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Als Folge des Corona-Virus rechnet das IfW Kiel mit einem harten
Konjunktureinbruch, gefolgt von einer starken Gegenbewegung. Das BIP in
Deutschland dürfte 2020 um 0,1 Prozent schrumpfen, 2021 dann um 2,3
Prozent zulegen. Ein solcher konjunktureller V-Effekt ist auch für den
Euroraum und die Weltkonjunktur zu erwarten. Der staatliche Haushaltssaldo
dürfte dieses Jahr nur noch leicht positiv und 2021 leicht negativ sein.

Die Folgen der Corona-Pandemie unterbrechen die sich abzeichnende zaghafte
Belebung der deutschen Konjunktur jäh und kosten über einen Prozentpunkt
an Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Die Industrie rutscht wieder tiefer
in die Rezession. Die Binnenwirtschaft, bislang Stütze der konjunkturellen
Entwicklung, gerät ebenfalls unter Stress. Weltweit ist mit drastischen
Rückgängen der Wertschöpfung zu rechnen. Dies geht aus den heute
veröffentlichten Konjunkturprognosen für Deutschland, den Euroraum und die
Weltwirtschaft des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) hervor.

„Die konkreten wirtschaftlichen Folgen durch das Corona-Virus sind derzeit
kaum zu beziffern. Die Prognose unterliegt einer erheblichen Unsicherheit
und beruht auf der für uns zum Zeitpunkt der Erstellung wahrscheinlichsten
Annahme, dass die Pandemie zur Mitte des Jahres abflaut und es danach zu
spürbaren wirtschaftlichen Aufholeffekten kommt. Das wäre dann eine
Rezession im Zeitraffer“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths.

Erst Einbruch, dann Gegenbewegung

In diesem Szenario schrumpft das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten
Quartal um 0,4 Prozent und im zweiten Quartal um 1 Prozent. Ab dem dritten
Quartal dürfte eine starke Gegenbewegung einsetzen und das BIP im Winter
zum Vorjahresniveau aufgeschlossen haben. „Mehr Arbeitstage im
Schlussquartal erleichtern das Aufholen der Produktionsausfälle, das ist
aber nur ein Zwischenspurt“, so Kooths. Während das BIP in diesem Jahr um
0,1 Prozent schrumpft, dürfte es im nächsten Jahr um 2,3 Prozent zulegen.

Damit korrigiert das IfW seine bisherige Prognose für das laufende Jahr
aufgrund der Corona-Pandemie um 1,2 Prozentpunkte nach unten, für das
kommende Jahr um 0,8 Prozentpunkte nach oben. Durch eine hohe Anzahl an
Werktagen ist die Zuwachsrate 2020 überzeichnet, ohne diesen
Kalendereffekt würde das BIP sogar um 0,4 Prozent schrumpfen. Die hohen
Zuwachsraten in der zweiten Jahreshälfte führen zu einem statistischen
Überhang, der 2021 einen ganzen Prozentpunkt der Jahreszuwachsrate
ausmacht.

„Maßgeblich für die wirtschaftlichen Einbußen sind Vorsichtsmaßnahmen, die
Teile des Wirtschaftslebens ebenso hemmen wie die hohe Unsicherheit über
Dauer und Schwere der Pandemie und ihrer Folgen. Hinzu kommen
Produktionsrückgänge, weil Vorprodukte aus Asien nicht oder zu spät
geliefert werden“, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr.

Grafik: Bruttoinlandsprodukt Deutschland_Veränderung gegenüber dem
Vorquartal (siehe Anhang)

Rezession im Euroraum

Auch im Euroraum dürfte eine Rezession – insbesondere in Italien, aber
auch im Durchschnitt der Währungsunion – unvermeidbar sein. Das BIP im
Euroraum schrumpft demnach im laufenden Jahr um 1 Prozent und legt im
kommenden Jahr wieder um etwas über 2 Prozent zu. Die Arbeitslosenquote im
Euroraum wird wohl vorerst wieder steigen, und der zuletzt moderate
Verbraucherpreisanstieg wird sich merklich verlangsamen.

