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PD Dr. Wolfgang Harringer, 1. Vizepräsident DGTHGInterdisziplinäre Herzteams sichern bestmögliche Patientenversorgung;
Vielfältige herzchirurgische Operationstechniken zum Wohle der Patienten;
Koronare Bypass-Operation kann Lebenserwartung verbessern; Mangel an
Spenderherzen führt zu neuem Rekordtief der Herztransplantationen.
Der heute in Berlin vorgestellte Herzbericht
2016 bestätigt, dass die herzchirurgische Versorgung bundesweit mit 78
Abteilungen auf hohem Qualitätsniveau etabliert ist. Die Verbesserung der
Lebenserwartung - und insbesondere auch der Lebensqualität - der Patienten
ist eine wesentliche Prämisse für die in Deutschland knapp 1.000 tätigen
Herzchirurgen. „Insgesamt wurden im Jahr 2015 in Deutschland 128.175
Herzoperationen durchgeführt“, erläutert PD Dr. Wolfgang Harringer, erster
Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie (DGTHG). „Trotz des kontinuierlichen Anstiegs des
Lebensalters, und den damit einhergehenden Begleiterkrankungen, liegen die
Überlebensraten der Patienten dank der kontinuierlichen
Weiterentwicklungen bestehender, und Initiierung minimalinvasiver,
schonenderer Operationsverfahren, weiterhin bei ca. 97 Prozent.“

Selbstverständlich hat der demographische Wandel auch einen Einfluss auf
die Entwicklung der Herzchirurgie. „Seit 1990 ist ein kontinuierlicher
Anstieg von Patienten höheren Alters zu beobachten“, erklärt Herzchirurg
Harringer. Im Jahr 2015 waren bereits 15 Prozent aller herzchirurgischen
Patienten mindestens 80 Jahre alt. Betrachtet man alle Herzerkrankungen,
ist festzustellen, dass die Prävalenz bei Männern höher ist.
Beispielsweise waren die Patienten mit koronarer Herzerkrankung, die eine
Bypass-Operation erhielten, in 78 Prozent Männer und nur in 22 Prozent
Frauen (2015). Die Herzchirurgie leistet mit vielfältigen Verfahren und
patientenindividuellen Therapien bedeutende Beiträge in der Herzmedizin.
Umso mehr begrüßt die DGTHG die obligate Umsetzung interdisziplinärer
Herzteams.

Entscheidung im Herzteam: bestmögliche Patientenversorgung und -Sicherheit

Interdisziplinärer Austausch und fachgebietsübergreifende Kooperation
bedeuten für den Patienten in jedem Fall die bestmögliche Option und
führen zu einer auf ihn abgestimmten Therapieempfehlung. Aus diesem Grund
sind mit Blick auf die hochwertige medizinische Versorgung Herzteams – im
Kern bestehend aus Herzchirurgen, Kardiologen, Kinderkardiologen und
Anästhesisten – die optimale personelle Basis für eine erfolgreiche
Patientenbehandlung. Das „Herz-Team-Konzept“ ist in zahlreichen nationalen
und internationalen Leitlinien explizit als ein wesentlicher Faktor der
Patientenversorgung ausgewiesen (Guidelines on myocardial
revascularisation ESC/EACTS 2014; aktualisierte Nationale
Versorgungsrichtlinie chronische Koronare Herzkrankheit 2016). „Wir
begrüßen das empfohlene Herzteam-Konzept ausdrücklich, dies im Hinblick
auf alle Therapieverfahren in der Herzmedizin. Für die Behandlung der
Koronaren Herzkrankheit gibt es aus Sicht der Herzchirurgen noch
Verbesserungspotential“, so Harringer.

Koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzchirurgie: in 90 Prozent aller Fälle
sind Verkalkungen die Ursache der Herzerkrankung

Die Koronare Herzkrankheit als Erkrankung der Arterien des Herzens ist die
häufigste Todesursache in den westlichen Industrieländern. Ablagerungen an
den Gefäßwänden (Plaques) verursachen die Arterienverkalkung
(Arteriosklerose) und damit Gefäßverengungen (Stenosen) bis hin zu
Verschlüssen, welche zu einer Mangelversorgung des Herzens mit Sauerstoff
führen. In 10 Prozent aller Fälle sind andere Ursachen verantwortlich für
die Entstehung der KHK. Die Folgen können von der Angina pectoris über
Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzinfarkt reichen. Die stationäre
Morbiditätsziffer der KHK hat von 2013 bis 2015 nur marginal um 0,8%
abgenommen (2013: 807,1; 2015:800,5). Das patientenindividuelle
Versorgungskonzept der Koronaren Herzkrankheit richtet sich nach diversen
Parametern.

Bypass-Operation: besonders vorteilhaft bei komplexen Gefäßverengungen,
kein Patientenhöchstalter für Operationen; Diabetes-Patienten profitieren
überproportional

Bei komplexen koronaren Mehr-Gefäßerkrankungen und/oder Hauptstammstenose
(Verengung der großen Herzkrangefäße im Ursprungsteil) besteht eine klare
Indikation für die koronare Bypass-Operation. Dies sowohl bezogen auf die
Beschwerdefreiheit und insbesondere auch im Hinblick auf die
Überlebensrate und Lebensqualität (siehe 5-Jahres-Ergebnisse der Syntax-
Studie) der betroffenen Patienten. „Patienten jeglichen Alters können
herzchirurgisch revaskularisiert werden“, betont Harringer. „Es gibt keine
fixe Altersobergrenze. 2015 machte die Altersgruppe der ab 70+ Jahre 48,4
Prozent aller koronaren Bypass-Patienten aus.“ Männer sind in allen
Altersgruppen häufiger betroffen als Frauen - nur jede vierte Frau erhält
eine koronare Bypass-Operation. Insgesamt wurden 2015 bundesweit rund
52.000 isolierte und kombinierte Bypass-Operationen durchgeführt.

