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Der Heidelberger Orthopäde Privatdozent Dr. Michael Akbar legte mit einer
Reihe von Studien erstmals belastbare Zahlen vor und erhielt dafür nun den
Forschungs-Förderpreis der Deutschen Stiftung Querschnittlähmung /
Konsequenz der Ergebnisse: Spezielle Physiotherapie-Programme zur Stärkung
der schulterumgreifenden Muskulatur und des Schultergelenkes bei
paraplegischen Patienten dringend notwendig

Rund zwei Drittel der Querschnittgelähmten in Deutschland ziehen sich im
Laufe ihres Lebens Sehnenrisse in der Schultermuskulatur zu. Das ist
viermal häufiger als bei Menschen, die nicht auf den Rollstuhl angewiesen
sind. Privatdozent Dr. Michael Akbar, Leiter des Wirbelsäulenzentrums an
der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, ermittelte in
verschiedenen Studien erstmals mit Hilfe bildgebender Verfahren die
Häufigkeit dieser durch Überlastung des Schultergelenks verursachten
Verletzung sowie Risikofaktoren. Für seine wegweisenden Arbeiten ist der
Orthopäde nun mit dem Forschungs-Förderpreis der Deutschen Stiftung
Querschnittlähmung (DSQ) ausgezeichnet worden. Die Verleihung des mit
5.000 Euro dotierten Preises fand am 31. März 2017 in feierlichem Rahmen
in der Alten Aula der Universität Heidelberg statt. Unter dem Motto
"Querschnittgelähmte gehen auf ihren Händen" gab Dr. Akbar einen Überblick
über seine Forschungsergebnisse.

"Diese Studien zeigen mit erschreckender Deutlichkeit, dass
Querschnittgelähmte nicht allein unter chronischen Schmerzen leiden.
Tatsächlich sind diese Verletzungen der Schultermuskulatur ein
unterschätztes Problem, das die Selbstständigkeit, Mobilität und
Lebensqualität massiv beeinträchtigen kann und dem bisher noch viel zu
wenig entgegen gesetzt wird", erklärt der Preisträger. Als Konsequenz
seiner Ergebnisse regte er bereits die Entwicklung spezieller
Trainingsprogramme für Rollstuhlfahrer an, um gezielt die
Schultermuskulatur zu stärken und das Schultergelenk vor Überlastung zu
schützen. Die Trainingsprogramme werden aktuell von der Deutschsprachigen
Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie e.V. (DMGP) ausgearbeitet.

Studie zeigt: Verschleiß der Schultergelenke bei 63 Prozent der Patienten

Rund 2.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland eine Verletzung des
Rückenmarks, die eine Querschnittlähmung zur Folge hat. Bei knapp 60
Prozent betrifft die Lähmung die untere Extremität (Paraplegie).
Betroffene sind fortan in ihrer Mobilität auf den mechanischen Rollstuhl
angewiesen. Antreiben des Rollstuhls, Stemmen des eigenen Körpergewichts
sowie häufiges Heben des Armes über Schulterhöhe und über Kopf
beanspruchen - über viele Jahre - die Schultergelenke enorm. Früher
Verschleiß der schulterumgreifenden Muskulatur ist vorprogrammiert. "Da
bislang die Ursachen dafür noch nicht systematisch aufgeklärt waren, war
eine gezielte Behandlung und vor allem Vorbeugung nicht möglich", so
Akbar.

Die Häufigkeit der Schulterverletzungen ermittelte Akbar unter anderem in
einer Vergleichsstudie mit 100 querschnittgelähmten (paraplegischen)
Patienten (Durchschnittsalter 52 Jahre, durchschnittliche Lähmungsdauer 34
Jahre) und 100 nicht gelähmten Probanden im selben Alterspektrum. Die
Schultergelenke wurden jeweils klinisch und mittels Kernspintomographie
untersucht: Bei 63 Prozent der Querschnittgelähmten fand sich auf
mindestens einer Seite ein Sehnenriss der schulterumgreifenden Muskulatur,
in der Kontrollgruppe bei 15 Prozent. Gleichzeitig waren die
querschnittgelähmten Patienten mit Sehnenriss deutlich jünger als
Betroffene aus der Kontrollgruppe.

Sport im Rollstuhl fördert Gesundheit - ist aber ein wichtiger
Risikofaktor für Sehnenrisse

In einer weiteren Studie untersuchte der Preisträger Sport als möglichen
Risikofaktor für Sehnenrisse in der Schulter: Er verglich eine Sport-
Gruppe mit 103 Patienten, die ein- bis zweimal pro Woche Überkopfsport wie
z.B. Basketball ausübten, mit einer Gruppe mit 193 Patienten, die sich
seltener als einmal pro Woche oder überhaupt nicht sportlich betätigten.
Ohne regelmäßigen Sport traten bei 36 Prozent der Patienten Sehnenrisse
auf, in der Sport-Gruppe bei 76 Prozent. "Daraus ergibt sich ein Dilemma:
Wer als Rollstuhlfahrer Sport treibt, hat ein doppelt so hohes Risiko sich
einen Sehnenriss in der Schulter zuzuziehen. Auf der anderen Seite - auch
das hat die Studie gezeigt - sind die sportlich aktiven Patienten
insgesamt gesünder und fitter", so Akbar. "Es ist daher nicht sinnvoll,
Querschnittgelähmten von Sport abzuraten. Vielmehr sind auch in diesem
Bereich spezielle Trainingsprogramme, die Sehnenschäden vorbeugen,
dringend notwendig."

Die deutsche Stiftung Querschnittlähmung (DSQ) hat es sich zum Ziel
gesetzt, Forschung und Innovationen zur Verbesserung der Lebensqualität
Querschnittgelähmter und soziales Engagement für Inklusion zu fördern. Ein
wesentliches Instrument zur Umsetzungen dieser Ziele stellt der DSQ-
Forschungspreis dar, mit dem in regelmäßigem Turnus Forschungsarbeiten und
Entwicklungen mit hoher Relevanz für Querschnittgelähmte auszeichnet
werden.