Pin It

Bis zu 50 Prozent der Krebsfälle wären einfach zu verhindern, belegen
Studien. Trotzdem ist die Zahl der Krebsneuerkrankungen im
Zehnjahreszeitraum bis 2015 weltweit um über 30 Prozent gestiegen. Die
Vorsorge nimmt eine Schlüsselrolle ein bei der Eindämmung von Krebs,
erklärt Prof. Stefanie Klug, Inhaberin des Lehrstuhls für Epidemiologie an
der Technischen Universität München (TUM). Klug befasst sich unter anderem
mit der Krebsfrüherkennung. Im Interview spricht die Professorin über
Krebsscreenings, Vorsorgemuffel und was jeder Einzelne gegen Krebs tun
kann

Prof. Klug ist seit 2011 Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und
hat an den Empfehlungen zur Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV)
maßgeblich mitgewirkt.

TUM: Wie hoch ist denn die Teilnahme an der Krebsvorsorge – können Sie
dazu generelle Aussagen treffen?
Prof. Stefanie Klug: Nehmen wir zum Beispiel den Pap-Abstrich (Anm.:
Abstrich vom Muttermund der Frau, um mögliche Krebszellvorstufen von
Gebärmutterhalskrebs frühzeitig zu erkennen): Dieser ist harmlos und viele
spüren ihn nicht einmal, dennoch liegt die jährliche Teilnahmerate nur bei
50 bis 60 Prozent.

Woran liegt es denn, dass so viele nicht zur Vorsorge gehen?
SK: Einige Menschen kennen diese Angebote nicht. Andere haben Angst vor
einer Krebsdiagnose oder kein Vertrauen in den Arzt. Doch das ist
gefährlich: Wenn eine Erkrankte mit dem Arztbesuch zu lange wartet, kann
die Krankheit unter Umständen so fortgeschritten sein, dass nicht mehr
viel zu retten ist. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, Wege aufzuzeigen,
wie solche Personen motiviert werden können, trotz ihrer Ängste zur
Untersuchung zu gehen.

Wie können Menschen dazu motiviert werden, zu Vorsorgeuntersuchungen zu
gehen?
SK: Wir haben vor einiger Zeit eine Studie namens MARZY durchgeführt,
dabei ging es um die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung. Es war eine
Studie mit insgesamt über 5000 Teilnehmerinnen. Heraus kam, dass gerade
bei älteren und sozial schwächeren Frauen eine persönliche Einladung zu
der Untersuchung viel bewirkt. Das ist aufs Darmkrebsscreening vermutlich
genauso übertragbar. Teilweise wissen viele nicht, dass
Vorsorgeuntersuchungen kostenlos sind, da könnte eine Erinnerung vom
Hausarzt viel helfen.

Wie oft sollte jemand zu einem Krebsscreening gehen?
SK: Das hängt vom Alter und von der Screeninguntersuchung ab. Im Jahr 2013
wurde auf der Basis des Nationalen Krebsplanes das Krebsfrüherkennungs-
und registergesetz vom Bundesministerium für Gesundheit erlassen, das im
Bundestag verabschiedet wurde. Bis 2018 soll nun ein organisiertes Krebs-
Screeningprogramm für Gebärmutterhals- und Darmkrebs mit einem
Einladungsschreiben eingeführt werden. Die Eckpunkte für das
Gebärmutterhalsscreening: Für Frauen zwischen 20 und 34 Jahren bleibt es
beim jährlichen Pap-Abstrich, Frauen ab 35 sollen nur noch alle drei Jahre
den Pap-Abstrich machen lassen. Aber – und dafür haben wir lange gekämpft
– es wird zusätzlich für diese älteren Frauen ebenfalls alle drei Jahre
einen HPV-Test geben. Denn wir wissen, dass HPV die Ursache für diese
Krebsart ist und die allermeisten Frauen sind negativ. In dem Fall liegt
bei Frauen kein Risiko für die Erkrankung vor. Die wenigen HPV-positiven
Frauen in diesem Alter – es sind weniger als zehn Prozent – müssen dagegen
engmaschig beobachtet werden. Auch bei Darmkrebs soll es wiederum künftig
eine persönliche Einladung zur Darmspiegelung (Koloskopie) im 55.
Lebensjahr geben. Ist alles in Ordnung, dann erfolgt eine Wiederholung
zehn Jahre später. Wer familiär vorbelastet ist, der hat natürlich die
Möglichkeit, früher zum Screening zu kommen.