„Welches Verfahren für den Patienten das bestmögliche ist, muss im
interdisziplinären Kompetenzteam – dem Herzteam – entschieden werden. Die
im Jahr 2014 aktualisierte ESC/EACTS „Guidelines on myocardial
revascularisation“ bestätigt ebenso wie die Nationale Versorgungsleitlinie
chronische KHK die Konzeption der Kooperation und Entscheidungsfindung im
Herz-Team“, betont Harringer. „Jeder Patient muss individuell und im
Kontext seines Herzleidens, wie auch seiner Begleiterkrankungen betrachtet
und beraten werden. Zum Beispiel profitieren Patienten mit Diabetes
mellitus überproportional von einer koronaren Bypass-Operation im
Vergleich zu anderen Therapiekonzepten. Für multimorbide
Hochrisikopatienten im hohen Lebensalter kann durchaus auch eine
Intervention das Mittel der ersten Wahl sein. Wie konsequent und
erfolgreich sich die Zusammenarbeit im Herzteam gestalten kann, sieht man
an der seit mehreren Jahrzehnten praktizierten engen Zusammenarbeit und
Abstimmung von Herzchirurgen und Kinderkardiologen bei der Behandlung von
Patienten mit angeborenen Herzfehlern.“

Herzklappenchirurgie: kontinuierlicher Anstieg der Eingriffe; Mitralklappe
kann zumeist rekonstruiert werden, G-BA Richtlinie etabliert Herzteam bei
TAVI und Mitral Clip

Europaweit gehört die Verengung der Aortenklappe (Aortenklappenstenose) zu
den häufigsten Herzklappenerkrankungen, die verschleißbedingt,
insbesondere im hohen Lebensalter, auftritt. „Die Aortenklappenstenose ist
derzeit die häufigste invasiv therapierte Herzklappenerkrankung, gefolgt
von der Mitralklappeninsuffizienz. Insgesamt stieg 2015 die Anzahl der
Herzklappeneingriffe um ca. 3 Prozent auf 32.346 (2014: 31.359) an. 11.183
dieser Eingriffe waren im Jahr 2015 konventionelle Aortenklappenersatz-
Operationen“, erklärt Harringer. Mit 6.027 isolierten Mitralklappen-
Operationen setzte sich der kurative Ansatz auch im 2015 fort: Bei rund
zwei Drittel (63,6 Prozent) der Operationen konnte die patienteneigene
Herzklappe rekonstruiert, und in ihrer Funktion wiederhergestellt werden.
Biologische oder mechanische Mitralklappen-Prothesen waren in 36,4 % aller
Fälle notwendig.

Neben den konventionellen Operationsverfahren bieten minimalinvasive
kathetergestützte Techniken (TAVI und Mitral Clip) eine schonende
Alternative für ausgewählte Patienten höheren Lebensalters in Kombination
mit erheblichen Begleiterkrankungen. Die Zahl kathetergestützter
Aortenklappenimplantationen (TAVI) im Jahr 2015 beträgt laut des deutschen
Herzberichtes 15.573. „Die kathetergestützte Aortenklappen-implantation
und die transvenöse Clip-Rekonstruktion der Mitralklappe unterliegen in
Deutschland besonderen Voraussetzungen und dürfen seit dem 20. Juli 2015
nur nach interdisziplinärem Konsens des etablierten Herzteams mit
festgelegten Prozessen und verbindlich definierter Infrastruktur
durchgeführt werden“, erklärt PD Dr. Harringer. „So sieht es die
Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen des Gemeinsamen
Bundesausschusses (G-BA) vor. Wir begrüßen dies ausdrücklich.“

Neues Rekordtief: Mangel an Spenderherzen

Die dramatische Entwicklung bei den Herztransplantationen setze sich auch
mit einem Rekordtief im Jahr 2015 fort. Wurden 2014 noch 294
Herztransplantationen durchgeführt, so sank die Anzahl weiter auf 283 im
Jahr 2015. Zwar werden nach Angaben der DGTHG Herzunterstützungssysteme,
welche als Alternative oder als Überbrückung bei mehr als 90 Prozent der
Patienten implantiert werden, immer leistungsfähiger, stellen jedoch
keinen adäquaten bzw. vollumfänglichen Ersatz für ein Spenderherz dar.
„Aufgrund ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung müssen viele der schwerst-
herzkranken Patienten meist mehrere Monate im Krankenhaus oder gar auf
einer Intensivstation auf die lebensrettende Transplantation warten“,
erklärt Herzchirurg Harringer. „Alle Beteiligten sollten daher weiter an
die Spendebereitschaft der Bevölkerung appellieren.“

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V.
(DGTHG) mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige medizinische
Fachgesellschaft, deren Ziele u.a. der Förderung der Wissenschaft und
Weiterentwicklung von Therapien auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie sind. Zu den weiteren Hauptaufgaben zählen die Durchführung
von Weiter- und Fortbildungsprogrammen, Erstellung medizinischer
Leitlinien, Förderung von Nachwuchskräften und die Ausrichtung
medizinischer Fachtagungen. Als Vertretung der über 1.000 in Deutschland
tätigen und in der DGTHG organisierten Thorax-, Herz- und
Kardiovaskularchirurgen stehen die Verantwortlichen der Fachgesellschaft
für einen Dialog mit der Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft zur
Verfügung.

Weitere Informationen unter www.dgthg.de