Global sind die negativen Effekte durch das Virus neben Europa vor allem
in Asien besonders stark. Erhebliche wirtschaftliche Einbußen sind
angesichts stark gesunkener Rohstoffpreise auch für die Schwellenländer zu
erwarten. Selbst unter optimistischen Annahmen über den weiteren Verlauf
der Pandemie dürfte die Zuwachsrate der Weltproduktion im Jahr 2020
insgesamt von 3 Prozent auf 2 Prozent zurückgehen – die geringste Zunahme
seit der Großen Rezession 2008/2009. Kommt es zu einer zügigen
Normalisierung der Lage, ist 2021 ein Produktionsanstieg von 4 Prozent zu
erwarten.

Kooths: „In China dürfte die Wertschöpfung im ersten Quartal 2020 erstmals
seit Mao Zedong deutlich schrumpfen, allerdings ist aufgrund des
drastischen Durchgreifens des Staates mit einer raschen Erholung zu
rechnen. Wie stark die Krise Italien wirklich erwischt, welche
Schwierigkeiten das für die Eurozone bringt und was Corona für die
Wirtschaft in den USA bedeutet, ist momentan kaum abzusehen. Für die
deutsche Konjunktur bestehen daher erhebliche Abwärtsrisiken über das hier
skizzierte Szenario hinaus. Aber es gibt auch Aufwärtschancen, etwa einer
rascher als erwarteten medizinischen Lösung zur Eindämmung der Pandemie
oder ihrer gesundheitlichen Folgen.“

Bauwirtschaft und Arbeitsmarkt kaum negativ betroffen

Die deutschen Exporte dürften erstmals seit der Großen Rezession auch auf
Jahresbasis schrumpfen und im Vergleich zum Vorjahr um 1 Prozent
zurückgehen. „Der Corona-Effekt schickt die Industrierezession in die
Verlängerung, damit werden sich auch die Ausrüstungsinvestitionen erst
später stabilisieren“, so Kooths. Die Unternehmensinvestitionen insgesamt
dürften im laufenden Jahr um etwa 1 Prozent zurückgehen. Die Zuwachsrate
der privaten Konsumausgaben dürfte sich gegenüber dem Vorjahr und dem
Referenzszenario ohne Corona-Effekt auf 0,4 Prozent vierteln, wobei hier
vor allem Vorsichtsmaßnahmen der Verbraucher durchschlagen, weniger
Einkommenseffekte – ablesbar an der von 10,9 Prozent (2019) auf 11,6
Prozent (2020) steigenden privaten Sparquote.

Die Bauwirtschaft dürfte hingegen kaum betroffen sein, weil diese
weiterhin von einer regen Wohnungsnachfrage profitiert und auch
produktionsseitig keine größeren Einschränkungen etwa durch fehlendes
Material oder Arbeitskräfte zu erwarten sind. Die Bauinvestitionen dürften
dieses und nächstes Jahr um 3,4 Prozent bzw. 2,8 Prozent zulegen. Für den
Arbeitsmarkt erwarten die IfW-Forscher kaum negative Beschäftigungseffekte
durch den Konjunktureinbruch. Bei einem V-förmigen Konjunkturverlauf, auch
wenn dieser heftig ausfallen sollte, werden die allermeisten Unternehmen
darauf bedacht sein, ihr Personal zu halten. Die Arbeitslosigkeit dürfte
daher im gesamten Prognosezeitraum mit einer Quote von 5 Prozent nahezu
unverändert bleiben.

Der Konjunktureinbruch lässt auch den staatlichen Budgetsaldo auf etwa 14
Mrd. Euro in diesem Jahr abschmelzen. 2021 dürfte der Saldo mit knapp 5
Mrd. Euro ins Defizit drehen. Deutschland erfüllt aber weiterhin das
Maastricht-Kriterium.

Felbermayr: „Die Bundesregierung setzt mit dem Kurzarbeitergeld und den
Liquiditätshilfen für Unternehmen auf die richtigen Instrumente, weil sie
zielgenau, selbstdosierend und reaktionsschnell wirken. Deutschland ist
insgesamt gut aufgestellt, um die schlimmsten Folgen zu vermeiden, auch
weil die Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre
Eigenkapitalausstattung deutlich gestärkt haben. Für den Fall, dass die
Corona-Krise deutlich länger andauert, sollte man aber schon jetzt weitere
Maßnahmen vorbereiten. Hierzu zählen die Stundung von Steuerzahlungen und
verbesserte Bilanzregeln, ebenso die vollständige Abschaffung des
Solidaritätszuschlages.“