleibende Individuen (11 Männchen und 11
Weibchen) des Chinesischen Störs (Acipenser sinensis) waren an dem letzten
nachgewiesenen natürlichen Laichvorgang im Jahr 2015 beteiligt, wie eine
genetische Untersuchung ergab.

Auch in Europa ist die Situation dramatisch: Alle acht vorkommenden Arten
sind als „gefährdet" oder „vom Aussterben bedroht" eingestuft. Der
Glattdick (Acipenser nudiventris) war früher im Schwarzmeer Einzugsgebiet
weit verbreitet. Heute kommt die Art nur noch in einer kleinen
Restpopulation in Georgien vor und wurde in der Donau für ausgestorben
erklärt.

Einige Störarten halten sich nur dank frühzeitiger Schutzprogramme:

Aber es gibt auch kleine Zeichen der Hoffnung. Die Funde junger
Adriatischer Störe (Acipenser naccarii) in einem norditalienischen Fluss
deutet darauf hin, dass sich nach über 30 Jahren der Hilfsmaßnahmen
mittlerweile Tiere natürlich fortpflanzen. Daher wurde diese Art von „in
freier Wildbahn ausgestorben“ auf „vom Aussterben bedroht“ zurückgestuft.
Auch die jüngste Wiederentdeckung von Jungtieren des Glattdicks (Acipenser
nudiventris) im Rioni-Fluss in Georgien, der zuvor im Schwarzmeerbecken
als ausgestorben galt, könnte die Rettung des Schwarzmeer-Genotyps dieser
Art ermöglichen, wenn rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden.

Rückschläge für die Wiederansiedlung in der Elbe:

Die in Deutschland früher heimischen Europäischen Störe (Acipenser sturio)
und Baltischen Störe (Acipenser oxyrinchus) breiten sich zwar in ihren
Einzugsgebieten wieder aus, hier fehlen aber noch Nachweise der
Eigenreproduktion, damit sich ihr Status nach den IUCN-Kriterien
verbessern kann. Aktuell stammen alle Tiere in Elbe und Oder aus
Besatzmaßnahmen. Das sollte sich aber schon in den kommenden Jahren
ändern, wenn, wie in der Elbe schon geschehen, die ersten
geschlechtsreifen Rückkehrer aufkommen und sich ohne menschliche Hilfe
vermehren. Aber auch dann wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Bestände
ausreichend robust sind. Hilfsmaßnahmen wie Besatz, aber auch
Verbesserungen der Lebensräume werden weiterhin unabdingbar sein.
Denn noch immer sind die Lebensraumbedingungen schwierig für das Überleben
der Fische. So sind in diesem Sommer einige Exemplare des Europäischen
Störs in der Elbe wegen Sauerstoffmangel verendet. Für Jörn Gessner ein
schwerer Schlag: „Das waren die ersten Rückkehrer aus unserem
Wiederansiedlungsprojekt, über 1,5 Meter groß und über 10 Jahre alt, die
hätten die erste Generation von Wildfischen seit 1964 hervorbringen
sollen“.

Im Allgemeinen befinden sich die Arten in Nordamerika in einer weniger
dramatischen Lage.  Hier wurden Schutzprogramme und andere
Bewirtschaftungsmaßnahmen eingeleitet, bevor viele der natürlichen
Populationen vom Aussterben bedroht waren.  Aber selbst in diesen Fällen
verschlechterte sich der Zustand der Bestände im Vergleich zur Bewertung
von 2010 aufgrund von Änderungen der Kriterien, die die IUCN für die
Bewertung ansetzt.

Kaviargewinnung ist aktuell nicht das Hauptproblem:

„Die Ursachen für den Rückgang der Störe und Löffelstöre sind allesamt dem
Menschen zuzuschreiben, wobei die Hauptursachen die Überfischung, die
Fragmentierung der Flüsse und die Verschmutzung sind.  Die Überfischung
war früher hauptsächlich auf die Jagd nach Kaviar zurückzuführen und ist
heute nicht mehr der Hauptfaktor", erklärt Jörn Gessner. Kaviar, einst das
Nahrungsmittel der Armen und ohne Wert, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts
in Westeuropa zum Luxusgut. Heute ist die Störfischerei praktisch überall
verboten, und die etwa 500 Tonnen Kaviar, die jedes Jahr weltweit legal
produziert werden, stammen von Zuchttieren. Die legale Fischerei ist daher
keine Bedrohung mehr, und die verbleibende Wilderei beschränkt sich auf
einige wenige Gebiete, wo sie den oft nur noch kleinen Restpopulationen
aber noch schweren Schaden zufügt.

Wanderrouten der Störe sind unterbrochen:

Heutzutage ist die Fragmentierung ihrer Lebensräume und insbesondere der
Flüsse, in denen sie sich vermehren sollen, die Hauptursache für den
Rückgang der Störe und Löffelstöre. Die meisten Störarten sind anadrom,
das heißt sie leben als erwachsene Tiere in den Küstengebieten und im Meer
und wandern zum Laichen in ihre Heimatflüsse. Die Dämme, die seit den
1950er Jahren in großer Zahl gebaut werden, verhindern ihre Wanderungen zu
den angestammten Laichplätzen und verändern die Ökologie der Flüsse
tiefgreifend, wodurch die Fortpflanzung dieser Arten stark eingeschränkt
wird. „Es ist zum Beispiel kein Wunder, dass der chinesische Löffelstör
ausgestorben ist, denn sein Lebensraum war der Jangtse. Der Lauf des
Jangtse wurde erst den Gezhouba-Damm, der 1981 gebaut wurde, und
anschließend durch den gigantischen Drei-Schluchten-Damm, der 2006
fertiggestellt wurde, völlig verändert. Heute sind weitere Dämme im Mittel
und Oberlauf des Flusses hinzugekommen.  Diese Dämme unterbrechen die
Wanderroute zu den Laichplätzen dieser ikonischen Art und die
Stauhaltungen vernichten ihre Futterplätze“, sagt Jörn Gessner.

Auch die Wasserverschmutzung hat sich negativ auf Störe und Löffelstöre
ausgewirkt, ebenso wie die Einführung gebietsfremder Arten, die in einigen
Fällen mit den Stören und Löffelstören konkurrieren oder sie verdrängen,
wie im Fall des Europäischen Welses (Silurus glanis) in Italien und
Frankreich.