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„Die Situation der Pflege in Deutschland ist nicht lustig“, damit leitete
Prof. Dr. Manfred Hülsken-Giesler, Prodekan der Pflegewissenschaftlichen
Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV),
seine Überlegungen zum Thema des dritten und für dieses Jahr letzten
Akademietages „Wer pflegt uns morgen?“ ein.

Vieles ist seit langem bekannt: der Mangel an Pflegekräften, die bereits
jetzt bestehende Versorgungslücke, fehlende Fachkompetenz, hohe
Fluktuation im Betrieb, die Belastung älterer Menschen, vor allem von
Frauen in der Pflege ihrer alten Angehörigen. Gerade leitende Pflegekräfte
sind überfordert in der Situation mit Quereinsteigern, die nur eine
oberflächliche Einführung in das – doch sehr menschennahe und fachliche
Eignung erfordernde – Geschehen der Pflege mitbringen, ergänzte Frau
Kathleen Schneider. Sie studiert Pflegewissenschaft an der PTHV und ist
zugleich im Qualitätsmanagement eines ambulanten Pflegedienstes tätig.

Doch es gilt nicht nur zu jammern – Prof. Hülsken-Giesler zeigte an drei
Themenfeldern auf, dass sich zur Therapie des „Patienten Pflege“ schon
viel tut: So wird langsam auch in Deutschland (viel später als in vielen
anderen Ländern) eingesehen, wie wichtig ein attraktives Berufsbild der
Pflege ist, was nur durch Professionalisierung, Aufzeigen von
Karrierewegen, guter und gerechter Bezahlung und nicht zuletzt einer
starken Interessenvertretung bei der Politik zu erreichen ist. Hinzukommen
sollte eine Stärkung des solidarischen Bewusstseins in der
Zivilgesellschaft. Hier sind viele Regionen schon auf einem guten Wege,
indem sie über die Grenzen von Dörfern und Stadtteilen hinweg Angebote
entwickeln und Strukturen so gestalten, dass ein
generationenübergreifendes Miteinander möglich wird. Dazu gehören
beispielsweise die Beratung bei Pflegebedarf, die Begegnung zwischen Jung
und Alt und eine Quartiersentwicklung, die alte Menschen nicht isoliert.
Ein durchaus heikles und zugleich chancenreiches Thema sind digitale
Technologien, die Routine-Arbeiten abnehmen. So können Apps im Smartphone
Herzschlag und Blutdruck messen, so kann über eine Kamera direkte
Kommunikation ermöglicht werden (z.B. zur Beratung, ohne Anreise). Die
Angst vor einem pflegenden Roboter ist verständlich; einer Umfrage zufolge
geben jedoch ein Viertel der Befragten diesem den Vorzug vor einer
gehetzten und ständig wechselnden Pflegekraft. Dazu kommt das Thema
Finanzen: „Pflege hat eine dienende Tradition. Es war lange tabu, über
Geld zu sprechen. Das muss sich ändern“, sagte der Referent.

An diesem Punkt knüpfte Dr. Hanno Heil an, Leiter des Verbandes der
katholischen Altenhilfe in Deutschland und Ständiger Lehrbeauftragter und
Projektleiter am Lehrstuhl Pastoraltheologie/Diakonische Theologie, der
Interessenvertretung von über 1000 konfessionellen Einrichtungen. „Pflege
ist eine christliche Errungenschaft – dass sie auch außerhalb der Familie
geschieht und dass auch Männer pflegen.“ Nun aber sei es auch für Christen
wichtig, nicht in archaischen Bildern von Familie stecken zu bleiben mit
dem bekannten „schlechten Gewissen“, wenn ein Angehöriger „ins Heim muss“.
Vielmehr sollten die Kirchen als starke Träger im caritativen Bereich
ihren Einfluss nutzen, um auf eine bessere Finanzierung von Pflege durch
den Staat hinzuwirken. Es sei unerträglich, dass private Träger mit Pflege
Millionen verdienen und diese dann im Ausland geringfügig versteuern. Das
Beispiel Skandinavien zeige, wie es auch anders geht: Dort wird durch
politischen Willen fast dreimal so viel (anteilig am Bruttosozialprodukt)
wie in Deutschland in die Pflege investiert. Technische Innovationen
werden dort gerade in der (oft dünn besiedelten) Fläche eingesetzt, um
Entfernungen zu überbrücken, mit einem hohen Zufriedenheitsgrad der
Betroffenen. Die damit einher gehende Entlastung der jüngeren Generation
führt sogar zu einer höheren Geburtenquote, was wieder dem Sozialstaat
zugutekommt. Die angeregte Diskussion mit dem Podium zeigte, dass die
Teilnehmer viele Impulse für ihre eigene Lebenswelt mitnahmen.