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U-Bahnen ohne Fahrer sausen durch den Nürnberger Untergrund und in Kronach
fahren autonome Shuttle-Busse. Es sind die ersten Zeichen einer
Entwicklung, die unsere Mobilität für immer verändern wird. Der
Studiengang Autonomes Fahren der Hochschule Coburg und der Thinktank von
Valeo in Kronach-Neuses bringen das Thema weiter voran.

Neben dem großen Valeo-Industriegebäude befindet sich im oberfränkischen
Kronach-Neuses auch ein Gebäude mit einer eigenen Testhalle und -strecke
nur fürs Autonome Fahren. Über 100 Expertinnen und Experten arbeiten hier
bei einem Weltmarktführer für Sensorik an der nächsten Stufe der
revolutionären Technologie. Es wird programmiert, simuliert und getestet.
Ein Thinktank für Autonomes Fahren. „Zunächst gibt es nur das Fahrzeug,
ein paar Sensoren und Steuerungselemente“, sagt Toni Baric. „Erst durch
den Programmiercode entsteht etwas Intelligentes, das selbstständig
Entscheidungen treffen kann.“ Der Programmiercode ist wie im Märchen der
Feenstaub: Er haucht den Fahrzeugen autonomes Leben ein. Die Expert:innen
schauen ihren „Babys“ dann beim Fahrenlernen zu.

Seit 2020 gibt es den Master-Studiengang Autonomes Fahren der Hochschule
Coburg am Lucas-Cranach-Campus in Kronach. Toni Baric stammt aus Kroatien
und arbeitete zunächst für eine Job-Agentur in Thüringen, die Fachkräfte
aus seiner Heimat nach Deutschland bringt. Während der Pandemie beschloss
er, ein Studium mit Perspektive zu beginnen und sich ein neues Leben in
Deutschland aufbauen. Schon nach dem ersten Semester Autonomes Fahren
hatte er eine Festanstellung bei Valeo sicher.

Von Russland in den Frankenwald

„Autonomes Fahren ist zukunftsträchtig“, sagt auch Artem Lukin. Während
seines Bachelorstudiums in Russland entdeckte er sein Interesse am
Programmieren. Über Studieninformationsseiten fand er den Weg nach Kronach
und begann hier das Masterstudium. „Da ich nicht nur am PC sitzen möchte,
sondern auch tüfteln wollte, war Autonomes Fahren genau das Richtige für
mich.“ Aktuell sammelt er als Praktikant bei Valeo Praxiserfahrungen.

Die Funktionen beim Autonomen Fahren sind neuartig und sie sind komplex.
In der Regel arbeiten sie nicht auf Anhieb effektiv. Artem Lukin erklärt
dies so: „Aufwändige Projekte werden untereinander aufgeteilt und jeder
ist für seinen Part verantwortlich. Dann werden die Algorithmen ins
Gesamtsystem integriert. Ab da heißt es: viel testen, um Fehler zu
erkennen, die dann schrittweise korrigiert werden, bis es klappt.“ Das
anfängliche Scheitern sowie die stetige und schnelle Verbesserung sind
fester Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Diese agile Arbeitsweise
lernen die Studierenden bereits im Rahmen ihres Studiums intensiv kennen.

Teamwork und Projektarbeit

Festgefahrene Stundenpläne und Vorlesungen gibt es nicht im Studiengang
Autonomes Fahren der Hochschule Coburg. Vielmehr arbeiten die Studierenden
an konkreten Projekten, entwickeln ihre eigene Produktlösung, testen diese
und entwerfen sogar Vermarktungskonzepte. Die Studierenden bilden ein
Projekt-Team und nehmen hierbei unterschiedliche Rollen ein. Durch dieses
neuartige Studienkonzept entsteht eine besondere Dynamik. Studierende
lernen nicht nur das Fachliche, sondern entwickeln auch ihre
zwischenmenschlichen Fähigkeiten – auch dank des aktiven Coachings durch
die Dozent:innen weiter.

Dieses Konzept war für Lea Städtler letztlich entscheidend dafür, in
Kronach zu studieren: „Nach meinem Bachelor-Abschluss in Leipzig war mir
klar, dass ich nicht weiter monoton auswendig lernen, sondern mein Wissen
direkt praktisch anwenden wollte. Hier studieren wir nicht, sondern wir
arbeiten an echten Projekten. Wie in der Praxis üblich, mit klaren
Aufgabenpaketen und Feedbackrunden, dank derer man sich fachlich und auch
persönlich weiterentwickelt.“ Das Studium ist arbeits- und zeitintensiv,
dafür hat man schon nach drei Semestern den Master und viele
praxisrelevante Erfahrungen in der Tasche.

