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Artenreicher Laub-Mischwald bei Brienz (Kanton Bern, Schweiz).  Foto: Reinhard Lässig / WSL
Artenreicher Laub-Mischwald bei Brienz (Kanton Bern, Schweiz). Foto: Reinhard Lässig / WSL

Europas Wälder müssen heute viele Funktionen gleichzeitig erfüllen. Wer
Holz nutzt und die Biodiversität fördert, deckt zwei wichtige davon ab.
Fast überall in Europa hat die Biodiversität in den Wäldern in den
vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Gleichzeitig nahmen die Erwartungen
der Bevölkerung an den Wald zu. Darum nutzen viele Waldeigentümer in
Europa den Wald heute so, dass er neben der Holzproduktion auch weitere
Ansprüche der Gesellschaft abdeckt. Das soeben erschienene Buch zum Thema
fasst die Erfahrungen zur Balance von Forstwirtschaft und
Biodiversitätsschutz zusammen.

Das Nebeneinander mehrerer Nutzungsformen, wie es in zahlreichen Schweizer
Wäldern schon länger üblich ist, bezeichnen Fachleute als «integrative
Waldbewirtschaftung». Dieser multifunktionale Bewirtschaftungsansatz
verlangt von den für den Wald Verantwortlichen viel Erfahrungen und Wissen
um ökologische Zusammenhänge. Beispielhaft zeigten dies die Auswirkungen
des Trockensommers 2018: Da viele Bäume starben, veränderten sich seitdem
das Holzangebot, die Holzpreise, die Trinkwasservorräte und das
Erholungsverhalten der Menschen. Starker Borkenkäferbefall warf an vielen
Orten auch die Frage auf, ob die Schutzfunktion von Gebirgswäldern
weiterhin gewährleistet sei.

In der Abschlusskonferenz des oForest-Projekts "How to balance forestry
and biodiversity conservation - a view across Europe" diskutierten
Fachleute aus 20 Ländern das Thema «integrative Waldbewirtschaftung». Die
Veranstaltung stellte Praxisbeispiele der integrativen Waldbewirtschaftung
aus 15 Ländern vor. Sie wurde von der Eidgenössischen Forschungsanstalt
für Wald, Schnee und Landschaft WSL sowie dem Europäischen Forstinstitut
(EFI) organisiert und vom Bundesamt für Umwelt BAFU, dem deutschen
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und dem Kanton Basel
unterstützt.

Nun ist der gleichnamige Abschlussbericht erschienen, in dem mehr als 150
Wald- und Naturschutzfachleute aus 20 Ländern Europas ihr Fachwissen über
integrative Waldbewirtschaftung teilen. Das in drei Jahren erarbeitete
Wissen der europäischen Partnerorganisationen gibt erstmals europaweit
einen Überblick, wie Wälder so bewirtschaftet werden, dass sie
gleichzeitig mindestens zwei Ansprüche der Gesellschaft erfüllen. Neben
Holzproduktion und Biodiversität können auch der Trinkwasserschutz, die
Erholung oder der Schutz von Siedlungen und anderen Infrastrukturen vor
Erosion und Naturgefahren wichtige Bewirtschaftungsziele sein.

Das erste der insgesamt 15 vorgestellten Beispiele aus der Praxis stellte
Tagungsleiter Kurt Bollmann (Eidg. Forschungsanstalt WSL) vor. Er
berichtete, dass das Artenschutzmanagement im Sonderwaldreservat in Amden
(Kanton St. Gallen) ein überzeugendes Beispiel dafür sei, wie man
gleichzeitig den Wald bewirtschaften und Lebensräume für das Auerhuhn
erhalten kann. Uwe Schölmerich (Wald und Holz Nordrhein-Westfalen) und
Patrick Huvenne (Agentur für Natur und Wälder, Flandern) machten im
Forstbetrieb Rhein-Sieg Erft beziehungsweise im Sonian-Wald bei Brüssel
die Erfahrung, dass sich Wälder in städtischen Gebieten sowohl intensiv
von Erholungsuchenden nutzen als auch integrativ bewirtschaften lassen.

Erstes Buch zur naturnahen Waldwirtschaft in Europa

Das Buch fasst diese und weitere Praxisbeispiele aus Bulgarien,
Frankreich, Deutschland, Irland, Polen, Portugal, Österreich, Schweden,
der Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien zusammen. Es ist
reich bebildert und verknüpft Detailwissen und Erfahrungen aus
Waldwirtschaft und Naturschutz in zahlreichen Regionen Europas mit
grundsätzlichem Wissen aus Natur- und Sozialwissenschaften,
Waldgeschichte, Forstpolitik, Biologie und Ökologie. «In diesem
Gemeinschaftswerk zeigen wir mit Beispielen aus 20 Ländern Europas, wie
man Wälder erfolgreich bewirtschaften kann, in denen mindestens zwei der
Ansprüche der Gesellschaft mit hoher Priorität abgedeckt werden», sagt
Frank Krumm (WSL), der Erstautor des Werks. Fazit: Es braucht
pragmatische, mutige und regional verwurzelte Managementansätze, um in
Europas Wäldern den Schutz der Biodiversität zu verbessern. In vielen
Ländern gibt es sie bereits, wie das Buch eindrücklich zeigt.

Originalpublikation:
Krumm, F.; Schuck, A.; Rigling, A. (eds), 2020: How to balance forestry
and biodiversity conservation. A view across Europe. 641 p.