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Das Ziel einer urbanen Verkehrswende ist klar definiert: mehr Fläche für
städtisches Leben, weniger Lärm und klimaschädliche Emissionen sowie eine
saubere Luft. Jedoch stellt sich dabei immer die Frage, wie nachhaltige
Mobilität attraktiver gestaltet werden kann. Dr.-Ing. Alina Wetzchewald
vom Wuppertal Institut ist sich sicher: Das gelingt nur mit Exnovation –
also restriktiven und reduzierenden Ansätzen – für den Autoverkehr. Dazu
setzt sie sich im aktuellen Zukunftsimpuls "Weniger ist Mehrwert" mit
bisher umgesetzten deutschen und europäischen Projekten auseinander,
identifiziert aufgetretene Hemmnisse und Chancen und leitet entsprechende
Strategie- und Handlungsempfehlungen ab.

Im Jahr 2022 hat der Verkehrssektor Treibhausgase im Umfang von rund 148
Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten emittiert. Das entspricht rund 20
Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland. Damit lagen die Emissionen
rund 1,1 Millionen Tonnen über dem Vorjahreswert – die Vorgaben aus dem
Klimaschutzgesetz wurden erneut verfehlt. Diese Entwicklung macht
deutlich: Ein “weiter so” darf es nicht geben.

Um die Verkehrswende voranzutreiben, setzen Bund, Länder, Städte und
Kommunen bislang meist auf innovative statt auf restriktive Ansätze. Ein
gutes Beispiel ist die Förderung neuer Verkehrsträger, wie die
Elektromobilität. Ein anderes gutes Beispiel ist das 9-Euro-Ticket, das im
Sommer 2022 für drei Monate deutschlandweit erprobt wurde. Konterkariert
wurde die Unterstützung des ÖPNV allerdings mit der zeitgleichen Senkung
der Energiesteuer auf Kraftstoffe – dem sogenannten „Tankrabatt”.
Unterschiedliche Studien zeigen zwar, dass das 9-Euro-Ticket durchaus
positive Effekte auf die allgemeine Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
hatte, allerdings führte es auch zu mehr Verkehrsaufkommen, da der
öffentliche Verkehr häufiger genutzt, das eigene Auto aber nicht in
gleichem Maße stehen gelassen wurde. Dieses Beispiel zeigt, dass das
eigentliche Potenzial von Innovationen nicht voll ausgeschöpft wird,
solange das Auto nicht im gleichen Zuge an Attraktivität verliert. Hier
kommt Exnovation ins Spiel.

Exnovative Maßnahmen sind wichtige Ergänzungen zu innovativen Verkehrs-
Ansätzen

Exnovation setzt darauf, nicht nachhaltige Infrastrukturen, Technologien,
Produkte und Praktiken auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren und
stattdessen geeignetere Alternativen zu schaffen. Wenn der Autoverkehr
gezielt eingeschränkt und dadurch unattraktiver wird und gleichzeitig
alternative Mobilitätsoptionen attraktiver gestaltet werden, lässt sich
ein dauerhafter Verhaltenswandel herbeiführen.
In vielen deutschen Städten wird bereits über die Zukunft des Autos in der
(Innen-)Stadt diskutiert – einzelne Städte haben sich bereits konkrete
Ziele gesetzt, um den Autoverkehr zu reduzieren. Bisher wurden in
Deutschland jedoch eher Einzelmaßnahmen umgesetzt, etwa autofreie Straßen
oder Zonen im Rahmen von Pilotprojekten. Größere Projekte sind hingegen
eher im europäischen Ausland zu finden, beispielsweise in Barcelona,
London, Gent, Paris und Oslo: Dort werden ganzheitliche und integrative
Ansätze verfolgt, um den Autoverkehr zu reduzieren.

"In Deutschland scheitern exnovative Konzepte oft an fehlender
Rechtssicherheit und entsprechenden Klagen. Zudem dauern die Projekte zum
Teil nur wenige Wochen, wodurch sich das Verkehrsverhalten nicht dauerhaft
ändert", erklärt Dr.-Ing. Alina Wetzchewald, Researcherin im
Forschungsbereich Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut und
Autorin des Zukunftsimpulses. In einer so kurzen Zeit wird der Mehrwert
für die Betroffenen in aller Regel nicht deutlich, und die negative
Konnotation, dass das Auto verboten wird, bleibt bestimmend. Zudem reicht
die Zeit häufig nicht, um Kompromissbereitschaft auszuloten. Dadurch
zeigen die Maßnahmen nur wenig Wirkung, hinzu kommt eine mangelnde
Transparenz und die begleitende Kommunikation ist nicht auf den
partizipativen Prozess ausgelegt, wodurch Akzeptanzprobleme entstehen.
Auch der häufig fehlende breite Rückhalt der Politik sowie fehlende
Kontrollmechanismen spielen eine Rolle. Dies sind nur einige Beispiele,
die Projekte scheitern lassen.

Verbesserte Rahmenbedingungen und Erfahrungsaustausch schaffen

Stattdessen braucht es Rückhalt, Rechtssicherheit und einen ganzheitlichen
exnovativen Ansatz, begleitet von einer positiven, den Mehrwert in den
Vordergrund stellenden Kommunikation, damit Pilotprojekte Erfolg haben und
zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen können. Auch sind Politik sowie
Stadt- und Kreisverwaltungen als zentrale Akteur*innen gefragt, den Wandel
aktiv mitzugestalten und auf kommunaler Ebene umzusetzen. Der Bund muss
die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und auch gezielter
Erfahrungsaustausch kann helfen, aus erfolgreichen Beispielen zu lernen.
Die Wissenschaft kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie über
eine systematische Begleitforschung die Projektergebnisse evaluiert und
den Weg zum Upscaling erfolgreicher Projekte ebnet.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
https://wupperinst.org/c/wi/c/s/cd/657 - Thorsten Koska, Co-Leiter des
Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik

Originalpublikation:
https://wupperinst.org/fa/redaktion/images_hq/publications/impulse
/ZI26_Exnovation-Verkehr.pdf