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Dr. Kruppa mit Gustavs Eltern sowie Prof. Fitze (hintere Reihe v.l.). Neben dem kleinen Patienten ist sein größter Bruder Eduard zu sehen. Vor ihm stehen Heinrich, Friedrich und Hermine (v.l.).  Foto: Uniklinikum Dresden/Holger OstermeyerGustav ist das sechste Neugeborene, bei dem das Expertenteam der Klinik
und Poliklinik für Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav
Carus Dresden eine fehlgebildete Speiseröhre minimalinvasiv rekonstruiert
hat. Die Klinik gehört damit zu den wenigen Zentren in Deutschland, die
diese komplizierte Operationstechnik auch bei Babys anwendet. Statt eines
großen Schnittes im Bereich des Brustkorbs und extrem gespreizten Rippen
nutzen die Kinderchirurgen sogenannte thorakoskopische Instrumente, um den
Eingriff auszuführen. Diese Instrumente werden über Röhrchen in den Körper
eingeführt, so dass nur vier sehr kleine Schnitte nötig sind, um die
Organe zu erreichen.

Gustav war erst zwei Tage alt, als er am 18. Oktober 2016 im Dresdner
Uniklinikum operiert wurde. Nach einem dreieinhalbwöchigen stationären
Aufenthalt kehrte er mit seiner Mutter in die Oberlausitz zurück, wo seine
vier Geschwister auf ihn warteten. Seit der Operation entwickelt sich der
Junge bestens. „Für uns Chirurgen ist der Erfolg dieser Form des Eingriffs
ein Ritterschlag“, sagt Prof. Guido Fitze. Das Team des Direktors der
Klinik für Kinderchirurgie nutzt seit fünf Jahren minimalinvasive
Operationsverfahren, um auch bei Neugeborenen Fehlbildungen zu
korrigieren. „Die besondere Herausforderung bei der Rekonstruktion von
Speiseröhren besteht darin, dass wir im Prinzip nur einen Versuch haben“,
sagt der stellvertretende Klinikdirektor Dr. Christian Kruppa. Denn bei
diesem Eingriff müssen die Chirurgen die Naht an der Speiseröhre in
höchster Perfektion ausführen, damit sie schnell und vollständig ausheilt.
Die Speiseröhre darf auf keinen Fall undicht sein, sonst treten
Speisereste aus, die schwere Entzündungen verursachen, die das
Zusammenwachsen des Gewebes verhindern.

Etwa eines von 3.500 Neugeborenen kommt mit einer Fehlbildung der
Speiseröhre zur Welt. In den meisten Fällen endet der obere Teil in einem
sogenannten Blindsack, während der untere Teil den Magen mit der Luftröhre
verbindet. So war es auch bei Gustav. Als Neugeborener spuckte er die
Muttermilch gleich wieder aus. Da zudem sein Bauch durch Luft gebläht war,
hatte die Hebamme schnell die Vermutung, dass etwas mit der Speiseröhre
nicht stimmte. Der Junge wurde sofort ins Dresdner Uniklinikum verlegt.

In einer eineinhalbstündigen Operation trennten die Kinderchirurgen den
unteren Teil der Speiseröhre von der Luftröhre, öffneten dann den
verschlossenen oberen Teil und fügten beide zusammen. „Noch vor 50 Jahren
sind alle Babys mit dieser Fehlbildung gestorben“, erklärt Prof. Fitze.
Seit dieser Zeit etablierte sich die Kinderchirurgie als eigenständiges
Fach und verzeichnet parallel zur Erwachsenenchirurgie einen enormen
Aufschwung. Doch erst seit wenigen Jahren nutzen die Kinderchirurgen
minimalinvasive OP-Techniken, um Fehlbildungen bei Neugeborenen zu
korrigieren. Häufiger als die der Speiseröhre werden jedoch Brüche des
Zwerchfells verschlossen und Fehlbildungen der Harnröhre und des Darms
korrigiert. Bei diesen leichteren Eingriffen bauten die Kinderchirurgen
einen Erfahrungsschatz auf, der ihnen nun zu Gute kommt. „Wir haben vor
der Operation missgebildeter Speiseröhren großen Respekt“, sagt Dr.
Kruppa. Auch deshalb, weil es jedes Jahr in Sachsen nur etwa zehn dieser
Fälle gibt, so dass sich nur schwer eine entsprechende Kompetenz aufbauen
lässt. Schulungen und Probe-Operationen bei kleinen Tieren halfen den
Chirurgen, in diesen seltenen Fällen erfolgreich operieren zu können.

Der Ablauf einer offenen Operation an der Speiseröhre verdeutlicht die
Vorteile der Schlüssellochchirurgie: Beim herkömmlichen Verfahren müssen
die Chirurgen die Rippen stark spreizen, um bis zur Speiseröhre vordringen
zu können und genügend Bewegungsfreiheit zu haben. Damit steigt das Risiko
von Knochenbrüchen und darauf folgend Wachstumsstörungen. Auch muss bei
einer offenen OP die Lunge zur Seite gedrückt und Gewebe und Gefäße
durchtrennt werden. „Bei einem minimalinvasiven Eingriff respektieren wir
die Anatomie“, sagt Prof. Fitze. Die Bewegungsfreiheit bei dieser OP-
Technik schaffen die Chirurgen dadurch, dass der operierte Bereich mit
Kohlenstoffdioxid (CO2) aufgebläht wird. Schnitte durch Gewebe und Gefäße
lassen sich so vermeiden. Die Neugeborenen profitieren davon, weil sie
während und nach der Operation weniger Schmerzmittel benötigen und sich
deutlich schneller erholen. Für die Ärzte besteht ein wesentlicher Vorteil
der Schlüssellochchirurgie darin, dass neben den Instrumenten eine Optik
in den Körper eingeführt wird. Sie liefert hochauflösende, vergrößerte
Bilder: „So können wir während der Operation auf einem Bildschirm genauer
sehen, was wir tun“, so Dr. Kruppa.

„Wir sind sehr beeindruckt von dem, was die Chirurgen geleistet haben“,
sagt Gustavs Vater. Für sein Dafürhalten ist es die Kombination von Wissen
und höchstem handwerklichen Können, die den Erfolg ermöglicht habe. Für
die Mutter zählt vor allem, dass sich ihr jüngster Sohn nach den
dreieinhalb Wochen im Uniklinikum mittlerweile gut in der Familie
eingelebt hat: „Ich merke keinen Unterschied, in Gustavs Entwicklung“,
sagt sie mit Blick auf seine Schwester und seine drei Brüder, die sich
liebevoll um den jüngsten Spross der Familie kümmern. Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uniklinikum-dresden.de/kch