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Die digitale Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft sowie die
zuletzt durch die Corona-Pandemie bedingte digitale Notwendigkeit vieler
Lebens- und Geschäftsbereiche führt dazu, dass tradierte Geschäftsmodelle
zunehmend in Frage gestellt werden. Die vorrangig auf physische und
soziale Interaktionen ausgerichtete Messewirtschaft ist hierfür ein
prominentes Beispiel. Spätestens seit der Corona-Pandemie lautet daher die
Gretchenfrage: Sind Messen in Zukunft überhaupt noch notwendig? Martin
Paul Fritze, Junior-Professor des Instituts für Messewirtschaft und
Marketing an der Universität zu Köln, zeigt zur erfolgreichen Zukunft von
Messen strategische Ansatzpunkte auf.

Bedürfnis nach realen Begegnungen bedienen
Die Messebranche lebt bislang durch reale Interaktionen von Menschen, die
vor Ort stattfinden. Dafür nehmen Austeller und Besucher Aufwand und weite
Reisen auf sich. Nach Zahlen des Verbandes der deutschen Messewirtschaft
(AUMA) geben Aussteller und Besucher für Messe-Engagements in Deutschland
pro Jahr rund 12 Mrd. € aus. Zwei Drittel der international führenden
Messen finden in Deutschland statt, was insgesamt circa 180.000 Aussteller
und rund 10 Mio. Besucher umfasst. Diese Zahlen zeigen das durch die
Messebranche bediente Bedürfnis nach realen Begegnungen vor Ort.

Digitale Kompetenzen aufbauen
Jedoch erfreuen sich digitale Intermediäre von sozialen Interaktionen wie
virtuelle Video-Konferenzen, Arbeitsgruppen, Familientreffen oder sogar
formelle Anlässe wie Absolventenfeiern an Hochschulen zunehmend großer
Beliebtheit. Es scheint, dass die Bereitschaft und Empfänglichkeit der
Konsumenten für solche Angebote durch die Messebranche vorpandemisch
unterschätzt wurde.   Viele Messebetreiber mussten zur Realisierung von
Online-Ersatzangeboten für die abgesagten physischen Messen ad hoc auf
Drittanbieter zurückgreifen. Obwohl die Digitalisierung bereits seit
einigen Jahren auch in der Messebranche ein präsentes Thema ist, wird aus
einem klassischen Messekonzept durch eine App oder eine Live-Stream von
einem Vortrag vor Ort noch kein ganzheitliches online-Messekonzept als
gleichwertiger Ersatz für reale Interaktion vor Ort.

Fokus auf Interaktion und Qualität von Erlebnissen legen
Es wirkt, als lege dieser beobachtbaren Zurückhaltung der Messebranche in
Bezug auf Formen digitaler Interaktionen die Annahme zugrunde, dass diese
das ursprüngliche Geschäftsmodell gefährden. Doch ein Besinnen auf die
Kernkompetenzen der Messebranche zeigt zwei zentrale Aspekte: Zum einen
gibt es Erlebnisformate, die sich – zumindest nach aktuellem Stand – noch
nicht digital darstellen lassen, so bspw. sensorische Erfahrungen wie
Schmecken, Riechen, Fühlen. Hier kann die Vor-Ort-Messe die Kompetenz zur
Realisierung ganzheitlicher Erfahrungs- und Sinneswelten weiterhin
ausspielen. Zum anderen ist die zentrale Kompetenz von Messeveranstaltern
das Zusammenbringen von Akteuren zu marktrelevanten Themen − das “Match
Making“. Die mögliche Monetisierung dieser Kompetenz im Digitalen wird
vermutlich bisher noch erheblich unterschätzt.

Die Zukunft der Messe sollte also auf der Schnittstelle von “realen“ bzw.
physischen und “fiktiven“ bzw. digitalen Interaktionskanälen liegen. Ein
kanalübergreifendes und -integrierendes Experience Management unter
Einsatz von Technologien zur Realisierung von “Mixed Reality“ sollte dabei
den Fokus auf die Interaktion zwischen Menschen und die Qualität von
Erfahrungen legen.

Professor Fritze ist einer von über 170 VHB experts des Verbands der
Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB). Mit rund 2.800
Mitgliedern ist der Verband eine wachsende, lebendige Plattform für
wissenschaftlichen Austausch, Vernetzung und Nachwuchsförderung in allen
Bereichen der BWL und darüber hinaus.