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1. Dt. Bakteriophagen-Symposium an der Uni Hohenheim sieht hohes Potential
für Einsatz der Bakterienkiller in Medizin, Tiermedizin,
Lebensmittelhygiene / Tagung bis 11. Okt. 2017

Multiresistente Keime, Lebensmittelskandale, Tierseuchen: Eine Lösung für
diese und andere Probleme könnten Bakteriophagen darstellen. Dabei handelt
es sich um Viren, die sich in Bakterien einnisten und diese abtöten. Für
Zellen des Menschen, von Tieren oder Pflanzen sind sie dagegen völlig
harmlos In vielen osteuropäischen Ländern sind sie seit Jahrzehnten im
Alltag in Gebrauch, in Deutschland erschweren fehlende Regelungen
medizinische und hygienische Anwendungen. Zum Auftakt des 1. Deutschen
Bakteriophagen-Symposiums an der Universität Hohenheim in Stuttgart
fordern Wissenschaftler mehr Forschung und eine schnelle und klare
Regulierung, um die potentielle Anwendung zu beschleunigen. Das Symposium
läuft noch bis 11. Oktober, Tagungsort ist das Steinbeis-Haus für
Management und Technologie (SHMT), Filderhauptstraße 142 70599 Stuttgart.
Mehr Infos zum Symposium unter https://1st-german-phage-symposium.uni-
hohenheim.de

„Vom Schnupfen über Durchfall bis zur Lungenentzündung: Bereits jetzt
lassen sich bakterielle Infekte bei Mensch und Tier mithilfe von dafür
geprüften Bakteriophagen bekämpfen“, erklärt PD Dr. Wolfgang Beyer. Ein
Ansatz, der auch in Deutschland und Westeuropa endlich Anwendung finden
muss, so die Überzeugung von PD Dr. Beyer, Scientific Director des 1.
Deutschen Bakteriophagen-Symposiums.

Noch bis 11. Oktober 2017 treffen sich über 150 internationale Vertreter
der Bakteriophagen-Forscher mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und
Regulierungsbehörden. Das erste deutsche Bakteriophagen-Symposium an der
Universität Hohenheim in Stuttgart soll den internationalen
Forschungsstand zusammenfassen und künftigen Forschungs- und
Regelungsbedarf ausleuchten.

Organisiert wird das Symposium durch das Forschungszentrum für
Gesundheitswissenschaften der Universität Hohenheim. Zu den Höhepunkten
des Symposiums gehört die deutschsprachige Abschluss-Diskussion "Quo
vadis, deutsche Bakteriophagenforschung?" am 3. Konferenztag, den 11.
Oktober 2017 ab 10:30 Uhr. Auf der Agenda steht außerdem die Gründung
eines nationalen Phagen-Forums. Die allgemeine Konferenzsprache dagegen
ist Englisch.

Spezielle Viren als Verbündete in der Krankheitsbekämpfung

Das Prinzip der Bakteriophagen sei simpel, erklärt PD Dr. Beyer: Die Viren
dringen in die Bakterien ein und töten diese ab. „Für jedes krank machende
Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur
den richtigen finden. Dann lassen sich viele Infektionen bekämpfen – ganz
ohne oder auch in Kombination mit Antibiotika.“

Gegen viele Infekte könne dabei schon ein standardisierter Phagen-Mix
helfen. In schwierigeren Fällen könne ein Mikrobiologe den Erreger beim
Patienten genau bestimmen und dann den dazu passenden Phagen suchen – eine
ganz auf den individuellen Patienten zugeschnittene Behandlung.

Aus Reisen in Osteuropa wisse PD Dr. Beyer, dass es dort Phagen-Mischungen
rezeptfrei in Apotheken zu kaufen gibt. In Deutschland hingegen nicht: „Es
ist zwar nicht verboten, Phagen in Deutschland zu vertreiben. Um sie als
zugelassenes Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sind allerdings teure
und langwierige Tests nötig. Dieses Zulassungsverfahren gilt es zu
beschleunigen, denn die tradierten Antibiotika versagen zunehmend im Kampf
gegen multiresistente Keime. Wir brauchen die Bakteriophagen als
Alternative, und zwar jetzt.“

Im Kalten Krieg vergessen, von der Forschung aus dem Blick verloren

Dass Bakteriophagen von der medizinischen Forschung in Deutschland und der
westlichen Welt so lange nicht beachtet wurden, habe historische Gründe,
so PD Dr. Beyer. Entdeckt wurden sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts;
am berühmten Pariser Institut Pasteur forschte man dazu in den 1930er-
Jahren ebenso wie im georgischen Tiflis.

Doch mit der Spaltung Europas in Ost und West und dem Siegeszug des
Penizillin gerieten Bakteriophagen in den westlichen Ländern nach 1945
zunehmend in Vergessenheit. „Dank des erfolgreichen Einsatzes  der
Antibiotika hatte man im Westen schlicht keinen Bedarf an Bakteriophagen“,
so PD Dr. Beyer. „Heute, im Kampf gegen multiresistente Keime, sieht das
anders aus.“

In den Sowjetstaaten blieben die Bakteriophagen jedoch im Einsatz und sind
es bis heute, sicherlich auch, weil in diesen Ländern Antibiotika deutlich
teurer oder gar nicht zu bekommen waren. „Bakteriophagen erfüllen jedoch
die gleiche Funktion und werden dort bis heute als wirksames, aber noch
unzureichend erforschtes Medikament eingesetzt“, erklärt PD Dr. Beyer.

