Pin It

In der Vergangenheit gab es viele Tüftler, die sich an der Konstruktion
eines selbstfahrenden Objekts versuchten. Doch der wohl Erste, der es
schaffte, war Ferdinand Verbiest im Jahr 1675. Studierende der Technischen
Hochschule Ingolstadt haben das Fahrzeug in mühevoller Konstruktionsarbeit
nachgebaut und damit bewiesen, dass Verbiests Modell tatsächlich fuhr. Die
Beschreibung fanden sie in einem historischen Büchlein aus Dillingen.

Der 29. Januar 1886 gilt als die Geburtsstunde des Automobils. An diesem
Tag erhielt Carl Benz das Patent für sein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.
Ein Ereignis, das den Lauf der Geschichte verändert sollte. Aber wirklich
der Erste, der ein Automobil, also ein selbstfahrendes Objekt (von „autos“
= selbst und „mobilis“ = beweglich) erfunden hatte, war Carl Benz nicht.

1870 hatte beispielsweise Siegfried Marcus einen Kraftwagen mit
Benzinmotor in Bewegung gesetzt, Isaac de Rivaz verwendete Anfang des 19.
Jahrhunderts einen Gasmotor, um seinen Wagen anzutreiben und Nicolas
Joseph Cugnot war noch ein bisschen früher dran. Er baute 1769 einen
Dampfwagen. In der Geschichtsschreibung fanden die Tüftler kaum Erwähnung.
Genauso wie Ferdinand Verbiest (1623-1688). Der Belgier konstruierte vor
knapp 350 Jahren ein selbstfahrendes Gerät und gilt damit als
tatsächlicher Erfinder des Automobils.

Mitfahren konnte man in dem etwas skurril anmutenden Gefährt nicht. Es war
60 Zentimeter lang, 30 Zentimeter breit und hatte zwei Achsen mit vier
Rädern. Ein fünftes diente zum Lenken, ähnlich einem Ruder bei einem
Schiff. Der Transport von Menschen und Lasten war auch gar nicht das Ziel
von Ferdinand Verbiest. Dem Jesuitenpater ging es um den Beweis, dass das
Prinzip des „Selbst-Bewegers“ mit Dampf funktioniert. 1675 war das eine
Sensation – auch wenn sie es als solche nicht in die Weltöffentlichkeit
schaffte. Das kleine Gefährt drehte damals in Peking seine Runden und
sollte dem chinesischen Kaiser imponieren. Es sollte zeigen, zu welch
technischen Leistungen der Westen fähig war, erklärt Dr. Gerd Treffer.

Dem Jesuitenpater ging es um den Beweis des "Selbst-Bewegers"

Der Ingolstädter Historiker hat eine Ausstellung über den Friedhof der
jesuitischen Missionare in Peking kuratiert. Dabei stieß er auf das Grab
von Verbiest und beschäftigte sich mit dessen Biografie. In dem Buch
„Astronomia Europaea“, das in Dillingen gedruckt wurde, fasste Verbiest
für seine Ordensoberen alle wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten in
China zusammen. Es enthält eine sehr exakte Beschreibung eines kleinen
Wagens. „In seine Mitte stellte ich ein Becken voller glühender Kohlen und
über dieses Behältnis eine Aeolopile (= Dampfturbine); mit der Achse der
Vorderräder verband ich ein bronzenes Zahnrad, dessen Zähne, quer liegend
und horizontal, in ein anderes kleines Rad eingriffen, das an einer -
senkrecht zum Horizont stehenden - Achse befestigt, dergestalt wirkte,
dass sich, wenn sich die letztgenannte Achse drehte, der Wagen bewegte",
schrieb der Jesuit. Denn dieser Achse habe er ein weiteres Rad beigefügt,
das außen mit paarweisen kleinen Tuben bestückt war. „Auf sie drückend
drehte der von einer engen Düse der Aeolopile ausgestoßene Wind das ganze
Rad und trieb zugleich den Wagen an, der eine Stunde und mehr in ziemlich
rascher Art fuhr.“

Eine Zeichnung oder einen Bauplan gab es nicht. Aber Treffers Interesse
war geweckt. Er wollte wissen, ob sich dieses Fahrzeug tatsächlich
fortbewegen konnte. Den Beweis dazu lieferten nun Studierende der
Technischen Hochschule Ingolstadt (THI). Prof. Dr. Thomas Suchandt nutzte
zusammen mit seinen Studentinnen und Studenten die Beschreibungen aus
Verbiests Buch, um die Konstruktionspläne für das Automobil zu erstellen.
Zunächst bauten sie das Modell aus modernen Materialien, um zu überprüfen,
ob es überhaupt fährt. Sie suchten nach der passenden Holzart,
experimentierten mit dem richtigen Druck und der Wassermenge.
Experimentieren war die Devise. „Einige Teile flogen uns um die Ohren“,
erzählt der Maschinenbau-Ingenieur, der an der THI als Vizepräsident für
Forschung und Transfer zuständig ist. Die Holzarbeiten fertigten Schüler
der Ingolstädter Montessori-Schule. Zeitgleich war das ganze Projekt eine
Reise in die Geschichte der Technik, sagt Prof. Dr. Thomas Suchandt: „Wir
haben uns mit Dingen beschäftigt, die seit Jahrhunderten nicht mehr in
Gebrauch waren.“

Das Objekt bewegt sich durch Wasserdampf

Doch es hat funktioniert, die erste Ausfahrt glückte, und damit war der
Beweis erbracht: Das Objekt kann sich selbst mit Wasserdampf fortbewegen.
Eine Sensation, wie Treffer findet, auch wenn sie die Geschichtsschreibung
über das erste Automobil nicht verändern wird. „Der Rückstoß mit Hilfe von
Wasserdampf war schon den alten Ägyptern bekannt“, berichtet Suchandt.
Doch diese Wärmekraftmaschine, Aeolipile genannt, galt damals als Kuriosum
ohne praktischen Nutzen. „Das Spektakuläre an Verbiests Entwicklung ist,
dass sich das Objekt selbst bewegen kann“, so der Professor.

Rund 100 Jahre nach Verbiest hatte der Physiker Johann Lorenz Böckmann das
Gefährt schon einmal nachgebaut, wie Gerd Treffer recherchiert hat: „Er
verwendete es damals zu Demonstrationszwecken in seinem Unterricht als
Professor am Lyzeum in Karlsruhe.“ In der Lehrsammlung wurde es
aufbewahrt, ging dann aber verloren, erzählt der Historiker. Ein
unbekannter Zeichner hat wohl davon eine Skizze angefertigt. Gerd Treffer
hat sie als Deckblatt für seine Publikation der Geschichte von Verbiest
und dem Gefährt verwendet.

Initiiert und finanziert wurde das Projekt vom Audi Konfuzius Institut
Ingolstadt (AKII), an dem Treffer der Leiter historischer Projekte ist.
Nun wollen die Studierenden das Fahrzeug mit historischen Materialien
nachbauen.

Info: Dr. Gerd Treffers Publikation „Das erste auto-mobile der
Weltgeschichte. Des Jesuitenprofessors Ferdinand Verbiests Erfindung für
den Kaiser von China (1676/1678)“ kann im Audi Konfuzius Institut
Ingolstadt erworben werden.