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Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke  U.Wolf
Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke U.Wolf

Forschungsprojekt SimCityNet stellt digitalen Zwilling zur Konzeption und
Bewertung von E-Fahrzeugen in kommunalen Flotten her
Sollte in E-Fahrzeuge investiert werden und wenn ja, in welche Art von
Fahrzeugen konkret? Welche Vorteile ergeben sich für die kommunale Flotte?
Um diese und weitere Fragen zu beantworten hat das Research Lab for Urban
Transport (ReLUT) der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt
UAS) in den vergangenen zwei Jahren das Forschungsprojekt SimCityNet
wissenschaftlich begleitet. Das vom Land Hessen geförderte Projekt wurde
im Verbund mit mehreren Partnern der Stadt Hanau umgesetzt.
Kooperationspartner waren die Hanauer Straßenbahn GmbH (HSB), Hanau
Infrastruktur Service (HIS) und die Hanau Wirtschaftsförderung GmbH (HWG)
sowie als Konsortialführerin die in Hanau ansässige
Simulationsdienstleisterin SimPlan AG. Im Projekt wurde ein digitaler
Zwilling des Hanauer Straßennetzes erstellt, mit dem sich die Potenziale
von alternativ angetriebenen Fahrzeugen im öffentlichen Personennahverkehr
und kommunalen Entsorgungsbetrieben simulieren lassen.

„Die Elektromobilität ist eine der sich am dynamischsten
weiterentwickelnden Innovationsthemen. Der öffentliche Verkehr sowie
kommunale Entsorgungsbetriebe bieten bei der Verkehrswende eine große
Chance, da sich die täglichen Laufleistungen der Fahrzeuge sehr gut
abschätzen lassen“, erläutert Prof. Dr. Josef Becker vom Fachbereich
Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik der Frankfurt UAS und im ReLUT-
Team zuständig für Schienenverkehrswesen und öffentlichen Verkehr. Im
Schienenpersonennah- und Fernverkehr wird die Elektromobilität bereits
seit mehreren Jahrzenten betrieben. Das Projekt SimCityNet erweiterte den
Einsatz von Elektromobilität auf den straßengebundenen öffentlichen
Verkehr und setzte gezielt auf die Potenziale von batterieelektrisch
betriebenen Bussen und Brennstoffzellenbussen im Linienverkehr sowie
entsprechenden Nutzfahrzeugen in städtischen Entsorgungsbetrieben.

Die Konzeption eines Simulationsmodells erforderte zunächst eine
umfassende Analyse und Datenerhebung der aktuell bestehenden Prozesse
beider Hanauer Praxispartner. Hierbei wurden u.a. Routenplanungen und
Fahrpläne optimiert und Einsparpotenziale im Bereich von lokalen
Emissionen identifiziert. Darauf aufbauend wurden entsprechende Soll-
Konzepte entwickelt, die den möglichen Einsatz alternativ angetriebener
Fahrzeuge für die Zukunft beschreiben. Mittels der gewonnenen Erkenntnisse
wurden die Prozesse in das Verkehrsmodell implementiert und validiert. Für
die Simulation von unterschiedlichen Szenarien erfolgt eine
Parametrisierung einflussnehmender Parameter durch den Modellnutzer.
Hierzu zählt u.a. die zu simulierende Flottengröße, Antriebstechnologie,
Ladeinfrastruktur, Lademanagement und Witterung. Da bei heutigem Stand der
Technik die Reichweite der batterieelektrischen Fahrzeuge teilweise nicht
ausreicht, um alle planmäßigen Fahrten des Busses an einem Tag ohne
zwischenzeitliches Laden zu absolvieren, wurden mittels Algorithmen neue
Umläufe im Abgleich mit der gewählten Referenzreichweite der
Fahrzeugmodelle ermittelt. Neben der Visualisierung der Prozesse beider
Betriebe im Verkehrsmodell wurden während der Simulationsberechnung
permanent Auswertungen und Statistiken zu den gefahrenen Umläufen/Touren
und Fahrzeugen (z.B. Energieverbrauch, gefahrene Strecke, Ladezustand)
erfasst. Damit konnten nicht nur die Fahrten simuliert werden, sondern
auch die Ladevorgänge. Somit konnten auch notwendige Hinweise zur
Dimensionierung der Energieversorgung aufgezeigt werden.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Umstellung der Flotte von konventionellen
Antrieben auf eine Brennstoffzellen-Flotte zu keiner betrieblichen
Veränderung gegenüber dem Ist-Ablauf führt, aufgrund ausreichender
Fahrzeugreichweiten sowie vergleichbar kurzen Tankzeiten. Die
Implementierung einer größeren Anzahl an Brennstoffzellenfahrzeugen ist
allerdings auch mit einem erheblichen finanziellen Mehrbedarf verbunden,
sowie der Frage nach einer überhaupt ausreichend verfügbaren Anlieferung
und Speicherung von Wasserstoff auf dem Betriebshof“, so Prof. Dr. Kai-
Oliver Schocke vom Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt UAS und
im ReLUT-Team zuständig für Logistik und Produktionsmanagement. Um den
Busbetrieb mit batterieelektrischen Fahrzeugen aufrecht zu erhalten, ist
eine Anpassung der Einsatzpläne der einzelnen Fahrzeuge zwingend
erforderlich. „Kurz- bis mittelfristig können eine Vielzahl der
bestehenden Umläufe von batterieelektrischen Fahrzeugen übernommen werden.
Die begrenzten Reichweiten führen langfristig allerdings zu einem
signifikanten Mehrbedarf an Fahrzeugen“, so Schocke. „Bei den
Abfallbetrieben wird bei einem Mix von Elektro- und Wasserstoffantrieb die
Anzahl der Fahrzeuge allerdings nicht verändert.“

„Der digitale Zwilling wurde so erstellt, dass er grundsätzlich auf andere
Anwendungsfälle bzw. Kommunen übertragbar und um andere Aspekte (z. B.
Logistik) erweiterbar ist“, gibt Becker einen Ausblick in die Zukunft.
Becker bettet das Hanauer Projekt zudem in den Gesamtzusammenhang der
deutschen Klimaziele ein, die Treibhausgasemissionen deutlich zu
reduzieren. Große Potenziale lägen dabei im Verkehrssektor und speziell in
der Elektrifizierung von Kraftfahrzeugantrieben. Weit schwieriger als der
Test einzelner Fahrzeuge sei es zu bewerten, wie sich ein umfassender
Umstieg von größeren Teilen oder gar der gesamten Flotte eines
Verkehrsunternehmens von Dieselbussen auf solche mit alternativen
Antrieben auswirke. „Während die drängende Frage nach den
Emissionseinsparungen mit herkömmlichen Verfahren noch beantwortbar
scheint, sind Fragestellungen des operativen Betriebs bislang in weiten
Teilen unbeantwortet. Mit dem Zwilling können wir diese Wissenslücke
schließen.“

Weitere Informationen zum Projekt und Ergebnisse im Abschlussbericht unter
Veröffentlichungen auf: <www.relut.de/>.

Research Lab for Urban Transport (ReLUT)
Im Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt University of
Applied Sciences forscht ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft und
Praxis zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs im
städtischen Raum. Dabei konzentriert es sich u.a. auf die Entwicklung von
wirtschaftlichen und ökologischen Last-Mile-Lösungen für Liefer- und
Frachtdienste aus dem Kurier-Express-Paket-(KEP)-Bereich. Weitere
Informationen unter: <https://www.relut.de>.