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DBUgoesBrussels zum Pflanzenschutz mit (von links) Klaus Jongebloed, Alexander Bonde, Keynote-Sprecher Dr. Klaus Berend, Maria Noichl, Dr. Maximilian Hempel, Siv Biada sowie Ralf Schulz.  Lea Kessens/DBU
DBUgoesBrussels zum Pflanzenschutz mit (von links) Klaus Jongebloed, Alexander Bonde, Keynote-Sprecher Dr. Klaus Berend, Maria Noichl, Dr. Maximilian Hempel, Siv Biada sowie Ralf Schulz. Lea Kessens/DBU

DBUgoesBrussels: Intensive Debatte zur Pestizidvermeidung
Die Verringerung oder gar Vermeidung von Pestiziden für
mehr Umwelt- und Biodiversitätsschutz bleibt in der Europäischen Union
(EU) oben auf der Agenda – trotz eines Anfang Februar vorerst
gescheiterten Gesetzentwurfes der EU-Kommission. „Das Thema ist garantiert
nicht vom Tisch“, sagte gestern (Montag) Abend Keynote-Sprecher Dr. Klaus
Berend von der EU-Kommission in einer Veranstaltung der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt (DBU). In der Reihe DBUgoesBrussels, dieses Mal in
Kooperation mit der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU
in Brüssel, fügte der Direktor für Lebensmittelsicherheit, Nachhaltigkeit
und Innovation der Generaldirektion Sante hinzu: „Die seit 2009 bestehende
Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln gilt
weiter und ist umzusetzen.“

Dürftiges Zeugnis für EU-Länder bei der Umsetzung der Europäischen
Pflanzenschutzrichtlinie

Eine jahrelange, teils von Polemik und Parteischarmützeln geprägte Debatte
über einen Gesetzentwurf der EU-Kommission von 2022 zur nachhaltigen
Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (engl. Sustainable Use Regulation,
kurz SUR) war Anfang Februar vorläufig zum Stillstand gekommen, als
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den SUR-Entwurf zurückzog.
Zuvor hatte bereits das EU-Parlament im November 2023 den
Verordnungsvorschlag der EU-Kommission abgelehnt. Im DBUgoesBrussels unter
dem Titel „Spagat Pflanzenschutz: Wie die Sicherung von Nahrung und Natur
gelingt“ machte Berend klar, dass die Richtlinie von 2009 – die eigentlich
durch die SUR ersetzt werden sollte – nach dem SUR-Aus „jetzt natürlich
weiter gilt“. Und zwar mit durchaus strengen Regeln. Der Haken allerdings
laut Berend: Auf Basis der 2009-Richtlinie hätten längst nationale
Aktionspläne (NAP) von den EU-Mitgliedstaaten in weitaus größerem Maß zur
Anwendung kommen sollen, als dies bisher geschehen sei. Berend wies auf
einen Kommissionsbericht aus dem Jahr 2020 zur Evaluierung der NAP-
Umsetzung hin – mit einem eher dürftigen Zeugnis für die EU-Länder. „Das
war ein nicht so gutes Ergebnis“, so Berend. „Nicht zufriedenstellend war
zum Beispiel die Anwendung des sogenannten integrierten Pflanzenschutzes.“
Also einer Kombination verschiedener Verfahren, um den Einsatz chemischer
Pflanzenschutzmittel auf ein Mindestmaß zu reduzieren, um Mensch, Tier und
Umwelt besser zu schützen.

Bonde: Alle innovativen Möglichkeiten zum Pestizid-Ersatz nutzen

DBU-Generalsekretär Alexander Bonde sieht eine doppelte Herausforderung:
„Es gibt einerseits massive Umweltprobleme durch Pestizideinsatz;
andererseits besteht gleichzeitig die Notwendigkeit für Pflanzenschutz zur
Nahrungsmittelproduktion.“ Das Thema auszublenden, sei aber „die
schlechteste Option“. Bonde weiter: „Es gilt, alle innovativen
Möglichkeiten zu nutzen, um Pestizide zu ersetzen.“ Er wies in dem
Zusammenhang auf eine DBU-Förderinitiative zur Pestizidvermeidung mit
vielen Praxisbeispielen hin – und zudem ein seitens der DBU gefördertes
Vorhaben mit einer Weltneuheit: Am Ende des Projekts stand der weltweit
erste Maispflücker zur Verfügung, der bereits während des Ernteprozesses
die Maisstoppeln bis zum Wurzelansatz auffasern kann – alles mit einem
Ziel: dem Kampf gegen den Maiszünsler. Denn laut Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen vernichten die
Maiszünsler-Raupen global rund vier Prozent der jährlichen Maisernte.
Durch die mechanische Aufbereitung von Ernteresten, also das Zerkleinern
von Maisstroh und -stoppeln, wird dem Maiszünsler das Winterquartier
entzogen, er kann sich so erst gar nicht ausbreiten.

Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft

Eine mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und
Landwirtschaft besetzte Gesprächsrunde ließ beim DBUgoesBrussels keinen
Zweifel daran, dass ein Nicht-Handeln beim nachhaltigeren Pflanzenschutz
fahrlässig wäre. „Wir brauchen allerdings für einen politischen Neustart
von Anfang an ein gemeinschaftliches Denken und Agieren im Umwelt- und
Agrarbereich“, sagte etwa die Europaabgeordnete Maria Noichl von der
S&D-Fraktion. Noichl, zugleich Vorsitzende des Deutschen Verbands für
Landschaftspflege, haderte indes mit Berends Hinweis auch auf neue
genomische Verfahren als Teil der Lösung. Die Parlamentarierin warnte, das
könne dazu verleiten, erst gar nicht nach anderen Auswegen zur
Pestizidvermeidung zu suchen.

Umweltwissenschaftler Schulz mahnt aussagekräftige Indikatoren an

DBU-Abteilungsleiter Dr. Maximilian Hempel setzte insbesondere „auf
kreative innovative Lösungen“ und nannte als Beispiel das von der DBU
geförderte Projekt einer im Freiland eingesetzten sogenannten
Nützlingsrollwiese der Staatsschule für Gartenbau in Stuttgart-Hohenheim:
Die Wiese wird vorkultiviert, um pünktlich zur Pflanzung kurzstehender
Kulturen wie Kopfsalat wie ein Rollrasen im Fußballstadion ins Salatfeld
platziert zu werden, damit Nützlinge Schädlinge wie vor allem Blattläuse
vertilgen können. Ralf Schulz, Professor für Umweltwissenschaften an der
Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau, legte
für künftige Verhandlungen über Pestizid-Reduktionsziele allen Akteurinnen
und Akteuren besonders eine Empfehlung ans Herz: „Wir benötigen sinnvolle
Indikatoren und müssen vor allem unterscheiden zwischen Menge und Risiko.
Die Reduzierung von Mengen bringt womöglich für die Umwelt nichts.“
Mindestens ebenso entscheidend sei die Toxizität eines Wirkstoffs. Siv
Biada schließlich, selbst Landwirtin und Leiterin des Internationalen
Pflanzenbauzentrums der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG),
verlangte mehr Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern. „Ob
Quotenregelungen oder Steuermodelle: Es muss auf jeden Fall berücksichtigt
werden, dass es in Europa einheitliche Handhabungen gibt, die Flexibilität
und Planungssicherheit garantieren und einen fairen Wettbewerb
gewährleisten.“ Trotz derzeit gescheiterter SUR ist für sie jedoch klar,
„dass man sich zu Recht mit dem Thema weiter intensiv auseinandersetzt“.