Wie Nutzer:innen die Technologie erleben

In einem aktuellen Projekt beschäftigen sich die Studierenden mit der
Frage, wie automatisierte Bus-Shuttles durch Teleoperator:innen gesteuert
werden können. Zur Zeit müssen Operator:innen unter anderem aus
rechtlichen Gründen noch im Shuttle mitfahren. Teleoperator:innen können
von einem Leitstand aus mehrere Shuttles gleichzeitig steuern. In
kritischen und für das Fahrzeug unbekannten Situationen können sie
einschreiten und das Fahrzeug manuell steuern. Die Herausforderung ist,
die Übernahme des Fahrzeugs so einfach und kontrolliert wie möglich zu
gestalten. Wichtig sind nicht nur Technik und Kommunikation zwischen
Fahrzeug und Leitstand, sondern auch, dass für die Teleoperator:innen alle
Elemente im Bedienfeld systematisch und übersichtlich angeordnet sind,
dass die Sitzposition angenehm ist und der Mensch optisches und haptisches
Feedback bekommt: beispielsweise Vibration am Lenkrad, damit das
Fahrgefühl möglichst echt ist. Lea Städtler hatte sich gleich beim ersten
Projekt für die User Experience interessiert und darauf spezialisiert.
„Autonomes Fahren wird die gesamte Mobilität verändern, da spielt das
Erlebnis der Nutzer:innen eine ganz besondere Rolle, die ich aktiv
mitgestalten möchte.“ Sie schreibt ihre Masterarbeit zum Thema User
Experience von Leitständen.

Othmane Megzari hat seinen Abschluss bereits gemacht. Das Jobangebot zur
Festanstellung bei Valeo hatte er schon während des Studiums in der
Tasche. Er hat sich schon immer für Autos interessiert und wollte
unbedingt in diesem Bereich arbeiten. Da er dafür in seiner Heimat Marokko
keine Chance sah, kam er nach Deutschland. Manchmal vergisst er bei der
Arbeit die Zeit, weil ihm das Programmieren und das direkte Ausprobieren
am Fahrzeug so viel Spaß machen. „Zu Beginn sieht man die Fortschritte
noch nicht, doch dann, mit jedem Test werden sie erkennbar. Das motiviert
dann zusätzlich. Es macht einfach Spaß zu sehen, was man wieder geschafft
hat.“

Viele Möglichkeiten

Autonomes Fahren ist abwechslungsreich. Es betrifft nicht nur Autos, Lkw
und Shuttle-Busse, es gibt beispielsweise in der Intralogistik auch
autonom fahrende und arbeitende Gabelstapler, die Regallager selbstständig
befüllen. Die Zukunft bietet viele Möglichkeiten: Transportschiffe,
Liefer-Drohnen, alle Maschinen, die sich im Raum bewegen, können autonom
gestaltet werden. Zum einen kann damit dem Fachkräftemangel
entgegengetreten werden. Zum anderen können Mitarbeitende sich somit auf
wichtigere Aufgaben konzentrieren, die Expertise, Kreativität oder
Sozialkompetenz benötigen. Die revolutionäre Technologie fasziniert, wird
teils aber auch skeptisch beäugt.

Valentin Schäffer ist das gut bekannt. Er kam aus München zum Studium nach
Kronach: „Meine Freundin stand dem autonomen Fahren zunächst skeptisch
gegenüber.“ Er schätzt den familiären Flair in Kronach, außerdem reizt ihn
das Neuartige seines Masterstudiengangs: „In anderen Bereichen wie
Fahrzeugtechnik oder Maschinenbau geht es häufig darum: „Wie machen wir
das besser, effizienter?" Beim Autonomen Fahren geht es im Gegensatz dazu
darum, etwas ganz Neues zu entwickeln.“ Er berichtet vom Shuttle, das  in
Kronach 18km/h fährt. „Es haut alle paar Meter eine kräftige Bremse rein.
Wenn man da drin sitzt, erlebt man: Es fährt gar nicht so langsam, wie man
von außen denkt. Man erlebt was Neues.“ Aktuell arbeitet er neben seinem
Studium als Werkstudent bei Valeo. Und am Valeo-Family-Day ist seine
Freundin zum ersten Mal mit dem Shuttle gefahren. „Danach hat sie
andauernd von diesem Erlebnis geschwärmt.“