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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Recht auf Homeoffice per Gesetz.
Juristin Prof. Dr. Antje G. I. Tölle von der Hochschule für Wirtschaft und
Recht Berlin sagt, das passe ohne flankierende Reformen nicht zum
Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Deutschland. Ein Interview.

•       Geplantes Gesetz zum Recht auf Homeoffice passt weder in die
Realität des deutschen Arbeitsmarktes noch in das Gefüge des
Arbeitsrechtes.
•       Koalitionsvertrag sieht lediglich Auskunftsanspruch bei
Antragsrecht vor, bleibt weit hinter gesetzlich garantiertem Anspruch auf
mobiles Arbeiten zurück.
•       Rückkehrrecht ins Büro und anlassloses Homeoffice für alle
Beschäftigten muss garantiert werden.

Was verbirgt sich hinter dem Recht auf Homeoffice?

Das neudeutsche Homeoffice ist ein Synonym für mobiles Arbeiten. Auch
Telearbeit oder andere Begriffe meinen die vollständige oder teilweise
Arbeit außerhalb der Betriebs- und Geschäftsräume. Bundesminister Heil hat
Ende April angekündigt, bis zum Herbst einen Gesetzesentwurf dazu
vorzulegen. Ich halte es für gewagt, Homeoffice von Rechts wegen zu
statuieren. Es passt weder in die Realität des deutschen Arbeitsmarktes
noch in das Gefüge des Arbeitsrechtes.

Sie sind gegen das Homeoffice? Weshalb?

Nein, im Gegenteil, ich arbeite gern und sehr effizient von zu Hause,
nicht nur jetzt in der Pandemiezeit. Aber ich vermisse den unmittelbaren
Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Und auch in der Lehre ist
die Zusammenarbeit mit den Studierenden eine ganz andere. Kritisch sehe
ich das geplante Gesetz, weil nicht jeder Beruf Homeoffice-fähig ist,
denken Sie etwa an die Gastronomie, das Handwerk oder den
Gesundheitsbereich. Und das führt zu Ungleichheit.

Weil es auch als Vertrauensbeweis und Wertschätzung empfunden wird?

Ich halte das Homeoffice für nur einen Baustein von vielen im Konstrukt
wertschätzender moderner "Guter Arbeit" – wo es denn die Tätigkeit
zulässt. Es gibt neben diesen „weichen“ Faktoren auch handfeste, messbare
Vorteile. Beim Arbeiten von zu Hause entfällt beispielsweise der
Arbeitsweg, dadurch bleibt mehr Freizeit. Und es fördert das Wohnen im
ländlichen Raum. Das ist ein wichtiger Beitrag angesichts zunehmend
überlasteter urbaner Agglomerationsräumen, also der Konzentration der
Bevölkerung in den Städten. Weniger Pendelwege verringern die
Klimabelastung merklich.

Diese und andere Argumente werden sinngemäß im geltenden Koalitionsvertrag
aufgelistet. Mobiles Arbeit soll gefördert werden. Also stehen die Zeichen
auf Grün?

Entgegen der jüngsten Verlautbarung von Bundesminister Heil sieht der
Koalitionsvertrag nur einen "Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber
ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung" vor.
Rechtlich flankiert ein solcher Auskunftsanspruch ein Antragsrecht, mehr
nicht. Es bleibt weit hinter einem Recht, also einem gesetzlich
garantieren Anspruch auf mobiles Arbeiten zurück.

Wie kann ein Gesetz entgrenzter Arbeitszeit und dem Druck, immer
erreichbar sein zu müssen, entgegenwirken? Studien zeigen, dass
Arbeitnehmer im Homeoffice mehr Überstunden leisten.

Diese Sorgen mögen teilweise berechtigt sein. Im Vergleich zu Kolleginnen
und Kollegen, die vor Ort arbeiten, schlägt das Arbeiten von zu Hause bei
Umfragen nicht selten mit Mehrarbeit zu Buche. Doch das Homeoffice sollte
deshalb nicht prinzipiell zum Schwarzen Peter werden. Die Bedenken sind
nicht neu, stellen sich auch, wenn der Vorgesetzte während des Urlaubs
anruft oder spätestens dann, wenn ein Diensthandy überlassen wird.

Wie löst man das Dilemma, wenn mobil nicht implizieren darf: immer agil?

Nun, Smartphones werfen die Frage auf, ob jede eintreffende E-Mail
zwangsläufig an Arbeitnehmer appelliert, umgehend ihre Arbeit aufnehmen zu
müssen. Ein Blick in die geltenden Vorschriften des Arbeitsschutzes zeigt,
dass jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer elf Stunden Ruhezeit
zustehen. Vorgesetzte können also gar kein Interesse daran haben, jede
Nachricht als Arbeitsaufforderung verstanden zu wissen. Vielmehr wird
teilweise diskutiert, ob es schier als aufgedrängte Arbeit zu werten ist,
wenn auf jede Nachricht reagiert wird. Durch die Arbeitsaufnahme entstehen
Überstunden, die gar nicht beabsichtig sind, und die Ruhezeit wird
unterbrochen. Außerdem wird damit auch die Arbeitszeit der Führungskraft
entgrenzt.

Wie realistisch ist es anzunehmen, dass ein Gesetz das alles regeln kann?

Gesetzliche Regeln können nur Leitplanken schaffen. Es obliegt auf der
einen Seite einer verantwortungsvollen nachhaltigen Führungskultur, Regeln
zu vereinbaren; sowohl für die Präsenzarbeit im Büro, wie für die mobile
Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass es vor Ort Abreden gibt, wie ein
Arbeitsauftrag zu verstehen und zu gewichten ist, so dass dies nur auf das
mobile Arbeiten übertragen werden muss.

