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Mit dem »European Green Deal« hat die Europäische Kommission ihre Vision
vorgestellt, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent weltweit zu
entwickeln. Schon ab Juni 2021 sollen Rechtsvorschriften auf den Weg
gebracht werden, um verkehrsbedingte CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent
zu senken. Wasserstofftechnologien können einen großen Beitrag dazu
leisten, Klimaneutralität in einer modernen, ressourcenschonenden und
gleichzeitig wertschöpfenden Gesellschaft zu erreichen. Während der
Hannover Messe Digital 2021 stellen drei Fraunhofer-Institute exemplarisch
vor, an welchen Initiativen sie in Nordrhein-Westfalen und Sachsen bereits
gemeinsam arbeiten.

Im Fraunhofer-Live-Stream zeigen die Fraunhofer-Institute für
Produktionstechnologie IPT aus Aachen, für Werkstoff- und Strahltechnik
IWS aus Dresden und für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU aus
Chemnitz, mit welchen Produktionstechnologien Brennstoffzellen zukünftig
gefertigt werden können. Ziel der drei Institute ist es, dass
Brennstoffzellensysteme in der Herstellung nicht länger deutlich teurer
sein müssen als herkömmliche benzinbetriebene Antriebe. Die Produktion
gängiger 100-Kilowatt-Brennstoffzellensysteme für Automobile würde dann
nur noch rund 5000 Euro kosten – weniger als zehn Prozent der bisherigen
Kosten.

»Das schaffen wir nur, wenn wir vom bisherigen Manufakturbetrieb in die
Massenproduktion vorstoßen – und zwar mit effektiven Technologien, die
eine Fertigung von bis zu vier Brennstoffzellen-Stacks pro Minute
erlauben«, sagt Dr. Ulrike Beyer, Leiterin der Wasserstoff-Taskforce am
Fraunhofer IWU. Um in dieser Geschwindigkeit produzieren zu können,
richten die Forscherinnen und Forscher ihren Blick auf die Komponenten,
die das Herz der Brennstoffzelle bilden: Bipolarplatten und Membran-
Elektroden-Einheiten. Diese sollen künftig durch kontinuierliche Rolle-zu-
Rolle-Verfahren hergestellt werden. Mit dieser Fertigungstechnologie
können bislang unerreicht hohe Stückzahlen erzielt werden, wie sie für
eine industrielle Serienfertigung gefordert werden.

Ziel der drei produktionstechnischen Institute ist es, den
wirtschaftlichen Durchbruch von Brennstoffzellen national und
international zu beschleunigen und die Einzeltechnologien von der
Forschung rasch in die industrielle Anwendung zu überführen.

Brennstoffzellen als Wegbereiter für klimaneutrale Mobilität

Brennstoffzellen müssen zukünftig fast zwangsläufig eine Schlüsselfunktion
für die CO2-Reduzierung im Mobilitätssektor einnehmen: Personen- und
Lastkraftwagen, Busse, Regionalzüge und sogar Flugzeuge können sich mit
Wasserstofftechnologie fortbewegen. Doch die heutige Produktion der dafür
erforderlichen Brennstoffzellen ist noch stark durch manuelle Tätigkeiten
gekennzeichnet und kann auch aufgrund fehlender Lieferketten die
erforderlichen Stückzahlen bisher nicht bereitstellen. Die Kosten sind
zudem für den Einsatz, der gefordert sein wird, noch deutlich zu hoch.

Um die Herstellungskosten so weit zu senken, dass Brennstoffzellen die
herkömmlichen Antriebe auf Basis fossiler Brennstoffe ablösen können,
müssen Technologien entwickelt werden, die eine Skalierung der Fertigung
bis zur industriellen Massenproduktion ermöglichen. Marktführer Hyundai
prognostiziert, dass bei circa 200 000 Einheiten pro Jahr Skaleneffekte
erzielt werden können, die die Kosten eines Wasserstofffahrzeugs gegenüber
Alternativen vergleichbar machen.

Forschung und Entwicklung für die Brennstoffzellenproduktion

Im Fraunhofer-Projekt HOKOME arbeiten die drei Fraunhofer-Institute in
Aachen, Dresden und Chemnitz daran, die Voraussetzungen für eine
kostengünstige, bedarfsorientierte und skalierbare Serienproduktion von
Brennstoffzellen zu schaffen.

Bis heute verfügt die Industrie noch nicht über ausgereifte Technologien
und durchgängige Fertigungslinien für die Brennstoffzellenproduktion.
Stattdessen werden Einzelkomponenten teils in Handarbeit gefertigt oder
allenfalls wenig automatisiert zusammengeführt und durchlaufen
zeitaufwendige Prozesse zur Qualitätsüberwachung.

