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Hypertonie und Herzinfarkt galten früher
als typisch männliche Leiden: Der Patient – so das landläufige Bild – hat
sich seinen Hochdruck durch beruflichen Stress quasi „erarbeitet“ und ihm
dann durch Alkohol und Nikotin noch Vorschub geleistet. Bei Frauen wurde
eine Hypertonie oft gar nicht in Erwägung gezogen oder zu spät erkannt.
Dabei sind Frauen mit steigendem Alter sogar stärker gefährdet als Männer.
Am 15. Mai diskutieren Experten im Rahmen einer Pressekonferenz der
Deutschen Hochdruckliga e.V. DHL® – Deutsche Gesellschaft für Hypertonie
und Prävention in Berlin, welche besonderen geschlechtsspezifischen
Herausforderungen es bei Blutdruckpatienten gibt.

„Ab 65 Jahren wird Bluthochdruck häufiger bei Frauen diagnostiziert als
bei Männern“, sagt Dr. med. Ute Seeland vom Institut für
Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charité im Vorfeld
der Pressekonferenz. Mittlerweile sind sogar einige Risikofaktoren
bekannt, die als typisch weiblich gelten müssen. So steigt das Hypertonie-
Risiko auf das Zwei- bis Dreifache an, wenn Frauen die Pille einnehmen und
zusätzlich beispielsweise übergewichtig sind. Auch eine
Schwangerschaftshypertonie oder eine (Prä-)Eklampsie steigern das Risiko,
binnen zehn Jahren einen manifesten Bluthochdruck zu entwickeln. „Die
betroffenen Frauen müssen dringend als Risikogruppe wahrgenommen werden.
Mit Aufklärungskampagnen sollten diese gezielt angesprochen werden und an
Untersuchungen zur kardiovaskulären Risikoeinschätzung teilnehmen“,
fordert Dr. Seeland. Die bisherige Aufklärungsarbeit – etwa zum Rauchen –
sei vor allem auf Männer abgestimmt gewesen.

Ein Grund dafür, dass Frauen lange Zeit als Zielgruppe vernachlässigt
wurden, ist der durch weibliche Östrogene vermittelte Gefäß-Schutz. In
mittleren Jahren erkranken Frauen daher tatsächlich seltener an
Bluthochdruck als Männer. Doch solle die hormonelle Schutzwirkung nicht
überschätzt werden, mahnt Dr. Seeland. „Wenn 77 Prozent der Hypertonie-
Patientinnen die Menopause bereits hinter sich haben, bedeutet das
zugleich, dass 23 Prozent noch vor der Menopause betroffen sind“, sagt die
Charité-Ärztin und verweist auf die Ergebnisse der Berliner BEFRI-Studie.
Für die Studie haben sie und ihre Kollegen über 1000 Berliner Frauen
zwischen 25 und 75 Jahren befragt und untersucht. Dabei zeigte sich auch,
dass 45 Prozent der weiblichen Allgemeinbevölkerung Störungen der
arteriellen Gefäßfunktion und/oder eine erhöhte Steifigkeit der Gefäßwände
aufweisen1) 2). Solche Veränderungen können einer Hypertonie um Jahre
vorausgehen und bleiben oft unentdeckt. „Die Störungen sind oft noch
reversibel, sodass gesundheitsfördernde Maßnahmen hier sehr gut greifen
können“, sagt die Expertin. Dazu zählte etwa ein Rauchstopp, ausreichend
Bewegung, eine salzarme Ernährung (nach Empfehlung der DHL 5 - 6 g
Kochsalz pro Tag) und die Vermeidung von Übergewicht. Wie die Internistin
betont, stehen heute mit der Messung des sogenannten Augmentationsindex
und der Pulswellengeschwindigkeit Methoden zur Verfügung, mit denen die
Elastizität der Gefäßwand bereits früh diagnostiziert werden kann. Eine
solche Untersuchung solle Männern und Frauen bereits ab 40 Jahren
angeboten werden, wenn sie zusätzliche Risikofaktoren aufweisen.

„Frauen leben im Durchschnitt länger als Männer, weshalb die Phase der
Folgekrankheiten auf die Lebenszeit gesehen bei Frauen meistens länger
ist, als bei Männern“, erklärt Dr. Seeland. „Das bedeutet aus
gendermedizinischer Sicht, dass neben den berechtigten sogenannten „harten
Endpunkten“ wie dem kardiovaskulären Tod oder der Gesamtmortalität auch
die Lebensqualität als ein weiterer Endpunkt in den Studien seine
Berechtigung hat und in Zukunft stärker als Outcome Variable
mitberücksichtigt werden sollte."Einschränkungen der Lebensqualität
stärker zu berücksichtigen, sei ein wichtiger Schritt hin zur Entwicklung
einer gendergerechten Therapie.

Bei der Diagnose „Bluthochdruck“ handelt es sich um eine Erkrankung, die
konsequent und langfristig behandelt werden muss – manchmal ein Leben
lang. Rund ein Viertel der Menschen mit Bluthochdruck werden momentan gar
nicht behandelt und die andere Hälfte nicht ausreichend. „Eine wichtige
Ursache für eine nichtausreichende Behandlung ist die Nonadhärenz, also
das Nichteinhalten und Nichtumsetzen von Therapieempfehlungen“, sagt
Professor Dr. med. Bernhard Krämer, Vorstandsvorsitzender der DHL®.
Studien belegen, dass Blutdruckbehandlungen dann erfolgreich sind, wenn
Arzt und Patient die Therapieentscheidungen gemeinsam im Dialog treffen.
Wie die Therapietreue des Patienten im Alltag gelingen kann, diskutieren
Experten im Rahmen einer Pressekonferenz der Deutschen Hochdruckliga
anlässlich des Welt Hypertonie Tages am 15. Mai 2017 in Berlin. In diesem
Rahmen spricht Dr. Seeland auch darüber, warum sich die Therapie
gendergerecht weiterentwickeln muss und welche besonderen
Herausforderungen Bluthochdruck bei Frauen mit sich bringt.

Quellen:
1) Oertelt-Prigione S, Seeland U, Kendel F, Rücke M, Flöel A, Gaissmaier
W, Heim C, Schnabel R, Stangl V, Regitz-Zagrosek V. Cardiovascular risk
factor distribution and subjective risk estimation in urban women--the
BEFRI study: a randomized cross-sectional study. BMC Med. 2015 Mar
16;13:52.

2) Seeland U, Brecht A, Nauman AT, Oertelt-Prigione S, Ruecke M, Knebel F,
Stangl V, Regitz-Zagrosek V. Prevalence of arterial stiffness and the risk
of myocardial diastolic dysfunction in women. Biosci Rep. 2016 Oct
27;36:1-9

Bitte beachten Sie: Im Sinne einer leichteren Lesbarkeit haben wir uns für
die männliche Schreibweise entschieden. Die hier abgebildeten Inhalte
richten sich jedoch gleichermaßen an weibliche und männliche Interessenten
und sind in keiner Weise als Zurücksetzung von Frauen zu verstehen.