Das Homeoffice ist ein anspruchsvolles Arbeitsfeld auch im Hinblick auf
Selbstorganisation und -verantwortung.

Absolut, es darf nicht unterschätzt werden, dass das Homeoffice und andere
Flexibilisierungen ein Mehr an eigener Organisation und Verantwortung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangt. Beim Arbeiten von Zuhause muss
man sich ebenso vor Ablenkungen abschirmen wie im Büro. Es drängt sich
hier vielleicht schneller ein schlechtes Gewissen auf, als wenn sich das
Gespräch mit der Kollegin oder dem Kollegen in der Kaffeeküche mal länger
hinzieht.

Vertrauensarbeitszeiten gab es schon, bevor die Corona-Pandemie dem
Homeoffice Vorschub leistete.

Ja, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Weg gangbar
ist. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Vorteile von
Rahmenarbeitszeiten zu schätzen gelernt. Es ist gängige Praxis, dass sich
Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Kernarbeits- oder Funktionszeit
begrüßen, verabschieden oder anderweitig ihren Dienstbeginn und Feierabend
kommunizieren, miteinander arbeiten. Diese Tradition lässt sich
digitalisieren. Sie setzt auch klare Grenzen und schützt vor entgrenzten
Arbeitszeiten.

Flexible und individuelle Vereinbarungen und Lösungen, welchen konkreten
Beitrag können Gewerkschaften hier leisten?

Gute Arbeit ist das gemeinsame Werk aller Sozialpartner. Gerade beim
Homeoffice können die Gewerkschaften viel ausrichten, indem sie auf
Betriebsräte und Personalräte einwirken und insbesondere Vorurteile
abbauen. Aus der Praxis vernehme ich immer wieder, dass das Thema
"Homeoffice" für beide Seiten mit vielen Unsicherheiten und teilweise
Vorurteilen besetzt ist. Hier möchte ich Gewerkschaften ermuntern, in die
Vorreiterrolle zu schlüpfen, indem sie Best-Practice-Beispiele vorstellen.
Ich wünsche mir ein Muster für Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum
Homeoffice, die zum Beispiel zwischen Sozialpartnern abgestimmt auf der
Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abrufbar ist.

Statt eines Gesetzes?

Solche Betriebs- und Dienstvereinbarungen wären ein niedrigschwelliges
Instrumentarium und weit konkreter und wirkungsvoller als ein plakatives
"Recht auf Homeoffice". Sie bieten vor allem die Chance, gesellschaftliche
Realitäten konkret abzubilden. Beispiele dafür gibt es bereits, aber auch
Nachbesserungsbedarf. Mir bekannte Dienst- oder Betriebsvereinbarungen zum
Homeoffice zielen vielfach allein auf soziale Implikaturen ab. Sie
bevorzugen oder berücksichtigen zum Teil ausschließlich Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. Nur diese
können auf begründeten Antrag von zu Hause arbeiten.

Wie würden Sie diese Regelung erweitern?

Diese Kriterien halten keine Lösung bereit, wenn Angehörige plötzlich
erkranken. So lässt sich nicht die Zeit der Genesung überbrücken oder bis
– im schlimmsten Fall – eine Pflegestufe zugesprochen wurde. Darüber
hinaus muss die Betreuungssituation von Kindern in heutigen vielfältigen
Erziehungsmodellen abgebildet werden und es auch Großeltern ermöglichen,
im Homeoffice für die Betreuung ihrer Enkel zu arbeiten. Patchwork-
Familien, in denen Lebenspartnerinnen oder -partner die Betreuungsarbeit
übernehmen, kommen hier noch nicht vor. Weiterhin sollten sich
Schwerbehindertenvertretungen dafür einsetzen, dass das Homeoffice eine
wichtige Komponente der Teilhabe oder Wiedereingliederung sein kann.
Denkbar wäre ein gestuftes Modell aus anlasslosem Homeoffice für alle
Mitarbeitenden. Auch Weiterungen für besondere soziale Situationen
gleichen hier aus.

Welche generellen Erwartungen und Vorschläge knüpfen Sie als Juristin an
das angekündigte Gesetz?

Zunächst sollte die Diskussion rund um das Homeoffice genutzt werden, um
etwa die Arbeitsschutzvorschriften zu modernisieren, damit auch zu Hause
der Arbeitsunfall und die Arbeit vor Bildschirmen gesichert ist. Einen
Heimarbeitsplatz zu unterhalten bedarf diverser technischer
Voraussetzungen, die gerade kleine und mittlere Unternehmen stark
beanspruchen können. Deswegen wünsche ich mir eine Blaupause des § 8
Teilzeit- und Befristungsgesetz. Hier kann jeder eine
Teilzeitbeschäftigung beantragen, anschließend wird die Möglichkeit
erörtert. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bleibt es jedoch möglich, sie
aus betrieblichen Gründen abzulehnen. Darüber hinaus sollte der
Gesetzgeber darauf achten, dass ein Rückkehrrecht ins Büro offensteht.
Sonst fürchte ich, dass das Recht auf Homeoffice sich in eine Pflicht zum
Homeoffice verkehrt.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für
Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin.

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 11 500
Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften –
mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen
Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das
Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und
Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60
Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin
unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen
Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for
Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der
internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen
Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings
und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist
einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im
akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin
unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene
Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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