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Neue Auswertung des WSI-Tarifarchivs

Urlaubsgeld: 47 Prozent aller Beschäftigten bekommen es – mit Tarifvertrag
74 Prozent

In Zeiten hoher Inflation sind Sonderzahlungen wie das Urlaubsgeld ein
besonders willkommener Beitrag zur Haushalts- und Reisekasse. In
Deutschland erhalten aber lediglich etwas weniger als die Hälfte (47
Prozent) aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft Urlaubsgeld. Zu
diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Online-Befragung des Internet-Portals
Lohnspiegel.de, das vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut
(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung betreut wird.

Für die Analyse wurden die Angaben von fast 60.000 Beschäftigten aus dem
Zeitraum von Anfang Mai 2022 bis Ende April 2023 ausgewertet.

Ob Beschäftigte Urlaubsgeld erhalten oder nicht, hängt von mehreren
Faktoren ab. Der mit Abstand wichtigste ist die Tarifbindung. So erhalten
74 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen der
Privatwirtschaft Urlaubsgeld, gegenüber nur 35 Prozent der Beschäftigten
in Unternehmen ohne Tarifvertrag (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-
Version dieser PM; Link unten).

Wer bekommt das Urlaubsextra? Unterschiede nach Beschäftigten- und
Unternehmensmerkmalen

In Ostdeutschland wird nach wie vor deutlich seltener Urlaubsgeld gezahlt
als in Westdeutschland. Während im Osten 34 Prozent der Beschäftigten
Urlaubsgeld erhalten, sind es im Westen 49 Prozent. Dieser Unterschied ist
in erster Linie auf die deutlich geringere Tarifbindung im Osten
Deutschlands zurückzuführen. Nach den Ergebnissen des IAB-Betriebspanels
arbeiteten 2021 in Westdeutschland  54 Prozent der Beschäftigten in
Betrieben mit Tarifvertrag. In Ostdeutschland waren es nur 45 Prozent.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Größe des Unternehmens. Denn die
Wahrscheinlichkeit, Urlaubsgeld zu erhalten, steigt mit zunehmender
Beschäftigtenzahl an (ebenfalls Abbildung 1). Auch hier besteht eine enge
Korrelation mit der Tarifbindung, da in großen Unternehmen häufiger ein
Tarifvertrag gilt. Auch bei den Geschlechtern zeigen sich deutliche
Unterschiede: Während die Hälfte aller Männer (50 Prozent) in Betrieben
arbeiten, die ein Urlaubsgeld zahlen, erhalten nur 41 Prozent der Frauen
eine entsprechende Sonderzahlung.

Schließlich hängt die Wahrscheinlichkeit, Urlaubsgeld zu erhalten, auch
mit der Höhe des monatlichen Verdienstes zusammen. Von den Beschäftigten
mit einem niedrigen Bruttomonatslohn von weniger als 2.300 Euro erhalten
nur 38 Prozent Urlaubsgeld. In den darüberliegenden Gruppen mit einem
Monatsverdienst zwischen 2.300 und 4.000 Euro sowie von mehr als 4.000
Euro sind es hingegen 48 bzw. 50 Prozent (siehe auch Abbildung 2 in der
pdf-Version). Auch in dieser Hinsicht besteht ein enger Zusammenhang mit
der Tarifbindung, da Befragte aus dem Niedriglohnsektor deutlich seltener
nach Tarif bezahlt werden.

Große Bandbreite beim tarifvertraglichen Urlaubsgeld

Die Höhe des tarifvertraglich vereinbarten Urlaubsgeldes fällt je nach
Branche sehr unterschiedlich aus: Zwischen 180 und 2.686 Euro bekommen
Beschäftigte in der mittleren Vergütungsgruppe dieses Jahr als tarifliches
Urlaubsgeld (ohne Berücksichtigung von Zulagen/Zuschlägen, bezogen auf die
Endstufe der Urlaubsdauer). Das zeigt die aktuelle Auswertung des WSI-
Tarifarchivs für 22 Tarifbranchen (siehe Abbildung 3 sowie die Tabellen 1
und 2 in der pdf-Version; Stand: Ende April 2023). Am wenigsten
Urlaubsgeld bekommen Beschäftigte in der Landwirtschaft und im Hotel- und
Gaststättengewerbe. Die höchsten Zahlungen erhalten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer unter anderem in der Holz- und Kunststoffverarbeitung, in der
Papier verarbeitenden Industrie, in der Metallindustrie, in der
Druckindustrie, im Kfz-Gewerbe, im Versicherungsgewerbe, im Einzelhandel,
im Bauhauptgewerbe und in der Chemischen Industrie.