"Ein Screening ist immer nur eine Sekundärprävention"

Für eines Ihrer Forschungsprojekte zum Thema Hautkrebsscreening wurden
Daten von rund 60.000 Patienten überprüft von 2002 bis 2011. Zwar wurden
Tumore im frühen Stadium öfter erkannt, aber die späten Tumorstadien waren
nicht rückläufig. Was lässt dieses Ergebnis für Rückschlüsse zu?
SK: Genau, das Ziel des Hautkrebsscreenings ist es, dass die Sterberate
(Mortalität) zurückgeht. Heraus kam aber, dass es (bisher) nicht dazu
beiträgt. Tatsächlich ist das Hautkrebsscreening sehr umstritten, wir hier
sind das einzige Land in Europa, das ein Hautkrebsscreening anbietet,
während andere Länder das gar nicht im Programm haben. Australien etwa hat
sich gegen ein Hautkrebsscreening ausgesprochen, obwohl sie viele
hellhäutige Einwohner, eine starke Strahlung und Häufigkeit (hohe
Inzidenz) von Melanomen haben. Möglicherweise ist es noch zu früh, um
einen Rückgang der Mortalität zu erkennen, hier muss weiter evaluiert
werden.

Was machen denn dann andere Länder?
SK: Primäre Prävention. Es wird davon abgeraten, sich zu stark der Sonne
auszusetzen. Wer in die Sonne geht, sollte Hautcreme auftragen, lange
Kleidung und Hüte tragen sowie die Mittagssonne meiden – das wäre auch für
uns vermutlich der bessere Weg. Denn ein Screening ist immer nur eine
Sekundärprävention, bei der eine möglicherweise bereits vorhandene
Veränderung festgestellt werden soll. Das Schöne ist aber doch die
Vorsorge, die jeder selbst treffen kann, wie etwa eine Impfung oder Sport
als auch das Verhindern von Sonnenbrand, wodurch ein Tumor gar nicht erst
entsteht.

Wie kommen Sie bei Ihren Studien an die Daten?
SK: Wir gehen über die Einwohnermeldeämter, denn wir wollen eine
bevölkerungsbezogene Stichprobe etwa von allen Frauen zwischen dem Altern
von 30 und 40 haben. Wir möchten alle Gruppen in der Bevölkerung darin
abbilden. Die Personen aus dieser Stichprobe laden wir dann per Brief ein,
an unseren Studien teilzunehmen. Bei der Studie MARZY etwa haben wir Daten
von fast 10.000 Frauen aus Rheinland-Pfalz ausgewertet, um einen guten
Querschnitt durch die weibliche Bevölkerung zu erhalten.

Welche Verbindung hat Ihr Fachgebiet, das sich mit der Häufigkeit
bestimmter Krankheiten in der Bevölkerung befasst, mit dem Sport?
SK: Gerade im Bereich der Prävention liegt die Verknüpfung mit der
Epidemiologie. Das betrifft nicht nur mich und meinen Fachbereich, sondern
die gesamte Fakultät. Alle hier widmen sich auch dem großen übergreifenden
Thema Prävention. Inwieweit kann Sport als vorbeugende Maßnahme gegen die
Volkskrankheiten von Diabetes über Herz-Kreislauf bis zu Krebs eingesetzt
werden? Das muss noch näher erforscht werden.

Welche Pläne haben Sie für neue Studienprojekte?
SK: Wir planen größere Studien mit sportlichen Interventionen, bei denen
versucht wird, die Leute zu Bewegung zu motivieren. Dazu gibt es schon
viel mit Kindern, aber es wäre genauso wichtig, das mit Erwachsenen zu
erforschen. Es reicht nicht, die Kinder zum Sport zu bewegen, sondern auch
im höheren Alter müssen Menschen Sport treiben. Denn Bewegungsmangel wird
bereits jetzt als „die Zigarette von morgen“ bezeichnet, weil er ein
dramatischer Risikofaktor ist für die heutigen Zivilisationskrankheiten
ist, genau wie Rauchen und Lungenkrebs.

„Alles, was einen vom Sofa runter bringt, ist gut“

Zum Schluss eine allgemeine Frage: Was für Empfehlungen können Sie geben?
SK: Eigeninitiative durch primäre Prävention. Jeden Tag Bewegung – vom
Treppen steigen über das Spazierengehen bis zum Putzen und Sport treiben –
alles ist gut, was einen mehrmals pro Woche vom Sofa runter treibt und zum
Schwitzen bringt!