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Holger Hermanns, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes  Oliver Dietze  Universität des Saarlandes
Holger Hermanns, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes Oliver Dietze Universität des Saarlandes

Informatiker der Universität des Saarlandes haben ein Verfahren
entwickelt, mit dem sich unkompliziert und in Echtzeit ermitteln lässt,
wie viele Abgase der eigene Diesel-PKW ausstößt. Dazu benötigt man die
kostenlose App „LolaDrives“ und einen günstigen Bluetooth-Adapter, der das
Diagnosesystem des Autos auslesen kann. Entwickelt wurde die App im Rahmen
des DFG-geförderten transregionalen Sonderforschungsbereichs „Grundlagen
verständlicher Softwaresysteme“ am Saarland Informatics Campus. Nutzer
können ihre Fahrdaten auf freiwilliger Basis für die Forschung
bereitstellen.

Seit September 2017 muss ein Auto einen sogenannten „Real Driving
Emissions (RDE)“-Test bestehen, um in der Europäischen Union zugelassen zu
werden. Dabei werden die Abgasemissionen im Fahrbetrieb unter
realistischen, alltäglichen Bedingungen gemessen. „Wir dachten uns: Dann
sollte doch prinzipiell jeder selbst diesen Test durchführen können“, sagt
Sebastian Biewer, Doktorand am Lehrstuhl „Dependable Systems and Software“
von Professor Holger Hermanns an der Universität des Saarlandes.

Anstatt Testequipment im Wert von Hundertausenden Euros anzuschaffen,
haben die Saarbrücker Informatiker die App „LolaDrives“ entwickelt. Diese
verwendet „RTLola“, eine Technologie zur Analyse von Echtzeitsystemen von
Bernd Finkbeiner, Professor an der Universität des Saarlandes und Faculty
am Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (CISPA). Die App
funktioniert in fast allen Autos ab Baujahr 2005. „Wichtig ist, dass der
Wagen über eine Schnittstelle zur On-Board-Diagnose (OBD) verfügt“, sagt
Sebastian Biewer. Die OBD ist ein Fahrzeugdiagnosesystem, das während der
Fahrt abgasbeeinflussende Systeme und andere Steuergeräte, wie
beispielsweise den Drehzahlmesser, überwacht. Mithilfe eines Bluetooth-
Adapters wird auf die On-Board-Diagnose zugegriffen. Wenn der Wagen läuft,
muss man das Handy per Bluetooth mit dem OBD-Adapter verbinden und die
„LolaDrives“-App starten.

Das Programm erlaubt es dem Nutzer dann entweder, die Daten des
Diagnosesystems auszulesen, oder es führt ihn Schritt für Schritt durch
einen RDE-Test. „LolaDrives ist nach unserer Kenntnis die einzige App, die
einen RDE-Test ermöglicht“, ergänzt Sebastian Biewer. Damit die App die
Emissionswerte errechnen kann, muss die OBD-Schnittstelle des Wagens
jedoch die passenden Daten zur Verfügung stellen – insbesondere die Werte
des Stickoxid-Sensors des Abgassystems, der nur in Diesel-Fahrzeugen
verbaut ist. Ob die passenden Daten abgerufen werden können und damit ein
RDE-Test machbar ist, teilt „LolaDrives“ direkt nach dem Start eines Tests
mit.

Den App-Entwicklern war es wichtig, die Benutzung so einfach wie möglich
zu gestalten. Denn für einen gültigen RDE-Test müssen zahlreiche
Bedingungen erfüllt sein: Die Fahrtdauer muss mindestens 90 bis120 Minuten
betragen, in festgelegten Distanzen in verschiedenen Abschnitten
stattfinden (Innerorts, Landstraße und Autobahn), bestimmte
Geschwindigkeitsvorgaben dürfen nicht verletzt werden und auch das
Beschleunigungs- und Bremsverhalten spielt eine Rolle. „Unsere App zeigt
all diese Elemente in einer leicht verständlichen Nutzeroberfläche an und
führt strukturiert durch die verschiedenen Stufen des Tests, indem sie
genau ansagt, was wann zu tun ist. Sie teilt mit, ob der Test erfolgreich
war und auch, ob der Test durch den Verstoß gegen eine der Vorgaben
unwiederbringlich gescheitert ist“, sagt Yannik Schnitzer, der als Student
der Informatik bereits ab seinem zweiten Semester die Entwicklung der App
vorangetrieben hat.

