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Gemeinsam mit Industriepartnern haben Forschende des Fraunhofer WKI einen
Fahrzeugunterboden aus Naturfasern sowie recycelten Kunststoffen für den
Automobilbau entwickelt. Das Bauteil erfüllt die hohen technischen
Anforderungen im Unterbodenbereich und könnte zukünftig herkömmliche
Leichtbau-Fahrzeugunterböden ersetzen. Mit dieser Entwicklung wird die
Klima- und Umweltbilanz über den gesamten Produktlebenszyklus optimiert.
Der Fokus des Fraunhofer WKI lag auf der Materialentwicklung für den
Spritzguss sowie auf der Hydrophobierung von Flachs- und Hanffasern für
naturfaserverstärkte Mischfaservliese.

Den Projektpartnern Fraunhofer WKI, Thüringisches Institut für Textil- und
Kunststofftechnik (TITK), Röchling Automotive SE & Co. KG, BBP
Kunststoffwerk Marbach Baier GmbH und Audi AG ist es gelungen, ein
nachhaltiges Gesamtkonzept für Fahrzeugunterböden zu entwickeln. Damit
haben die Forschenden eine anspruchsvolle Bauteilgruppe mit hohem
Kunststoffanteil für den Einsatz von Naturmaterialien erschlossen. Bisher
wurden naturfaserverstärkte Kunststoffe im Automobil hauptsächlich für
Verkleidungsteile ohne nennenswerte mechanische Aufgaben eingesetzt.
Strukturelle Bauteile wie Fahrzeugunterböden sind jedoch enormen
Belastungen ausgesetzt und stellen hohe Anforderungen an das Biege- und
Crashverhalten des Materials. In modernen Leichtbau-Fahrzeugkonzepten
kommen daher Hochleistungswerkstoffe aus glasfaserverstärkten Kunststoffen
zum Einsatz.

Das Projektteam konnte die Glasfasern durch Naturmaterialien wie Flachs-,
Hanf- und Cellulosefasern ersetzen und Unterbodenbauteile mit einem
Naturfaseranteil von bis zu 45 Prozent realisieren. Im Bereich der
Polymere wurde vollständig auf Polypropylen-Neuware verzichtet und
ausschließlich Rezyklate eingesetzt. Alle mit dieser Materialumstellung
verbundenen Herausforderungen, sowohl die geringeren mechanischen
Ausgangseigenschaften der Werkstoffe als auch die zeitlich eingeschränkten
Verarbeitungsfenster, konnten durch geschickte Compoundkombinationen
gelöst werden.

Am Fraunhofer WKI wurden Materialien für den Spritzguss entwickelt.
»Naturfaser-Spritzguss-Compounds sind bisher vor allem durch Festigkeits-
und Steifigkeitssteigerungen gegenüber unverstärkten Polymeren bekannt.
Bei der Entwicklung im Fahrzeugunterboden ist es darüber hinaus gelungen,
durch eine innovative Kombination von ausgewählten Post-Consumer-
Rezyklaten (PCR) als Matrix und Naturfasern unterschiedlicher
Reinheitsgrade die hohen Anforderungen an die Kaltschlagzähigkeit zu
erfüllen, ohne dabei die geforderte Steifigkeit und Festigkeit
einzubüßen«, erklärt Moritz Micke-Camuz, Projektleiter am Fraunhofer WKI.

Im Rahmen der Entwicklung wurden am TITK und bei Röchling erstmals
Faserverbundbauteile aus naturfaserverstärktem Mischfaservlies
(Lightweight-Reinforced-Thermoplastic, LWRT) realisiert. Das entwickelte
Produkt erfüllt nicht nur die mechanischen Anforderungen. Es widersteht
insbesondere auch den Herausforderungen, die durch die feuchte
Einsatzumgebung hervorgerufen werden. Zur Hydrophobierung von Flachs- und
Hanffasern für LWRT-Bauteile wurde am Fraunhofer WKI ein kontinuierliches
Furfurylierungsverfahren entwickelt. Durch die Furfurylierung kann die
Feuchtigkeitsaufnahme um bis zu 35 Prozent reduziert werden, ohne die
Biegefestigkeit der späteren Bauteile zu beeinträchtigen. Das
furfurylierte Fasermaterial lässt sich zudem problemlos auf einer
Vliesanlage weiterverarbeiten

Die gefertigten Prototypenbauteile wurden anschließend sowohl auf
Komponentenebene als auch im Fahrversuch intensiv getestet. Dazu dienten
unter anderem die Fahrzeuge der neuen »Premium Platform Electric« (PPE)
des VW-Konzerns. Im Rahmen der Serienerprobung konnten bereits
Langzeiterfahrungen gesammelt werden. Das erfreuliche Ergebnis dieser
Tests: Die neu entwickelten Bioverbundwerkstoffe erfüllen alle
Standardanforderungen an Unterbodenbauteile und erweisen sich als
serientauglich. Weder der Einsatz von Naturfasern noch von (Post-
Consumer-)Rezyklaten führt zu einer signifikanten Beeinträchtigung der
Eigenschaften.

Ein wesentlicher Vorteil der Innovation liegt auch in der deutlich
verbesserten CO2-Bilanz: Im Vergleich zur Serie können 10,5 Kilogramm
Neuware (PP/Glasfaser) durch 4,2 Kilogramm Naturfasern und 6,3 Kilogramm
Post-Consumer-Rezyklat ersetzt werden. Dadurch konnten die CO2-Emissionen
während der Produktion, der Nutzung und des Produktlebens um bis zu 40
Prozent reduziert werden.

Im Rahmen des Entwicklungsprojektes wurde ein innovatives, ganzheitliches
Gesamtkonzept für Fahrzeugunterböden inklusive Recycling mit kaskadischer
Wiederverwendung der Komponenten entwickelt. Aus technischer Sicht können
Fahrzeugunterböden zukünftig vollständig aus dem neuen,
hochleistungsfähigen Bio-Leichtbau-Material hergestellt werden.

Förderung
Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und
Klimaschutz (BMWK) über den Projektträger TÜV Rheinland gefördert.

Das Fraunhofer WKI: Wir bauen die Zukunft aus nachwachsenden Rohstoffen.
Seit 1946.
Nachhaltigkeit ist seit der Gründung des Fraunhofer WKI im Jahre 1946 das
zentrale Thema. Der Gründer und Namensgeber Dr. Wilhelm Klauditz gilt als
Pionier der modernen Holzwerkstoffindustrie. Heute nutzt das Fraunhofer
WKI die ganze Bandbreite nachwachsender Rohstoffe, um daraus nachhaltige
Werkstoffe, Bauteile und Chemieerzeugnisse zu entwickeln. Das Institut mit
Standorten in Braunschweig, Hannover und Wolfsburg ist spezialisiert auf
Verfahrenstechnik, Formgebung und Komponentenfertigung mit Biowerkstoffen,
biobasierte Bindemittel und Beschichtungen, Funktionalisierung,
Brandschutz, Werkstoff- und Produktprüfungen, Recyclingverfahren sowie den
Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in Gebäuden und Fahrzeugen. Darüber
hinaus gehört das Fraunhofer WKI zu den führenden Forschungseinrichtungen
im Bereich Innenraumluftqualität. Nahezu alle Verfahren und Produkte, die
aus der Forschungstätigkeit des Instituts hervorgehen, werden industriell
genutzt. Mit seiner Forschung und Entwicklung leistet das Fraunhofer WKI
einen wichtigen Beitrag für den Aufbau einer biobasierten
Kreislaufwirtschaft (Zirkuläre Bioökonomie).