Im Westen ist das Urlaubsgeld in vielen Branchen immer noch höher als in
Ostdeutschland. Ausnahmen bilden u. a. das Versicherungsgewerbe, die
Chemische Industrie, die Druckindustrie und das Gebäudereinigungshandwerk,
in denen jeweils in Ost- und Westdeutschland das gleiche Urlaubsgeld
gezahlt wird. Im öffentlichen Dienst und in der Eisen- und Stahlindustrie
gibt es kein gesondertes tarifliches Urlaubsgeld, da es mit dem
Weihnachtsgeld zu einer einheitlichen Jahressonderzahlung zusammengefasst
wird. Auch im Bankgewerbe und in einigen Branchentarifverträgen der
Energiewirtschaft gibt es kein tarifliches Urlaubsgeld.

Gegenüber dem Vorjahr hat sich das tarifliche Urlaubsgeld in 8 von 22 der
hier untersuchten Branchen erhöht. Dies gilt insbesondere für diejenigen
Branchen, in denen das Urlaubsgeld als ein bestimmter Prozentsatz der
Tarifentgelte festgelegt wird. Hierzu gehören im Jahr 2023 das
Bauhauptgewerbe, die Eisen- und Stahlindustrie, der Einzelhandel, die
Druckindustrie, das Gebäudereinigungshandwerk, die Holz und Kunststoff
verarbeitende Industrie, die Papier verarbeitende Industrie und das
Versicherungsgewerbe. Die Erhöhungen des Urlaubsgeldes folgten demnach den
allgemeinen Tariferhöhungen und lagen überwiegend zwischen 1,6 und 2,5
Prozent. Den höchsten Zuwachs beim Urlaubsgeld gab es mit 6,5 Prozent in
der Eisen- und Stahlindustrie sowie mit 8,7 Prozent im
Gebäudereinigungshandwerk.

„Ursprünglich war das seit den 1960er Jahren in vielen Branchen
eingeführte tarifvertragliche Urlaubsgeld dafür gedacht, um mehr
Beschäftigten einen Jahresurlaub zu ermöglichen“, sagt der Leiter des WSI-
Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Aktuell dürfte das Urlaubsgeld
hingegen bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eher ein
willkommener Puffer sein, um die hohen Belastungen durch die stark
gestiegenen Lebenshaltungskosten zu tragen.“ Umso schlimmer sei es, „dass
die Beschäftigten im Niedriglohnsektor einmal mehr zu den Verlierern
gehören, da sie deutlich seltener in Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten
und deshalb auch zumeist beim Urlaubsgeld leer ausgehen.“

Informationen zur WSI-Lohnspiegel-Datenbank:

Für die Auswertung zur Häufigkeit von Urlaubsgeld wurden die Angaben von
59.215 Beschäftigten ausgewertet, die zwischen dem 1. Mai 2022 und dem 30.
April 2023 an einer kontinuierlichen Online-Erhebung des WSI-Portals
Lohnspiegel.de teilgenommen haben. Die Umfrage ist nicht repräsentativ,
erlaubt aber aufgrund der hohen Fallzahlen detaillierte Einblicke in die
Arbeitswelt. Nicht berücksichtigt wurden Beschäftigte des öffentlichen
Dienstes, bei denen das Urlaubs- und Weihnachtsgeld seit der Tarifreform
des Jahres 2005 in einer einzigen Jahressonderzahlung zusammengefasst
wird. Lohnspiegel.de ist ein nicht-kommerzielles Angebot der Hans-Böckler-
Stiftung.