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Der Traum von mehr Ruhe für Mensch und Natur im Umfeld von Autobahnen
könnte zukünftig dank einer gemeinsamen Entwicklung aus dem Fraunhofer-
Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF und der
ASFINAG, der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-
Aktiengesellschaft in Österreich, Realität werden. Die Fraunhofer-Forscher
haben einen Lärmschutz-Prototypen entwickelt, der zukünftig mehr Effizienz
beim Schutz vor Schallwellen bietet. Durch eine mit vibroakustischen
Metamaterialien (VAMM) ausgestattete Glas-Lärmschutzwand konnte im Labor
eine Übertragungsreduktion von bis zu 20 Dezibel (dB) im Vergleich zu
einer konventionell absorbierenden Lärmschutzwand erzielt werden.

2020 hatte die ASFINAG in Zusammenarbeit mit der IÖB (Innovationsfördernde
Öffentliche Beschaffung) die Challenge »Autobahnen und Schnellstraßen:
Lärmlast durch Technologie reduzieren« ausgerufen. Das Konzept des
Darmstädter Forschungsinstituts, Lärmschutzwände mit VAMM leiser zu
gestalten, hat sich dabei unter vielen Einreichungen in der Jurywertung
durchgesetzt.

Die Fraunhofer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigten sich
bereits in verschiedenen Forschungsprojekten mit VAMM, beispielsweise in
der Luft- und Raumfahrt, dem Automobilbau oder dem Maschinenbau und
betrachten dabei unterschiedliche Konzepte von lokalen Resonatoren. Ihre
Expertise und Kompetenz reicht von der numerischen Auslegung der
Materialen über die Konzeptentwicklung bis zur späteren Realisierung als
Prototyp. Sie erarbeiten großserientechnisch herstellbare VAMM und
schließen damit die Lücke zwischen Forschung und Anwendung.

Meilenstein für Lärmschutz-Technologie

2021 beauftragte die ASFINAG das Fraunhofer LBF mit der Entwicklung des
Laborprototypens zur Überprüfung des theoretischen Ansatzes für die
Wirkung schwingungsmindernder Materialien in Lärmschutzwänden. Die
Ergebnisse sind vielversprechend: Durch die mit VAMM ausgestattete Glas-
Lärmschutzwand konnte im Labor eine Übertragungsreduktion von bis zu 20
Dezibel (dB) im Vergleich zu einer konventionell absorbierenden
Lärmschutzwand erzielt werden. Zum Vergleich: eine Reduktion des
Schalldruckpegels um sechs dB bedeutet bereits eine Halbierung der
wahrgenommenen Lautstärke. »Wir sehen in VAMM ein großes Potenzial in der
effektiven Reduktion von Vibrationen und Lärm bei gleichzeitig geringerem
Ressourceneinsatz«, so Projektleiter Sebastien Rieß aus dem Fraunhofer
LBF.

Die Forschungsergebnisse zu vibroakustischen Metamaterialien können in der
praktischen Anwendung an der Autobahn einen Meilenstein bei der
Weiterentwicklung von Lärmschutz-Technologie bedeuten. VAMM ermöglichen
es, das Schwingungsverhalten von Strukturen zu beeinflussen. »Vereinfacht
gesagt wird eintreffender Luftschall in Körperschall gewandelt. Dieser
wird durch die Schallschutzwand nicht weiter- oder abgeleitet, sondern
absorbiert«, erläutert Peter Rath, Experte für Video- und Akustikdetektion
in der ASFINAG Maut Service GmbH.

Gefördert von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft soll
Mitte 2022 die Ausschreibung zu einer Innovationspartnerschaft für VAMM
erfolgen – mit dem Ziel, den Laborprototypen auf die Autobahnen und
Schnellstraßen zu bringen.

Vibroakustische Metamaterialien für spezifisches Produktdesign

Mit Metamaterialien wird ein in der Natur nicht vorkommendes Verhalten
erzeugt. Neben optischen und elektromagnetischen Metamaterialien werden
spezielle Formen von Metamaterialien auch zur Lärm- und
Schwingungsminderung eingesetzt. Vibroakustische Metamaterialien werden
aus mehreren periodisch angeordneten Einheitszellen gebildet - dem
kleinsten identischen Teil der Grundstruktur, auf dem ein Resonator
(Feder-Masse System) sitzt. Die lokalen Resonatoren sind gezielt auf der
Subwellenlängenskala der einfallenden Welle platziert. Sie sind auf eine
Resonanzfrequenz abgestimmt, bei der eine Schwingungsreduktion
erforderlich ist. Die Wechselwirkung zwischen den lokalen Resonatoren und
der einfallenden Welle führt zu einem Stoppband - einem Frequenzbereich
mit hoher Schwingungsreduktion.

»Am Fraunhofer LBF entwickeln unsere Fachteams effiziente numerische
Routinen zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens von vibroakustischen
Metamaterialien. Diese Routinen werden für das Design von
branchenspezifischen Produkten eingesetzt« erläutert Heiko Atzrodt,
verantwortlich für die Abteilung Strukturdynamik und Schwingungstechnik im
Fraunhofer LBF.