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v.l.n.r.: Dr. Oliver Emrich (DGS), Dr. Johannes Horlemann (DGS), Dr. Michael Überall (DSL/DGS), Dr. Gerhard Müller-Schwefe (DGS), Birgitta Gibson (DSL)„Wir brauchen neue Wege, um die Versorgung der
Schmerzpatienten zu verbessern“, erklärte Dr. Gerhard Müller-Schwefe,
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V. bei der
Auftakt-Pressekonferenz des 28. Deutschen Schmerz- und Palliativtages in
Frankfurt. „Gemeinsam mit allen an der Therapie Beteiligten werden wir in
naher Zukunft ein Konzept entwickeln, bei dem alle Fachrichtungen eng
miteinander vernetzt mit dem Patienten arbeiten sollen“, so Müller-
Schwefe. Nur wenn wir es schaffen, die Schmerzmedizin als Querschnittsfach
zu betrachten und die Schmerzkompetenz auszubauen, können wir den
zahlreichen chronisch erkrankten Schmerzpatienten helfen.

Jedes Jahr treffen sich beim „Schmerz- und Palliativtag“ Schmerzexperten
aus ganz Deutschland – ob Mediziner, Psychologen, Physiotherapeuten,
Pharmazeuten oder Pflegekräfte. Gemeinsam wollen sie die Versorgung der
Schmerzpatienten in Deutschland verbessern. Denn nach wie vor ist ein
Großteil der insgesamt 23 Millionen Schmerzpatienten und etwa 2,8
Millionen der schwersterkrankten Patienten unterversorgt.1 Helfen könnte
ihnen ein dafür speziell ausgebildeter Schmerzmediziner, der den Patienten
ganzheitlich betrachtet, frühzeitig die Ursache der Beschwerden erkennt
und bei Bedarf andere Fachärzte sowie Physiotherapeuten oder Psychologen
hinzuzieht, um mit ihnen gemeinsam ein Therapiekonzept zu entwerfen. Aber
diese sind rar gesät. Von den wenigen Leuchtturmprojekten der
interdisziplinären Zusammenarbeit profitiert am Ende nur ein Bruchteil der
Betroffenen. „An der Basis gibt es bislang keine grundlegenden
Verbesserungen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist zeitaufwändig
und wird zu wenig honoriert“, resümierte Müller-Schwefe.

Hinzu kommt, dass aktuell die Behandlung auf wenigen Schultern und
aufgrund des demografischen Wandels auf einer immer älter werdenden
Ärztegeneration ruht. Gleichzeitig aber steigt die Anzahl der Patienten.
„Wenn wir den Nachwuchs für unser Fachgebiet begeistern können, ist vielen
Patienten geholfen“, ist sich Dr. Johannes Horlemann, Vizepräsident der
DGS, sicher. In kaum einer anderen Disziplin als der Schmerzmedizin
arbeitet der Arzt so interdisziplinär – technisch, pharmakologisch,
kommunikativ und psychosomatisch. Dazu ist es eines der dynamischsten
Felder mit ständigem Zuwachs an neuem Wissen und neu evaluierten
Konzepten. „Mit unserem umfangreichen Fortbildungskonzept wollen wir nicht
nur die angrenzenden Fachgebiete, sondern verstärkt auch junge Mediziner
erreichen“, so Horlemann.

Chronischer Schmerz ist ein Querschnittsgebiet
Damit die Patientenversorgung nicht an Fachgrenzen scheitert, setzt die
DGS auf eine schmerztherapeutische Weiterbildung und Qualifikation von
Ärzten aus  allen Fachrichtungen. „Jeder Arzt sollte zumindest
Basisfähigkeiten besitzen, um die richtige Behandlung einzuleiten oder
rechtzeitig den Zeitpunkt zu erkennen, wann der Patient in die Hände eines
Schmerzmediziners gehört“, ist DGS-Vizepräsident Dr. Oliver Emrich
überzeugt. „Dafür muss Kommunikation über Fachgebietsgrenzen hinaus
stattfinden“, so Emrich weiter.

