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Autos sind bis unters Dach vollgepackt mit Technik. Immer neue Funktionen
machen das Fahren angenehmer oder sicherer. Dies alles auf kleinstem Raum
zu verkabeln, ist ein hartes Stück Handarbeit. Professor Stefan Diebels
erforscht mit seinem Team an der Universität des Saarlandes, welche Kräfte
auf Kabel wirken, wenn sie zugleich gebogen und verdreht werden. Mit dem
Fraunhofer ITWM und der Firma fleXstructures arbeitet er an Simulationen,
mit denen die Autoindustrie den Einbau vorausschauend planen und die Kabel
leichter und besser im Wagen unterbringen kann. Das Transferprojekt wird
gefördert von der Fraunhofer-Gesellschaft und der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG).

In Oldtimern ist noch alles überschaubar: Von Batterie oder Lichtmaschine
führen Kabel zu Motor, Lichtern, Radio oder Scheibenwischern. Heute
dagegen stecken Tausende von Einzelkabeln in dicken Kabelbäumen, die sich
im Fahrzeug verästeln wie ein Wurzelwerk. Sie versorgen und verknüpfen
unzählige Sensoren und Minicomputer, die untereinander kommunizieren und
alles Mögliche steuern: vom Tempomat, Spur- oder Bremsassistenten bis hin
zum Fensterheber – etwa damit Scheiben beim Verriegeln der Türen
automatisch hochfahren. „Je mehr Komfort, Sicherheit und Multimedia Einzug
halten und je autonomer das Fahrzeug agieren soll, desto mehr Kilometer
verschiedenster Kabel müssen im Auto untergebracht werden“, erklärt der
Ingenieurwissenschaftler Professor Stefan Diebels von der Universität des
Saarlandes.

Das Verlegen der Kabel geht nur von Hand; die flexiblen und mitunter
laschen Leitungen sind für Roboterhände unberechenbar und nicht zu
händeln: Kabeleinbau ist nach wie vor eine komplexe und aufwändige
Geduldsarbeit für Autobauer. Schließlich muss das gesamte Nervenkostüm des
Autos in Karosserie und Innenverkleidung verschwinden, ohne dass sich
Kabel verheddern. Oft wird es dabei eng. Vor allem darf kein Kabel zu sehr
verbogen oder verdreht werden, sonst funktioniert bald weder Strom- noch
Datenfluss. Nicht selten stellen sich Engstellen erst im Prototyp heraus,
und es muss umgeplant werden. Auch können Kabel infolge des komplizierten
Einbaus Schaden nehmen und zu Sicherheitsrisiken oder teuren
Rückrufaktionen führen.

Neuartige Simulationen sollen jetzt den Kabeleinbau erleichtern und
sicherer machen. Hieran forschen Professor Stefan Diebels und sein Team am
Saarbrücker Lehrstuhl für Angewandte Mechanik gemeinsam mit der Abteilung
„Mathematik für die digitale Fabrik“ unter Leitung von Dr.-Ing. Joachim
Linn am Kaiserslauterer Fraunhofer-Institut für Techno- und
Wirtschaftsmathematik sowie dem Fraunhofer-Spin-off fleXstructures als
Praxis-Partner.

„Unser Ziel ist es, dass die Entwicklungsabteilungen der Autoindustrie den
Einbau der Kabel schon in der Designphase durchspielen können“, erklärt
Stefan Diebels. Auf diese Weise sollen sie am virtuellen Reißbrett zum
einen früh Schwachstellen wie Engstellen beim Verlegen erkennen, wo Kabel
etwa Gefahr laufen, durch Knicken oder Biegen Schaden zu nehmen. Zum
anderen wird so planbar, wo welche Kabel für den späteren Betrieb am
besten durchgeführt und befestigt werden, so dass Schäden und früher
Verschleiß durch Scheuern oder scharfe Kanten verhindert werden können.

Um solche Simulationen entwickeln zu können, sind zunächst genaueste
Kenntnisse nötig, wie sich verschiedene Kabeltypen verhalten, wenn sie –
wie beim Einbau ins Auto – belastet werden. Dies ist der Forschungspart
des Teams der Universität des Saarlandes: Professor Diebels und seine
Arbeitsgruppe, darunter auch Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen
ihrer Doktorarbeit, führen umfangreiche experimentelle Untersuchungen an
unterschiedlichen Kabelproben durch und bestimmen mechanische Parameter
der Kabelsysteme – will heißen: An mehreren, eigens hierfür
weiterentwickelten Versuchsständen biegen, belasten und verdrehen sie
verschiedene Kabelarten und sammeln dabei Daten, welche Kräfte wirken und
was genau mit den Kabeln passiert.

Was sich einfach anhört, ist hoch komplex. Wird das Kabel frei verformt,
kommen verschiedenste Effekte auf, die sich durch die Kopplung von
Biegeverhalten bei gleichzeitiger Drehung, also Torsion, ergeben. „Solche
Kombinationen aus Biegen und Drehen kommen in der Praxis beim Verlegen der
Kabel typischerweise vor. Wir untersuchen gezielt diese Wechselwirkungen
bei Überlagerung von Biegen und Torsion unterschiedlicher Kabeltypen und
modellieren die mechanischen Belastungen“, erläutert Stefan Diebels.
„Hierzu haben wir spezielle Versuchsstände entwickelt, in denen die
unterschiedlichen Lastfälle einzeln und in Kombination aufgebracht werden
können“, sagt Dr. Prateek Sharma, der in Diebels Team forscht. „Wegen der
großen Vielfalt an unterschiedlichen Kabeln benötigen wir für die
Modellierung eine große Basis an experimentellen Daten. Da die
Zusammenhänge sehr komplex sind, ist eine Auswertung der Daten mittels KI-
Methoden erforderlich“, erläutert Doktorandin Carole Tsegouog, die im
Rahmen ihrer Doktorarbeit am Projekt arbeitet.

Auf derartige Belastungsforschung ist die Saarbrücker Arbeitsgruppe
spezialisiert. In anderen Forschungsprojekten untersuchen sie
beispielsweise die Belastung in Unterschenkelknochen beim Gehen, was
Grundlage für neuartige Behandlung von Knochenbrüchen durch „intelligente“
Implantate ist.

Die so in Saarbrücken gewonnenen Daten nutzen die Kaiserslauterer
Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer-ITWM für die
Materialmodellierung. Sie setzen die Daten mithilfe maschineller
Lernmethoden in Simulationen um.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Fraunhofer-Gesellschaft
fördern das trilaterale Projekt „ProP4CableSim - Property Predictor für
die Simulation von Kabelsystemen“, das Forschung, anwendungsorientierte
Wissenschaft und Industriepraxis verbindet, als Transfer von Erkenntnissen
aus DFG-geförderten Vorhaben in die Wirtschaft mit einem Gesamtvolumen von
850 000 Euro für drei Jahre. 263.000 Euro davon fließen an die Saarbrücker
Arbeitsgruppe.

Die Projektleitung liegt bei Professor Stefan Diebels, Universität des
Saarlandes, und Dr.-Ing. Joachim Linn vom Fraunhofer-Institut für Techno-
und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern, wo in der von ihm
geleiteten Abteilung "Mathematik für die Digitale Fabrik" die
Forschungsgruppe von Dr. Vanessa Dörlich beteiligt ist. Anwendungspartner
ist die Fraunhofer-Ausgründung fleXstructures GmbH (Projektgruppe von Dr.
Meike Schaub), die eng mit der Automobilindustrie zusammenarbeitet und die
Materialproben liefert, die sämtliche Varianten an Kabeln und Schläuchen
abdecken.