Dass Bakteriophagen in der EU nicht generell zur medizinischen Behandlung
zugelassen sind, erschwere auch die Forschung: „Medizinische Studien sind
schwierig durchzuführen, da Ärzte die Bakteriophagen als alternative
Methode nur dann verabreichen dürfen, wenn alle anerkannten Therapien
nachweislich versagt haben. Dann ist es für die Patienten jedoch oft schon
zu spät.“

Klare Regulierung würde vielfältigen Einsatz ermöglichen

Auch in der Lebensmittelhygiene könnten Phagen zum Einsatz kommen, zum
Beispiel um die Übertragung von Salmonellen durch Geflügelfleisch zu
verhindern: „Als Schutz gegen die Bakterien kann man Lebensmittel mit
einer Phagenmischung besprühen oder auch die Hähnchen kurz vor der
Schlachtung mit Phagen behandeln. Auf das Produkt und den Verbraucher hat
das keine Auswirkungen.“ Doch auch hier fehle es an entsprechenden
Regularien, so PD Dr. Beyer.

In anderen Ländern gibt es entsprechende Lösungen bereits im Einsatz: In
den USA werden Fleisch und Fisch damit behandelt. In Deutschland ist noch
kein solches Mittel zugelassen. Das könnte sich bald ändern: So stehe z.
B. eine niederländische Firma aktuell mit deutschen Behörden im Kontakt
für die Zulassung einer Phagenmischung zur Lebensmittel-Behandlung.
Ein weiteres Einsatzgebiet wäre die Stall- und Umwelthygiene, zu der PD
Dr. Beyer forscht: „Ist in einem landwirtschaftlichen Betrieb einmal eine
Tierseuche ausgebrochen, müssen Stall und Abfallstoffe gründlich
desinfiziert werden. Auch hierbei könnten Phagen sehr effektiv eingesetzt
werden“, so der Wissenschaftler vom Fachgebiet für Infektions- und
Umwelthygiene bei Nutztieren.

Risiken sind heute schon vermeidbar

Ein Argument, das gerne gegen Bakteriophagen ins Feld geführt wird, ist
die Gefahr des unerwünschten Gentransfers: Bestimmte Phagen können sich in
die DNA von Bakterien integrieren. Die Befürchtung: Wenn sie sich wieder
daraus lösen und weitervermehren, kann es passieren, dass sie ein Stück
DNA des Bakteriums mitnehmen und auf andere Bakterien verbreiten.
Vermutlich entstand auf diese Weise das Darmbakterium EHEC.

PD Dr. Beyer warnt jedoch davor, Phagen deshalb pauschal zu meiden: „Die
Gefahr des Gentransfers ist ein weitgehend vermeidbares Risiko. Zu einem
Austausch von DNA zwischen Bakterium und Phagen kommt es vor allem bei
sogenannten lysogenen Phagen, also Phagensorten, die in die DNA ihres
Wirts eindringen. Solche Phagen kann man heute erkennen und von der
Verwendung ausschließen.“

Symposium soll deutsche Bakteriophagenforschung stärken

Eine andere Befürchtung sei dagegen viel realer, wie PD Dr. Beyer meint:
Dass die Bakteriophagenforschung in Deutschland bei diesem hochaktuellen
Thema noch weiter ins Hintertreffen gerate.

Dabei gäbe es eine Vielzahl von Forschern, die sich inzwischen damit
beschäftigen. „Das haben wir bei den Vorbereitungen für das Symposium
gemerkt: Ursprünglich planten wir einen eintägigen Workshop. Doch die
Resonanz war so groß, dass wir nun über 150 Wissenschaftler zur Eröffnung
des Symposiums begrüßen durften.“

Die Bandbreite der Forschungsansätze reiche dabei von der
Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung – und Forscher ebenso wie
Vertreter von Bundesinstitutionen und Unternehmen hätten großes Interesse
daran, sich zu vernetzen. Neben namhaften Experten auf dem Gebiet wie
Bakteriophagen-Expertin Dr. Christine Rohde vom DSMZ sind auch Vertreter
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Paul-
Ehrlich-Instituts, des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für
Risikobewertung beim Symposium vertreten.

HINTERGRUND: Phagenforschung & Forschungszentrum für
Gesundheitswissenschaften

Organisiert wird das erste Deutsche Phagen-Symposium durch das
Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften (FZG) der Universität
Hohenheim. Das FZG bietet eine dynamische Plattform für alle Akteure, die
an Themen und gemeinsamen Projekten im Bereich Lebenswissenschaften und
Gesundheitsforschung interessiert sind. Es fördert interdisziplinäre
Spitzenforschung und ihre Anwendung im Sinne des "One Health"-Konzeptes,
verlinkt institutsübergreifend Expertise in verschiedenen Themenfeldern,
z. B. Biologie, Immunologie, Gesundheitswesen, Medizin, Landwirtschaft,
Ernährungs-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und stärkt die Brücken
zwischen Forschung und Anwendung, z. B. zwischen Labor, Klinik, Wirtschaft
und gesellschaftlichen Akteuren. Im Bereich der Phagenforschung bietet das
FZG an, als die nationale Kontaktstelle für Phagenforschung und deren
Anwendung zu fungieren. Mehr Infos unter https://health.uni-
hohenheim.de/phagen