Nutzer können ihre Fahrdaten auf freiwilliger Basis und ohne Einschränkung
der App-Funktionalitäten datenschutzkonform an die Forscher spenden.
Informatik-Professor Holger Hermanns, Sprecher des transregionalen
Sonderforschungsbereichs „Grundlagen verständlicher Softwaresysteme“, in
dessen Rahmen die Forschung um „LolaDrives“ stattfindet, sagt dazu:
„Anhand der Daten möchten wir eine Plattform aufbauen, mit der wir mehr
Transparenz und Verständlichkeit in den KFZ-Bereich bringen wollen.
Vergangene Skandale haben gezeigt, wozu es führt, wenn Hersteller
verantwortungsloses Handeln durch Intransparenz verschleiern können. Wir
wollen helfen, Softwareverhalten aufzudecken, das für den Hersteller der
Software vorteilhaft, aber für den Benutzer oder die Gesellschaft
unerwünscht ist.“

Die RDE-Tests, die mit der App durchgeführt werden, sind rechtlich nicht
bindend. „Uns geht es darum, das Informationsbedürfnis der Nutzer zu
stillen. Die Ergebnisse unserer RDE-Tests sind plausibel, wenn man sie im
Kontext der veröffentlichten Emissions-Daten und Grenzwerte betrachtet.
Aber letztendlich sind sie Annäherungen an die ‚echten‘ Tests, die
zwingend mithilfe kostspieliger mobiler Mini-Labors durchgeführt werden
müssen,“ sagt Professor Holger Hermanns.

„LolaDrives“ ist zurzeit für Android über den Google Playstore erhältlich.
Eine Version für Apple-Geräte ist bereits in Entwicklung. Das Projekt
verfügt zudem über ein begrenztes Kontingent an Bluetooth-OBD-Adaptern,
die interessierten Datenspendern kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Hintergrund TRR 248 „Grundlagen verständlicher Software-Systeme“:
Der transregionale Sonderforschungsbereich „Grundlagen verständlicher
Software-Systeme - für eine nachvollziehbare cyber-physische Welt“ wurde
2018 etabliert und ist eine Kooperation der Universität des Saarlandes,
der Technischen Universität Dresden sowie der Max-Planck-Institute für
Informatik und Softwaresysteme. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft
fördert den SFB über zunächst vier Jahre mit elf Millionen Euro. Der SFB
untersucht, wie die Entscheidungen komplexer Computersysteme, die immer
mehr unser alltägliches Leben beeinflussen, verständlich und
nachvollziehbar werden können. Informationen zum Sonderforschungsbereich:
https://www.perspicuous-computing.science/  und
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/389792660

Hintergrund Saarland Informatics Campus:
800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und rund 2100 Studierende aus
mehr als 80 Nationen machen den Saarland Informatics Campus (SIC) zu einem
der führenden Standorte für Informatik in Deutschland und Europa. Fünf
weltweit angesehene Forschungsinstitute, nämlich das Deutsche
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Max-Planck-
Institut für Informatik, das Max-Planck-Institut für Softwaresysteme, das
Zentrum für Bioinformatik und das Cluster für „Multimodal Computing and
Interaction“ sowie die Universität des Saarlandes mit drei vernetzten
Fachbereichen und 24 Studiengänge decken das gesamte Themenspektrum der
Informatik ab.