Ihre Funktion erhält die Brennstoffzelle innerhalb des sogenannten Stacks
aus mehreren Hundert Einzelzellen, in dem Strom durch einen chemischen
Prozess aus Wasserstoff gewonnen wird. Die Zellen bestehen aus zwei
metallischen Platten und einer Membran. Während die Bleche von 50 bis 100
Mikrometer Stärke zunächst mit geprägten Kanälen versehen, danach
beschichtet und untereinander hochpräzise verschweißt werden, sind bei der
Membran-Herstellung verschiedene Auftrags- und Heißpressprozesse
erforderlich. Das Fraunhofer IPT entwickelt zu diesem Zweck entsprechende
Rolle-zu-Rolle-Anlagen. Der Fokus liegt hier auf einer automatisierten
Pilotlinie, mit der sich die beiden Prozessschritte des Prägens und
Beschichtens in einem durchgängigen Prozess zusammenführen lassen.

In Vorbereitung auf die Großserienfertigung müssen vor allem neue
Umformverfahren für die Herstellung der Bipolarplatten zur Marktreife
geführt werden. Hier bietet das am Fraunhofer IWU entwickelte Walzprägen
einzigartige Möglichkeiten, das charakteristische Flussfeld kontinuierlich
durch eine rotierende Abrollbewegung in die Bipolarplatten einzubringen.
Für dieses Verfahren erarbeiten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler jetzt ein modulares System, das die geforderten
Ausbringungsmengen von 100 Bipolarplatten pro Minute für die industrielle
Massenproduktion liefern kann. Eine besondere Herausforderung ist hier die
Kopplung mit den vor- und nachgelagerten Prozessschritten bis hin zur
Inline-Qualitätskontrolle. Indem die Forschenden alle Teilprozesse von
Beginn an ganzheitlich in den Rolle-zu-Rolle-Fertigungskonzepten
betrachten, soll sich das Produktionsvolumen zukünftig flexibel an eine
reale Nachfrage adaptieren lassen. Ziel des Fraunhofer IWU ist der Aufbau
einer Referenzfabrik in Chemnitz, in der Industrie und Forschung gemeinsam
stückzahlskalierbare Technologien für die Stack-Produktion entwickeln.

Wurden die Bipolarplatten in Brennstoffzellen bisher im Batch beschichtet,
um ihre Leitfähigkeit und Korrosionsbeständigkeit zu gewährleisten, setzt
das Fraunhofer IWS aus Dresden nun auf eine neue Kohlenstoffbeschichtung
von wenigen Nanometern, die durch ein PVD-Verfahren (Physikalische
Gasphasenabscheidung) aufgebracht wird. Dieses Konzept eignet sich gerade
auch für Bandverfahren und kann so die Fertigungskosten abermals stark
reduzieren. Die Kohlenstoffschichten erreichen schon heute einen ähnlich
niedrigen Kontaktwiderstand wie beispielsweise Gold – bei nahezu
halbierten Beschichtungskosten. In einem automatisierten Prozess
verspricht die Technologie zudem ein höheres Produktionstempo. Diese neuen
Beschichtungsverfahren können zukünftig in eine Rolle-zu-Rolle-Anlage, wie
sie das Fraunhofer IPT entwickelt, integriert werden. Sie bilden damit
neben den ebenfalls erforderlichen Schweiß- und Umformprozessen einen
weiteren Schritt zu einer vollständig automatisierten Fertigungskette.

Die Entwicklungsergebnisse zur kostengünstigen, automatisierten
Massenproduktion von Brennstoffzellen, die durch die gemeinsame Forschung
der drei Institute erzielt werden, fließen ein in den »Nationalen
Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion« der Fraunhofer-Gesellschaft.
Fraunhofer bündelt hier in fünf dezentralen Clustern in Baden-Württemberg,
Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die
Forschungskompetenzen und -initiativen von insgesamt 20 Fraunhofer-
Instituten. Das föderale Konzept setzt auf vorhandene Infrastrukturen und
ermöglicht es Unternehmen aus ganz Deutschland, aber auch international,
von den Forschungsprojekten zu profitieren und einen schnellen
Technologietransfer zu erzielen. Koordiniert wird der Nationale
Aktionsplan durch das Fraunhofer IWU.

»Ganz entscheidend für den Erfolg ist es, eine nachhaltige nationale
Wertschöpfung zu entwickeln. Unser Ziel für die Brennstoffzellen-
Produktion ist es, Wasserstoffantriebe technologisch und
betriebswirtschaftlich so schnell wie möglich wettbewerbsfähig gegenüber
klimabelastenden Alternativen zu machen. Auf Basis einer kostengünstigen
Herstellung und Nutzung von Wasserstoff schaffen wir als Gesellschaft dann
auch den Durchbruch hin zu umweltfreundlicher Mobilität«, sagt Dr.
Christoph Baum, Geschäftsführer des Fraunhofer IPT.

»Ich verstehe uns bei Fraunhofer als Katalysator für industrielle
Innovation. Ein Katalysator erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit, wir
können die Innovationsgeschwindigkeit unserer Partner erhöhen«, ergänzt
Dr. Teja Roch, Projektgruppenleiter im Dortmunder OberflächenCentrum DOC®.