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Das Hormon Oxytocin spielt eine wichtige Rolle im Sozial- und
Sexualverhalten, wie Studien an Menschen und Tieren zeigen. Es hilft
Müttern, eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Im Tiermodell bewiesen
Forscher, dass das Hormon Ängste reduziert. „Neu sind Erkenntnisse, dass
Oxytocin bei sozialen Störungen und psychischen Erkrankungen therapeutisch
nützlich sein kann“, erklärt Professor Dr. Dr. med. René Hurlemann vom
Universitätsklinikum Bonn im Vorfeld des 61. Kongresses für Endokrinologie
vom 14. bis 17. März 2018 in Bonn.

Angststörungen mit belastenden körperlichen und psychischen Symptomen sind
die häufigsten psychischen Erkrankungen in Europa. Behandelt werden sie
mit Medikamenten und/oder kognitiver Verhaltenstherapie. „Die Zahl der
medikamentösen Neuentwicklungen stagniert allerdings“, sagt Professor
Hurlemann, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Abteilung für Medizinische
Psychologie des Universitätsklinikums in Bonn. Daher seien neuere
Ergebnisse zum Potenzial des Hormons Oxytocin bei psychischen Erkrankungen
von besonderer Bedeutung: „Das Hormon könnte die Symptome verschiedener
psychischer Erkrankungen lindern und so Patienten mit autistischen
Störungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Angststörung helfen“,
erklärt Hurlemann,

Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass Oxytocin
Geburtswehen auslöst und bei Müttern die Milch einschießen lässt. Von der
Weltgesundheitsorganisation wird das Hormon dank seiner Bedeutung für
Geburtshilfe und Stillzeit in der Liste „Essenzielle Medikamente“ geführt.
Wissenschaftler wissen auch schon länger, dass Oxytocin Müttern hilft,
eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen.

Seit Jahrzehnten untersuchen Forscher im Tiermodell die Rolle des
Oxytocins für Sozialverhalten und Fortpflanzung. Da Oxytocin das
Sozialverhalten positiv beeinflusst, nannte man es bald sprachlich etwas
ungenau das „Kuschelhormon“. Studien haben gezeigt, dass Oxytocin sozialen
Stress dämpfen, Vertrauen und soziale Kompetenzen steigern und die
Reaktion des Mandelkernkomplexes (Amygdala) vermindern kann. Letzterer ist
für Emotionen wie Angst und Wut zuständig. „Der eigene Körper produziert
das Hormon als natürlichen Baustein. Als Nasenspray angewandt, kann es ins
Gehirn wandern und dort furchtdämpfend wirken“, erklärt Hurlemann. Aktuell
untersuchen Forscher auf der ganzen Welt in über hundert Studien, wie
Oxytocin bei verschiedenen psychischen Erkrankungen wirkt und welche Dosis
angebracht wäre.

„Die Ergebnisse zu Oxytocin und seiner Rolle bei psychischen Erkrankungen
mit Beeinträchtigung der sozialen Kompetenzen sind sehr spannend. Oxytocin
kann vielleicht die Behandlung von Patienten mit psychischen Störungen
ergänzen, aber sehr sicher ist, dass das Hormon stets mit einer
Psychotherapie kombiniert werden muss“, bewertet Professor Dr. med.
Matthias M. Weber, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für
Endokrinologie (DGE) und Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Erkenntnisse. „Wir wissen
bereits eine Menge über einzelne Hormone und ihre Wirkung auf die Psyche.
Das Beispiel Oxytocin zeigt, wie wichtig Forschungen sind, die
translationale Ansätze haben, also den ‚Weg in die Praxis‘ mitdenken“,
ergänzt DGE-Kongresspräsident Professor Dr. rer. nat. Ulrich Schweizer vom
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, Rheinische Friedrich-
Wilhelms-Universität Bonn.

Auf der Pressekonferenz in Bonn am 14. März 2018 zum 61. Kongress für
Endokrinologie werden die DGE-Experten zudem über Social Freezing,
chronische Entzündungsreaktionen, die mit Diabetes, Atherosklerose und
Demenz zusammenhängen, und über neue Behandlungsansätze bei Osteoporose
diskutieren.

Terminhinweise:
Pressekonferenz anlässlich des 61. Deutschen Kongresses für Endokrinologie
der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Termin: Mittwoch, 14.03.2018, 11:00 bis 12:00 Uhr
Ort: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Hauptgebäude, Senatssaal
Anschrift: Regina-Pacis-Weg 3, 53113 Bonn

Plenary: Translating oxytocin neuroscience to the treatment of psychiatric
disorders
Prof. Dr. René Hurlemann
Termin: Freitag, 16.03.2018, 09:45 bis 10:30 Uhr
Ort: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Hauptgebäude, Hörsaal X
Anschrift: Regina-Pacis-Weg 3, 53113 Bonn

S10 Neuroendokrinologie
Vorsitz: Prof. Dr. Sebastian Schmid, Dr. Wiebke Fenske
Präsentationen: Prof. Dr. Manfred Hallschmid: Metabolische Effekte von
Oxytocin und anderen (Neuro)Peptiden; Prof. Dr. Larry Young: Oxytocin and
the Pair Bond: Implications for Autism
Termin: Freitag, 16.03.2018, 15:00 bis 16:30 Uhr
Ort: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Hauptgebäude, Hörsaal X
Anschrift: Regina-Pacis-Weg 3, 53113 Bonn

Weitere Informationen zum Kongress und das Programm finden Sie im Internet
unter www.dge2018.de

Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den
Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen – zum
Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in
Hoden und Eierstöcken – „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“
in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen wie
Speichel- oder Schweißdrüsen ihre Sekrete nach „außen“ ab.