Ein gut funktionierendes Netzwerk und die wichtigsten Schnittstellen zu
identifizieren, sind weitere Ziele der DGS. Die Zusammenarbeit mit den
Hausärzten hat dabei für die DGS eine zentrale Bedeutung, denn als erste
Anlaufstelle können und sollten bereits beim Hausarzt die Weichen für eine
erfolgreiche Behandlung richtig gestellt werden.

Patientenbedürfnisse im Fokus der VersorgerGesellschaft
Kontinuierliche Forschung ist wichtig, um neue wissenschaftliche
Erkenntnisse zu gewinnen. Diese in die Praxis umzusetzen – darin liege
aber die eigentliche Herausforderung, so die langjährige Erfahrung des
DGS-Vorstandes. Die Patienten mit ihren Bedürfnissen stärker in den Fokus
zu rücken, dafür setzt sich die DGS in Kooperation mit der
Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga (DSL) e.V. bereits seit vielen
Jahren ein. Ein Meilenstein stellt die Online-Plattform „mein-schmerz.de
dar, über die – via Daten-Einspeisung in das DGS PraxisRegister Schmerz
(iDocLive®) – erstmalig auch die Sicht der Betroffenen dokumentiert werden
kann. „Bislang waren diese speziellen Schmerzfragebögen nur über ärztliche
Einrichtungen erhältlich bzw. Betroffene darauf angewiesen, dass sie einen
Behandler finden, der ihnen einen solchen Fragebogen nicht nur zur
Verfügung stellt, sondern auch auswertet und mit ihnen bespricht. Ein
Prozess, der angesichts der geringen Zahl qualifizierter
Schmerztherapeuten in Deutschland meist mit monate-, mitunter auch
jahrelangen Wartezeiten verbunden war“, erklärte PD Dr. Michael A.
Überall, DGS-Vizepräsident und Präsident der DSL, die Situation.

In diesem Jahr gehen die beiden Organisationen noch einen Schritt weiter
und stellen das Thema „Tumorschmerz“ in den Mittelpunkt: Mit der
„Praxisumfrage Tumorschmerz“ werden explizit Symptombelastungen bei
tumorbedingten Dauer- und Durchbruchschmerzen abgefragt. Laut Überall
müssen bei diesen Patienten die zugrundeliegenden Schmerzen kontinuierlich
evaluiert werden, um sowohl den Behandlungsbedarf als auch die
Behandlungsintensität an das aktuell angestrebte Behandlungsziel
anzupassen. Dies sei mit dem von der Deutschen Gesellschaft für
Schmerzmedizin und der Deutschen Schmerzliga neu ins Leben gerufenen
Online-Fragebogen „Tumorschmerz“ nun möglich.

Mit Schmerzen leben
Über Ängste und Einschränkungen im Alltag berichtete DSL-Vizepräsidentin
Birgitta Gibson. Sie ist selbst von chronischen Schmerzen betroffen und
weiß, dass für mehr Lebensqualität neben einer kompetenten Schmerzmedizin
auch Eigeninitiative nötig ist. Sie setzt auf aktive Mitarbeit des
Patienten und eine Arzt-Patienten-Kommunikation auf Augenhöhe. Hierbei
spielen auch Selbsthilfegruppen eine wichtige Rolle. Ihre Erfahrung ist:
„Der Austausch von Tipps und Tricks sowie gemeinsame Aktivitäten haben
schon vielen Betroffenen aus dem Schmerz-Tal zurück in ein relativ
„normales“ Leben geholfen.“

Die Theorie in die Versorgung bringen
Damit Patienten stets evidenzbasiert nach den neuesten Erkenntnissen
behandelt werden können, entwickelt die DGS PraxisLeitlinien, aktuell zum
Fibromyalgiesyndrom, zur Diagnostik und Behandlung von Patienten mit
Opioidfehlgebrauch (Prescription opioid misuse) und zu „Tumorschmerz“.
Alle DGS PraxisLeitlinien verbinden die bestmögliche Evidenz aus der
Literatur mit der Expertenerfahrung und den Meinungen und Haltungen der
Patienten zu ihren Schmerzen. Neuere Entwicklungen dazu werden beim
Kongress dem Fachpublikum präsentiert.