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Seit 2008 wird jährlich am letzten Tag im Februar der Tag der Seltenen
Erkrankungen begangen. Er soll die Aufmerksamkeit auf Krankheiten lenken,
die bei weniger als fünf von 10.000 Menschen auftreten. In Deutschland
leiden rund vier Millionen Menschen an einer der rund 6.000 seltenen
Krankheiten. „Wir haben in den letzten zehn Jahren viel erreicht.
Betroffene finden heute viel schneller kompetente Hilfe. Das ist vor allem
dem Aufbau von spezialisierten Zentren und Experten-Netzwerken sowie einer
verstärkten Zusammenarbeit mit den Haus- und Fachärzten geschuldet“, sagt
Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman, Sprecherin des „Freiburg Zentrum für
Seltene Erkrankungen“ (FZSE) und Ärztliche Direktorin der Klinik für
Dermatologie und Venerologie des Universitätsklinikums Freiburg. Noch
immer gibt es großen Forschungsbedarf bei vielen Krankheiten. Doch es gibt
auch viele Erfolge im Kampf gegen Seltene Erkrankungen. „Wir können immer
mehr Patienten wirksame Therapien anbieten“, freut sich Prof. Bruckner
Tuderman. Das zeigen drei Beispiele von Patienten mit seltenen
Krankheiten.

Seltene Immunerkrankung erklärt Schlaganfälle

Mit 21 Jahren hat die junge Mesale* schon vier Schlaganfälle überlebt. Die
Feinmotorik funktioniert nicht mehr und die rechte Körperseite ist
teilweise taub. Während einer Reha erleidet sie den fünften Schlaganfall
und wird ins Universitätsklinikum Freiburg gebracht. Dort wird auch Prof.
Dr. Bodo Grimbacher, Wissenschaftlicher Direktor des Centrums für
Chronische Immundefizienz am Universitätsklinikum Freiburg, konsultiert.
Er erkennt einen Zusammenhang zwischen erhöhten Entzündungswerten im Blut
und den Schlaganfällen. „Die Werte waren seit der Kindheit bekannt, wurden
aber nicht weiter beachtet“, sagt Prof. Grimbacher. Ein Gentest bestätigt,
dass ein Erbgut-Fehler vorliegt, der die Entzündung und die Schlaganfälle
verursacht. „Wir mussten die verschiedenen Informationen zusammenführen,
auswerten und mit möglichen Diagnosen abgleichen. Das war alles andere als
einfach, da von dem Erbgutfehler weltweit nur etwa 100 Menschen betroffen
sind“, sagt Prof. Grimbacher. Die richtige Diagnose führte zur richtigen
Therapie für Mesale, einem Mix aus Infusionen, Spritzen und Tabletten für
ihr Immunsystem und gegen die Entzündungen. Trotz ihrer Krankheit sagt die
Patientin: „Ich hatte eine glückliche Kindheit, andere nicht.“ Mit ihren
Erfahrungen möchte sie jetzt anderen Menschen mit einem ähnlichen
Schicksal helfen.

Ursache für fauligen Körpergeruch entdeckt

Es ist das Jahr 1997. Ein kleiner Junge und seine Schwester leiden seit
ihrer Geburt unter faulig-schwefeligem Körpergeruch. Prof. Dr. Karl
Otfried Schwab, damals Leiter der Sprechstunde für Stoffwechsel-, Hormon-
und Zuckererkrankungen der Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin
am Universitätsklinikum Freiburg, untersucht die beiden.
„Stoffwechselstörungen machen sich häufig durch einen ungewöhnlichen
Körpergeruch bemerkbar. Abbaustoffe sammeln sich im Körper an und gelangen
dann über Urin, Schweiß und Atemluft nach außen. Darum sollten Betroffene
einen Stoffwechselexperten aufsuchen“, rät Prof. Schwab. Bei den beiden
Kindern kann er alle bekannten Krankheiten ausschließen. Er sendet Blut-,
Urin- und Ausatemluftproben der Kinder an Experten in den Niederlanden,
die zwei für den Geruch verantwortliche Moleküle identifizieren. Die
Freiburger konnten durch Untersuchungen eine Genregion eingrenzen, in der
die verantwortlichen Genmutationen liegen mussten. Mit der damaligen
Kenntnis ließ sich aber kein Protein entdecken, dessen Fehlfunktion den
fauligen Geruch hätte erklären können. Schließlich identifizierten
holländische Forscher ein Gen und ein dazu gehöriges Protein, das bei
Bakterien für den Abbau der Moleküle zuständig ist, die beim Menschen  den
fauligen Geruch hervorrufen. Ein ähnliches Gen ließ sich im menschlichen
Erbgut in genau der vermuteten Region identifizieren. Alle bekannten
Patienten hatten genau dort eine krankheitsverursachende Erbgut-
Veränderung. „Die Freiburger Geschwister waren somit die ersten Patienten
weltweit, bei denen diese Krankheit festgestellt und deren Ursache
aufgedeckt wurde“, sagt Prof. Schwab. Hochrechnungen lassen aber vermuten,
dass bis zu 80.000 Menschen weltweit betroffen sein könnten. Eine
Ernährungsumstellung kann die Symptome lindern. „Langfristig hoffen wir
jedoch auf die Entwicklung einer medikamentösen Therapie“, sagt Prof.
Schwab.

Blutarmut durch Transplantation heilen

Die sechsjährige Marta* gehört zu den etwa 350 Menschen in Deutschland,
die unter der Diamond Blackfan-Anämie leiden. Bei dieser seltenen
Erbkrankheit ist in erster Linie die Bildung der roten Blutkörperchen
gestört, was unbehandelt in der Regel lebensbedrohlich ist. „Meist wird
die Krankheit im frühen Kindesalter entdeckt, wir sehen aber zunehmend
Erwachsene, bei denen die Krankheit bisher nicht gesichert werden konnte“,
sagt PD Dr. Brigitte Strahm, Leitende Oberärztin an der Klinik für
Hämatologie und Onkologie des Universitätsklinikums Freiburg. Der
Freiburger Arbeitsgruppe ist es im europäischen Verbund gelungen, der
Diamond Blackfan-Anämie zugrundeliegende Genveränderungen zu entdecken,
was die sichere Diagnosestellung dieser seltenen Erkrankung erleichtert.
So fand im Oktober 2017 in Freiburg zum zweiten Mal ein Internationales
Symposium statt, bei dem sich 118 Experten aus 27 Nationen über die
neuesten Erkenntnisse im Hinblick auf die Entstehung und Behandlung der
Diamond Blackfan-Anämie austauschten. Heilung der Blutarmut von Marta
bringt nur eine Knochenmarkstransplantation. „Eine solche Transplantation
wurde früher nur dann durchgeführt werden, wenn sich ein Geschwisterkind
als Knochenmarkspender eignete. Jetzt haben wir nachgewiesen, dass sie
auch mit passenden unverwandten Spendern erfolgreich sein kann“ erklärt
Dr. Strahm. So konnte Marta am Universitätsklinikum Freiburg erfolgreich
und ohne schwerwiegende Komplikationen von einem unverwandten Spender
transplantiert werden.

* Namen geändert