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Automatisierte Fahrzeuge könnten künftig für steigende Verkehrsmengen und
eine höhere Zersiedelung von Städten sorgen – so die gegenwärtigen
Befürchtungen. Wie kann autonome Mobilität dennoch zur Erfolgsgeschichte
werden? Ein von der Daimler und Benz Stiftung gefördertes
Forschungsprojekt der Technischen Universität Wien hat untersucht, wie
automatisiertes Fahren dennoch einen positiven Beitrag zur Verkehrswende
leisten kann.

Vor fünf bis zehn Jahren erschien die Sache ziemlich klar: Selbstfahrende
Autos sind unsere Zukunft. Der letzte Mensch, der je einen Führerschein
machen würde, sei bereits geboren, hieß es. Doch die Revolution blieb
bisher zumindest aus. Gleichzeitig wurde klar, dass das automatisierte
Fahren nicht nur neue Möglichkeiten bietet, sondern auch Gefahren birgt,
die dringend diskutiert werden sollten. Dazu zählen etwa ein stark
zunehmendes Verkehrsaufkommen, eine beschleunigte Zersiedelung mit hohem
Flächenverbrauch und eine sinkende Lebensqualität in Städten. Es stellt
sich also die Frage, welche Einsatzformen der automatisierten Mobilität
dennoch zu einer lebenswerten und nachhaltigen Zukunft beitragen können
und wie die Entwicklung dahin gesteuert werden muss.

Am Institut für Raumplanung an der TU Wien hat sich – gefördert von der
Daimler und Benz Stiftung – ein interdisziplinäres Team mit genau dieser
Thematik beschäftigt. Für ihr soeben in englischer Sprache erschienenes
Buch „AVENUE21. Planning and Policy Considerations for an Age of Automated
Mobility“ hat das Team Experten aus aller Welt eingeladen, den Rahmen für
eine nachhaltige Zukunft mit automatisierten Fahrzeugen abzustecken.

Grenzen der automatisierten Mobilität
Das Forscherteam der TU Wien will mit dieser Publikation zu einer
Neubewertung der Technologie rund um das selbstfahrende Auto beitragen.
Schon in früheren Arbeiten konnte das Team zeigen, dass automatisierte
Fahrzeuge aus technologischer Sicht wohl noch lange Zeit nur ganz
bestimmte Teile des Straßennetzes befahren werden können. Dies wurde auf
internationaler Ebene mittlerweile durch die Realität bestätigt: Immer
mehr Automobilhersteller haben sich von der großen Vision des vollkommen
autonomen Straßenverkehrs verabschiedet und zielen stattdessen vielmehr
auf eine schrittweise Einführung automatisierter Fahrfunktionen ab. Für
die öffentliche Hand ergibt sich dadurch die Chance, den Einsatz der
Technologie auf nachhaltigem Weg zu steuern.

Wenn Planung und Politik nicht regulierend und steuernd eingreifen, drohen
die genannten Gefahren die positiven Effekte des automatisierten Fahrens
zu übertreffen. Laut Forscherteam lassen sich die negativen Folgen
vermeiden, wenn lediglich ausgewählte Straßenzüge für bestimmte
Einsatzformen als Teil des öffentlichen Verkehrs bzw. für selbstfahrende
Sharing-Fahrzeuge geöffnet werden. „Der Klimawandel und andere
Umweltbelastungen, die der Verkehr verursacht, lassen nicht zu, dass wir
unkritisch Wünsche und Hoffnungen auf eine künftige Technologie
projizieren“, fasst Mathias Mitteregger, Sprecher des Forschungsprojekts,
zusammen. „Wir müssen zuerst die Grenzen dieser Technologie verstehen,
bevor wir ihre Rolle im Mobilitätssystem der Zukunft gestalten können.“

Nachhaltige Einsatzmöglichkeiten automatisierter Fahrzeuge
Mit dem automatisierten Fahren werden oft unrealistische Hoffnungen
verknüpft. Dem Wunsch nach einem effizienten Mobilitätssystem steht
insbesondere ein zu erwartender niedriger Besetzungsgrad von Fahrzeugen
entgegen, was zu steigenden Verkehrsmengen führen kann. Außerdem zeichnet
sich ab, dass auf Autobahnen erheblich früher automatisiert gefahren
werden kann als in Stadt- und Ortszentren – mit erheblichen Folgen für
Zersiedelung und Bodenversiegelung.

Um zu demonstrieren, wo sich die Technologie sinnvoll einsetzen lässt, hat
das Team international nach Beispielen und Ansatzpunkten in Stadt und Land
gesucht. So zeigt etwa Japan, wie diese Technologie eine dramatisch
schrumpfende und alternde Bevölkerung in gering bewohnten Regionen
versorgen kann. In ländlichen Bereichen Österreichs können automatisierte
Shuttles als Zubringer zu Bahnhöfen die Abhängigkeit vom eigenen Fahrzeug
verringern. Gleichzeitig können durch eine leicht adaptierte Stadtplanung
Lastenräder den Bedarf für automatisierte Lieferroboter deutlich
reduzieren. Eine solche Maßnahme kann bereits heute umgesetzt werden.

Weshalb wir für nachhaltige Mobilität nicht auf die Automatisierung warten
dürfen
Die mit der automatisierten Mobilität verbundenen Hoffnungen können
folglich auch gegenwärtige Instrumente, wie eine funktionierende
Fahrradinfrastruktur, ein attraktiver öffentlicher Verkehr und die
Stärkung von Ortskernen, gut erfüllen. Daher müssen attraktive
Mobilitätsangebote und -dienstleistungen bereits heute Hand in Hand
entwickelt werden.

Das Forschungsprojekt liefert relevante Planungsansätze, wie
gesellschaftliche und städtebauliche Mehrwerte generiert werden können.
Für die Zukunft stellten sich demnach weitere wichtige Fragen: Was
bedeutet automatisierte Mobilität für die zunehmende Überwachung des
öffentlichen Raums? Welche Straßenräume und Verkehrsarten eignen sich
für einen Einsatz automatisierter Fahrzeuge? Und für welche Zwecke, an
welchen Orten und in welcher Form werden automatisierte Fahrzeuge
überhaupt benötigt?

Das ins Englische übersetzte Buch „AVENUE21. Planning and Policy
Considerations for an Age of Automated Mobility“ ist im Springer Vieweg
Verlag erschienen und unter folgendem Link frei zugänglich:
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-67004-0. Auch die erste
Publikation des Teams ist als Open Access bei Springer Vieweg erschienen
und unter diesem Link verfügbar:
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-64140-8. Die Beiträge
der Publikationen decken die Fragestellungen zur automatisierten
Mobilität vielschichtig ab und geben eine Perspektive für Planung und
Politik, auf welche Art eine umwelt-, raum- und gesellschaftsverträgliche
Nutzung dieser Technologie erreicht werden kann.

Originalpublikation:
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-67004-0