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Prof. Dr. Jens Kai Perret lehrt am Campus Köln der ISM Statistik und Volkswirtschaft. Er ist Senatsmitglied und im Team Nachhaltigkeit der privaten Wirtschaftshochschule.
Prof. Dr. Jens Kai Perret lehrt am Campus Köln der ISM Statistik und Volkswirtschaft. Er ist Senatsmitglied und im Team Nachhaltigkeit der privaten Wirtschaftshochschule.

Wenn Lebensmittel mit dem sogenannten Nutri-Score gekennzeichnet sind,
entscheiden sich Käufer anders – so das Ergebnis einer Studie der ISM
unter Leitung von Prof. Dr. Jens Kai Perret. Auch wenn Experten aus der
Lebensmittelindustrie den Nutri-Score in seiner Funktion kritisch
beurteilen, denken die Befragten vor der Kaufentscheidung bei Produkten
mit Siegel eher darüber nach, ob ein Produkt gesund ist als ohne
Kennzeichnung. Nahezu ein Viertel entscheidet sich aufgrund des Nutri-
Scores für das vermeintlich gesündere Lebensmittel. Alter und Geschlecht
spielen keine Rolle.

Die guten Vorsätze vom Jahreswechsel sind zumindest noch im Hinterkopf
etlicher Verbraucher. Darunter ist der allseits beliebte Vorsatz, jedes
Jahr wieder eine gesündere Ernährung bzw. Lebensweise anzustreben. Und wer
sich darum keine Sorgen macht, möchte spätestens beim Thema Figur wieder
Fitness bis zum Sommer an den Tag legen.
Dabei spielt die Ernährung eine große Rolle.

Auch die Politik beschäftigt sich bereits seit Jahren damit, die
Bevölkerung bei einer gesünderen Lebensweise zu unterstützen. So soll bis
2025 der Anteil von Zucker, Fett und Salz in vielen Fertigprodukten
reduziert werden. Zu diesem Zweck wurde in Deutschland im Jahr 2020 der
Nutri-Score eingeführt, ein sogenanntes Front-of-Package Label, das
mittels einer fünfstufigen Farb- und Buchstabenskala einen Überblick über
die Nährwertbewertung eines Produkts geben soll. Aber welchen Einfluss hat
eine solche Kennzeichnung auf das Kaufverhalten der Konsumenten?

Nutri-Score hilft bei der Ernährungswahl

Die Studie unter Leitung von Prof. Jens Kai Perret zeigt klar: Das Siegel
beeinflusst die Kaufentscheidung in Richtung gesünderer Produkte. Bei der
Befragung wurde 296 Probanden ein Fragebogen mit insgesamt 24 Fragen
vorgelegt. Vorab wurden sie gefragt, ob sie den Nutri-Score kennen. Drei
von vier der Befragten (73 Prozent) gaben an, das Label bereits zu kennen
und über seine Bedeutung Bescheid zu wissen. Ergebnis der Befragung: Die
Teilnehmer legen offensichtlich Wert auf eine gesunde Ernährung. Sie
wählen das bessere bzw. gesündere Produkt, wenn sie die Bewertung über den
Score vorliegen haben (23,6 Prozent). Weder Geschlecht noch Alter haben in
diesem Fall einen signifikanten Einfluss auf die Kaufabsicht.
„Die Ergebnisse legen nahe, dass der Nutri-Score es schafft, die deutsche
Bevölkerung in ihren Ernährungsgewohnheiten deutlich zu beeinflussen, und
externe Studien belegen, dass er dies auch wesentlich besser vermag als
vergleichbare Front-of-Package-Label – die vereinfachte
Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite verpackter Lebensmittel“,
resümiert Perret.

Kennzeichnet der Nutri-Score wirklich gesunde Lebensmittel?

In einer weiteren Interviewstudie mit 23 Experten aus der
Lebensmittelindustrie und Konsumenten aus unterschiedlichen Generationen
wird die tatsächliche Relevanz des Nutri-Score als Kennzeichnung gesunder
Lebensmittel hinterfragt. Gerade Industrieexperten sprechen dem Nutri-
Score zwar eine Signalwirkung zu, betonen allerdings ganz deutlich die
Breite der Optionen, die sich Unternehmen bieten, um darauf Einfluss zu
nehmen und ein gutes Rating zu erzielen. So könnte daraus eine Art
Nutritional Greenwashing werden.
Nicht jedes mit einem guten Nutri-Score ausgezeichnete Produkt ist also
auch automatisch gesund. Ein genauer Blick auf die Inhaltsstoffe lohnt.
Umgekehrt ist nicht jedes Produkt mit einem mittleren Nutri-Score
automatisch schlecht.

Nutri-Score – eine Option für die Ernährungspolitik in Zentralamerika?

In Westeuropa ist die Kennzeichnung von Lebensmitteln durch den Nutri-
Score, ausgehend von Frankreich, bereits etabliert. Aber wie sieht es auf
dem amerikanischen Kontinent aus, zumal hier wesentlich mehr Menschen
unter Fettleibigkeit leiden als in Europa? In Belize zum Beispiel ist bald
jeder Dritte fettleibig, laut Angaben der Regierung aus dem Jahr 2023.

Das nahmen die Forscher der ISM als Basis für eine weitere qualitative
Studie über die Akzeptanz des Nutri-Scores in Belize – aufbauend auf der
Studie mit deutschen Teilnehmern. Gerade die Größe dieses kleinen Staates
erlaubt es, bereits mit kleinen Stichproben einen breiteren Teil der
Bevölkerung abzubilden. Es wurden elf Interviews mit Teilnehmern aus
verschiedenen Berufsgruppen geführt, die zeigten, dass ein allgemeines
Interesse an gesunder Ernährung vorhanden ist. So gaben zehn von elf
Befragten an, dass gesunde Ernährung eine wichtige Rolle in ihrem Leben
spiele, ungesunde Lebensmittel aber oft einfacher zugänglich seien. Ein
gesunder Lebensstil mit Sport und gesunder Ernährung ist den meisten nach
eigenen Angaben zwar wichtig, bei der Auswahl von Lebensmitteln
entscheiden die Befragten dann aber nach Verfallsdatum und Preis.

Die schnell erfassbare Farbgestaltung auf dem Label Nutri-Score könnte
helfen, gesundheitliche Aspekte der Lebensmittel besser zu erkennen und
diese zu kaufen. Finanzielle Nöte stehen der Wahl des gesünderen
Lebensmittels allerdings – mit oder ohne Label – entgegen. Aktuell wird
diese Studie auf größere Länder in Lateinamerika, wie Mexiko und
Kolumbien, ausgeweitet.
Zudem haben die Befragten nur ein mittleres Maß an Vertrauen in das Label,
da das Etikett die Lebensmittel gesünder aussehen lassen könnte, als sie
tatsächlich sind. Daher wäre es wichtig, dass die Verbraucher den
Nährstoffgehalt der Verpackung selbst überprüfen, anstatt einem Etikett
blind zu vertrauen.

Kennzeichnung der Lebensmittel überflüssig?

Studienleiter Prof. Dr. Jens Kai Perret widerspricht und betont: „Die
Studie in Belize verdeutlicht ein Problem, das auch in Deutschland und
Westeuropa vorherrscht: Ein großer Teil der Bevölkerung ist der Meinung,
dass er über genügend Wissen über gesunde Ernährung verfügt und daher kein
Siegel benötigt, um seine Essgewohnheiten zu steuern. Entwicklungen in den
Ernährungsgewohnheiten widersprechen dieser Wahrnehmung allerdings
deutlich.“