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Per UV-Lampe kann der pH-Wert in der Wunde überprüft werden, ohne das Pflaster zu entfernen. Der Heilungsprozess kann ungestört weiterlaufen.  Empa
Per UV-Lampe kann der pH-Wert in der Wunde überprüft werden, ohne das Pflaster zu entfernen. Der Heilungsprozess kann ungestört weiterlaufen. Empa

Eine neuartige Wundauflage warnt das Pflegepersonal, sobald eine Wunde
schlecht verheilt – ohne dass dafür der Verband entfernt werden muss.
Sensoren, die im Trägermaterial eingebaut sind, ändern die Intensität
ihrer Fluoreszenz, wenn sich der pH-Wert der Wunde ändert. Damit soll das
Überwachen chronischer Wunden auch zuhause möglich werden.

Oft ist es selbst bei kleineren Alltagsverletzungen schon äusserst
unangenehm, wenn der Verband gewechselt wird. Es ziept und zwickt, und
manchmal fängt eine verschorfte Wunde auch wieder an zu bluten. So wartet
man am liebsten, bis der Verband sich von allein löst.
Anders ist das bei chronischen Wunden. In der Regel muss das
Pflegepersonal den Wundverband regelmässig wechseln, nicht nur aus
hygienischen Gründen, sondern auch, um die Wunde zu untersuchen, Abstriche
zu nehmen und sie zu reinigen. Die Haut wird auf diese Weise nicht nur
unnötig irritiert; es können sich auch Bakterien ansiedeln – das Risiko
für Infektionen steigt. Besser wäre es, der Verband bliebe länger auf der
Haut und die Pflegenden könnten den Zustand der Wunde von aussen ablesen.
Die Idee, durch einen Wundverband hindurchzublicken, steht am Anfang des
Projekts Flusitex (Fluorescence sensing integrated into medical textiles),
das von der Schweizer Initiative Nano-Tera finanziert wird. Forscherinnen
und Forscher der Empa entwickeln zusammen mit der ETH Zürich, dem Centre
Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) und dem
Universitätsspital Zürich ein Hightech-System, das dem Pflegepersonal
relevante Daten über den Zustand einer Wunde liefern soll. Luciano Boesel
von der Empa-Abteilung «Biomimetic Membranes and Textiles», der das
Projekt an der Empa koordiniert, erklärt: «Ein smarter Wundverband mit
eingebauten Sensoren soll dereinst fortlaufend Aufschluss über den Stand
des Wundheilprozesses geben – so muss der Verband nicht häufiger
gewechselt werden als nötig.» Das ermöglicht eine sanftere Behandlung für
die PatientInnen und bedeutet weniger Aufwand für das Pflegepersonal.
Weniger Aufwand bedeutet in diesem Fall auch weniger Kosten: Weltweit
wurden für Wundbehandlungen im letzten Jahr 17 Milliarden US-Dollar
ausgegeben.

Wundheilung in Phasen
Wenn Wunden heilen, produziert der Körper spezifische Substanzen in einer
komplexen Abfolge verschiedener biochemischer Prozesse, die
Stoffwechselparameter variieren. Je nach Phase steigt oder fällt etwa die
Menge an Glukose und Sauerstoff, auch der pH-Wert verändert sich. All
diese Substanzen lassen sich mit speziellen Sensoren nachweisen. Dazu
entwickelt der Projektpartner CSEM zusammen mit der Empa im Flusitex-
Projekt ein Fluoreszenz-Messgerät, das mehrere Parameter gleichzeitig
überwachen kann, das tragbar und günstig sowie einfach zu verwenden sein
soll. Es soll erlauben, den pH-Wert, den Glukose- und den Sau-
erstoffspiegel während der Wundheilung im Auge zu behalten. Verändern sich
die Werte, erlaubt dies Rückschlüsse auf weitere biochemische Prozesse der
Wundheilung.

pH-Wert zeigt chronische Wunde an
Ganz besonders nützlich bei chronischen Wunden ist der pH-Wert. Verheilt
die Wunde normal, so steigt er beispielsweise bis zu einem Wert von 8,
dann sinkt er auf einen Wert von 5 bis 6. Schliesst eine Wunde jedoch
nicht mehr und wird sie chronisch, oszilliert der pH-Wert zwischen 7 und
8. Es wäre also hilfreich, wenn das Pflegepersonal am Wundverband mit
einem Signal darauf aufmerksam gemacht werden könnte, dass der Wert
konstant hoch ist. Muss der Verband nicht ohnehin aus hygienischen Gründen
entfernt werden, könnte man bei tieferen pH-Werten noch zuwarten.
Und wie funktionieren die Sensoren? Die Idee dahinter: Treten in der
Wundflüssigkeit bestimmte Substanzen auf, so reagieren «massgeschneiderte»
fluoreszierende Sensor-Moleküle mit einem physikalischen Signal. Sie
beginnen zu fluoreszieren, und manche ändern sogar ihre Farbe im
sichtbaren oder im Ultraviolett-Bereich. Dank einer Farbskala kann man
schwächere und stärkere Farbveränderungen interpretieren und daraus
ableiten, wie gross die Menge der abgegebenen Substanzen ist.

