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Die staatlichen Coronahilfen für Unternehmen und Selbstständige sind nach
Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) wenig
tauglich und gesamtwirtschaftlich teurer als nötig. Die Hilfen folgten
unsystematisch höchst unterschiedlichen Kriterien und verfehlten deshalb
die gewünschten Ergebnisse. Alternativ schlägt das Institut ein
branchenübergreifendes Modell vor, das unabhängig von Größe, Rechtsform
und Finanzierungsstruktur der Unternehmen am Betriebsergebnis ansetzt und
einen Großteil der Krisenverluste ausgleicht.

„Zehn Monate nach Ausbruch der Corona-Krise steht noch immer kein
taugliches Stabilisierungsinstrument für betroffene Unternehmen und
Selbstständige zur Verfügung“, kritisierte IfW-Kiel-Präsident Gabriel
Felbermayr. Die Politik springe unsystematisch zwischen höchst
unterschiedlichen Modellen hin und her. „Ergebnis ist, dass die Hilfe
häufig bei den Unternehmen gar nicht oder nicht in angemessener Höhe
ankommt – mal ist sie zu niedrig, mal zu hoch“, sagte Felbermayr.
Eigentlich wettbewerbsfähige Unternehmen überleben die Krise nicht, andere
werden mit Staatsgeld am Leben erhalten, obwohl sie auch ohne Krise wenig
Chancen gehabt hätten. Im Ergebnis fallen die gesamtwirtschaftlichen
Kosten der Corona-Pandemie höher aus als nötig, langfristige Schäden für
die Wirtschaftsstruktur drohen.

Felbermayr und IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths schlagen deshalb mit dem
heute veröffentlichten „Kieler Modell für betriebliche
Stabilisierungshilfen“ (https://www.ifw-
kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2020/bisherige-coronahilfen-
fuer-unternehmen-mangelhaft-ifw-kiel-praesentiert-alternativmodell/
) einen
Mechanismus vor, der über Branchen und Unternehmenstypen hinweg
einheitlich anwendbar ist und außer dem Kurzarbeitergeld alle bisherigen
Hilfsprogramme ersetzen würde. Im Zentrum des Modells steht, den durch die
Krise ausgelösten Einbruch der Betriebsergebnisse abzufedern.
Betriebsergebnisse messen den Umsatz abzüglich diverser Kosten, nicht aber
der Zinsen. Sie sind für den Erhalt des Eigenkapitals der Unternehmen
entscheidend. Werden sie stabilisiert, gewinnen Unternehmen
Planungssicherheit und andere Kriseninstrumente (z.B. Kurzarbeitergeld)
werden wirksamer. Das sichert Arbeitsplätze und festigt die Grundlagen für
eine schnelle Erholung nach der Krise.

Betriebsergebnis der Branche als Messlatte

Nach dem Kieler Modell bekommen Unternehmen, auch Einzelunternehmer, den
Rückgang der Betriebsergebnisse im Vergleich zum Vorjahr größtenteils
ersetzt, zum Beispiel zu 85 Prozent. Jedoch orientiert sich das Ausmaß der
Zuschüsse nicht am Rückgang bei dem einzelnen Unternehmen, sondern an
jenem der gesamten Branche in einer Region. Damit bleiben Anreize
erhalten, besser als der Durchschnitt zu wirtschaften, also etwa nach
neuen Umsatzquellen zu suchen. Messlatte sind die Betriebsergebnisse der
Branche in einer Region im Krisenjahr im Vergleich zum Vorjahr.

Ein solches Modell eines einheitlichen, branchenübergreifenden
Stabilisierungsmechanismus stellt sicher, dass Unternehmen unabhängig von
Größe, Finanzierungsstruktur und Rechtsform nach tatsächlicher
Krisenbetroffenheit unterstützt werden. Es setzt an Kriterien an, die
leicht feststellbar und von Unternehmen nicht im Nachhinein manipulierbar
sind, so dass Missbrauch vorgebeugt wird. Anreize bleiben erhalten, selbst
an der Bewältigung der Krise zu arbeiten. Der Staat sichert damit –
flankiert durch das Kurzarbeitergeld – den Erhalt von Arbeitsplätzen in
Unternehmen und bewahrt funktionsfähige Wirtschaftsstrukturen in der Krise
vor dem Aus. Im Vergleich ist vor allem der aktuell angekündigte
Umsatzausgleich für ausgewählte Branchen (Novemberhilfe) viel weniger
zielführend und führt teils zu einer Überkompensation, während andere
Betroffene leer ausgehen.

„Das Modell ist zielgenauer, setzt bessere Anreize, ist weniger
missbrauchsanfällig und braucht nur überschaubar höhere staatliche Mittel,
als die für die bisherigen Modelle veranschlagten“, sagte Kooths.
„Gesamtwirtschaftlich wären die Kosten der Krise damit geringer, auch weil
damit überflüssige Maßnahmen wie die temporäre Mehrwertsteuersenkung gar
nicht mehr in Betracht kämen.“

Gesamtwirtschaftliche Kosten geringer

Die Kieler Forscher haben ausgerechnet, dass die Kosten des Modells für
die öffentlichen Haushalte bei einer Ersatzrate von 85 Prozent und ohne
Inflationsausgleich im Jahr 2020 rund 74,9 Mrd. Euro betragen hätten. Im
Jahr 2021 käme es zu keinen weiteren Leistungen. Legt man einen
Inflationsausgleich von 2 Prozent zugrunde, so erhöht sich der
Mitteleinsatz auf 85,1 Mrd. Euro (2020) und 19,6 Mrd. Euro (2021). Weil
das Modell alle übrigen Unternehmenshilfen (z. B. Soforthilfe,
Überbrückungshilfen) ersetzt, stehen dem wegfallende Hilfen von 55,9 Mrd.
Euro (2020) und 8,4 Mrd. Euro (2021) gegenüber. Für die beiden Krisenjahre
insgesamt käme es somit zu einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte
um 10,5 Mrd. Euro (ohne Inflationsausgleich) und 40,3 Mrd. Euro (mit
Inflationsausgleich). Diese Bruttobetrachtung berücksichtigt allerdings
nicht, dass die Mittel versteuert werden müssen, so dass sich die
Nettobelastung der öffentlichen Haushalte entsprechend mindert. Die
bessere Stabilisierungswirkung, eine Bagatellklausel und die Anreizeffekte
ermäßigen die fiskalischen Kosten noch weiter.

„Deutschland braucht einen solchen Stabilisierungsmechanismus für
gesamtwirtschaftliche Notlagen, um für die nächste Großkrise gewappnet zu
sein. Je mehr die Coronahilfen bereits kurzfristig in Richtung des Kieler
Modells umgestaltet werden, desto besser. Rückwirkend kann es zudem einem
fairen Lastenausgleich dienen, um die jetzt durch unsystematische Hilfen
verursachten Verwerfungen zu bereinigen“, sagte Kooths.

Eine ausführliche Darstellung des Kieler Modells und der Berechnungen
finden Sie in dem Kiel Policy Brief Kieler Modell für betriebliche
Stabilisierungshilfen – Funktionsweise und Einsatz in der Corona-Krise:
https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2020
/bisherige-coronahilfen-fuer-unternehmen-mangelhaft-ifw-kiel-praesentiert-
alternativmodell/