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Manager ohne Mitgefühl: Mindert virtuelle Zusammenar-beit das Verantwortungsgefühl für Mitarbeitende? Dieser Frage wurde in Tübingen nachgegangen  iStock
Manager ohne Mitgefühl: Mindert virtuelle Zusammenar-beit das Verantwortungsgefühl für Mitarbeitende? Dieser Frage wurde in Tübingen nachgegangen iStock

Nicht erst durch die zunehmende Nutzung von Homeoffices durch die Corona-
Pandemie, sondern auch als Konsequenz der Globalisierung findet
Zusammenarbeit zunehmend virtuell statt. Wie sich diese Kooperationsform
auf das Verantwortungsbewusstsein von Führungskräften gegenüber ihren
Teams auswirkt, haben aktuelle Studien des Leibniz-Instituts für
Wissensmedien (IWM) in Tübingen untersucht.

Macht korrumpiert – soweit das Klischee. Die Realität zeigt jedoch, dass
oft gerade Führungskräfte die Konsequenzen ihres Handelns für andere mit
bedenken und sich ihrer Verantwortung gegen-über Mitarbeitenden sehr
bewusst sind. Ein Bewusstsein, das sich positiv auf die Zusammenarbeit und
auf die Teammitglieder selbst auswirkt. Welche Voraussetzungen diesen
positiven Effekt bei Personen in Führungsrollen befördern und wie sich
Remote Work kurzfristig auf deren Verantwortungsgefühl auswirken, haben
Forscherinnen und Forscher rund um PD Dr. Annika Scholl in der
Arbeitsgruppe Soziale Prozesse am Tübinger Leibniz-Institut für
Wissensmedien untersucht.
Dabei zeigte sich: Personen in einer Führungsrolle empfinden vor einem
persönlichen Mitarbeitergespräch ein stärkeres Verantwortungsgefühl als
vor einem virtuellen Austausch, etwa per Videocall. Dieses Ergebnis konnte
eine weitere Studie mit Studierenden bestätigen. „Virtuelle Zusammenarbeit
könnte bewirken, dass andere Personen weiter entfernt erscheinen – und
deshalb kurzfristig weniger der Eindruck entsteht, sich um diese Personen
kümmern zu müssen“, erläutert Dr. Annika Scholl. „Das muss nicht nur die
räumliche Entfernung betreffen, es könnte dabei auch um die subjektive
Wahrnehmung von Nähe gehen. Offen bleibt für uns die Frage, wie sich diese
Effekte entwickeln, wenn Personen mehr Erfahrung mit virtueller
Zusammenarbeit gesammelt haben.“

„Offen bleibt für uns die Frage, wie sich diese Effekte entwickeln, wenn
Personen mehr Erfahrung mit virtueller Zusammenarbeit gesammelt haben.“
Dr. Annika Scholl

In weiteren Studien konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
außerdem zeigen, dass Führungskräfte dann mehr Verantwortung erleben, wenn
sie vor wichtigen Entscheidungen ihre Aufmerksamkeit auf andere Personen
statt auf sich selbst richten. Ein weiterer Faktor für das
Verantwortungsgefühl in der Führung ist das Maß der jeweiligen
Identifikation mit dem Team. Aktuell arbeiten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler an weiteren Studien zu diesen Fragestellungen.

Informationen zur Studie
In einer von zwei Studien wurden 181 Mitarbeitende unterschiedlicher
Arbeitsbereiche in einer online-Umfrage gebeten, sich in die Positionen
einer Führungs- bzw. einer Assistenzkraft hineinzuversetzen. Als
Führungskraft stellten sie sich vor, mit der jeweiligen Assistenz
gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten (analog als Assistenz gemeinsam mit ihrer
Führungskraft). Diese Zusammenarbeit sollte für einen Teil der
Teilnehmenden virtuell – d.h. über Telefon, Videocall etc. – erfolgen, für
den anderen Teil der Teilnehmenden wurde eine Zusammenarbeit face-to-face
(d.h. durch persönliche Treffen vor Ort) angekündigt. Anschließend gaben
die Teilnehmenden an, wie sie sich in ihrer Rolle fühlen; insbesondere,
wie viel Verantwortung sie für den/die andere/n in der Zusammenarbeit
wahr-nahmen – also z.B. den Eindruck hatten, sich um die Situation anderer
kümmern zu müssen oder inwieweit sie darüber nachdachten, welche
Konsequenzen ihr Handeln für andere haben würde. Es zeigte sich: Personen
nahmen besonders dann Verantwortung wahr, wenn sie eine Position als
Führungskraft (statt als Assistentin oder Assistent) erhielten und
persönliche (statt virtuelle) Zusammenarbeit erwarteten.

Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen erforscht, wie
digitale Medien Wissens- und Kommunikationsprozesse beeinflussen und wie
neue Technologien eingesetzt werden können, um diese Prozesse zu
verbessern. Die grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung rückt
neben institutionellen Lernfeldern wie Schule und Hochschule auch
informelles Lernen im Internet, am Arbeitsplatz oder im Museum in den
Fokus. Am IWM arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
verschiedener Disziplinen zusammen, vor allem aus der Psychologie,
Kommunikationswissenschaft, Neurowissenschaft und Informatik. Das 2001
gegründete außeruniversitäre Forschungsinstitut ist Mitglied der Leibniz-
Gemeinschaft.