Leuchtende Moleküle
Anschaulich zeigt Chemiker Guido Panzarasa von der Abteilung «Biomimetic
Membranes and Textiles» im Labor, wie eine Probe mit Sensormolekülen zu
fluoreszieren beginnt. Dazu lässt Panzarasa vorsichtig eine Lösung mit
einem pH-Wert von 7,5 in eine Schale tropfen. Im UV-Licht ist die
Veränderung deutlich zu erkennen. Fügt er eine weitere Lösung dazu,
verblasst die Leuchtkraft wieder. Ein Blick auf das Fläschchen mit der
Lösung bestätigt: Der pH-Wert der zweiten Flüssigkeit ist tiefer.
Das Empa-Team hat ein Molekül entworfen, das aus Benzalkonium-Chlorid und
Pyranin zusammengesetzt ist. Während Benzalkonium-Chlorid eine Substanz
ist, die auch für gewöhnliche medizinische Seife verwendet wird und gegen
Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen wirkt, ist Pyranin ein
Farbstoff, der in Textmarkern zu finden ist und unter UV-Licht
fluoresziert. «Dieser Biomarker funktioniert sehr gut», so Panzarasa, «am
besten bei pH-Werten zwischen 5,5 und 7,5. Die Farben können mit einfachen
UV-Lampen sichtbar gemacht werden, wie sie im Elektrogeschäft erhältlich
sind.» Ihre Ergebnisse hat das Empa-Team vor kurzem in der Fachzeitschrift
«Sensors and Actuators B – Chemical» veröffentlicht.
Das «Designer-Molekül» hat einen weiteren Vorteil: Dank des Benzalkonium-
Chlorids wirkt es auf der Haut antimikrobiell, das haben ForscherInnen der
Empa-Abteilung «Biointerfaces» für den Bakterientyp Staphylococcus aureus
bestätigt. Unerwünschte Bakterien könnten also in Zukunft durch die Wahl
des richtigen Verbandmaterials bekämpft werden. Weitere Auswertungen, etwa
zur Verträglichkeit mit Zellen und Geweben, fehlen jedoch noch. Wie ihr
Sensor in einer komplexen Wunde funktioniert, wissen die ForscherInnen
daher nicht.

Reges Interesse der Industrie
Um zu veranschaulichen, wie eine smarte Wundauflage in Zukunft praktisch
aussehen könnte, legt Boesel einen Prototyp auf den Labortisch. «Auf
Wundverbänden muss nicht die ganze Fläche mit Sensoren bestückt werden. Es
reicht, wenn einige kleine Zylinder mit dem Pyranin-Benzalkonium-Molekül
imprägniert sind und in das Trägermaterial eingefügt werden. Das lässt die
industriellen Wundverbände nicht viel teurer werden, als sie es jetzt
sind. Sie werden höchstens ein Sechstel bis ein Fünftel teurer», erklärt
Boesel. Daran arbeiten die Empa-ForscherInnen im Nachfolgeprojekt «Flusi
­Tex-Gateway» zusammen mit den
Industriepartnern Flawa, Schöller, Kenzen und Theranoptics. Guido
Panzarasa lässt nun auf all die kleinen Zylinder des Wundpad-Prototyps
verschiedene Flüssigkeiten mit unterschiedlichem pH-Wert tropfen.
Tatsächlich erkennt man auch hier deutlich die heller und dunkler
leuchtenden Punkte, sobald er die UV-Lampe anschaltet. Sie sind sogar von
blossem Auge zu erkennen. Grell gelb leuchtet es, wenn Flüssigkeiten mit
hohem pH-Wert mit dem Sensor in Kontakt kommen. Die Wissenschaftler sind
sich sicher: Da der pH-Wert derart einfach ausgelesen werden kann und
exakt über den sauren oder basischen Zustand der Probe informiert, eignet
sich ein derartiger Wundverband gut als diagnostisches Tool. Mit dem vom
CSEM entwickelten Fluoreszenz-Messgerät können genauere quantitative
Messungen des pH-Werts für medizinische Zwecke erzielt werden.
In Zukunft könnten die Signale auch mit Hilfe einer Smartphone-Kamera
ausgelesen werden, so Boesel. Kombiniert mit einer einfachen App, hätten
Pflegepersonal und ÄrztInnen ein Werkzeug, mit dem sie den Wundstatus auch
ohne UV-Lampe bequem «von aussen» ablesen könnten. Auch zuhause hätten
Patientinnen und Patienten dann die Möglichkeit, eine sich anbahnende
chronische Wunde frühzeitig zu erkennen.

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.empa.ch/web/s604/wound-healing-sensor