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Logo der DTG
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Spanien, Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg oder Österreich haben sie
längst, Frankreich hat sie 2017 eingeführt – und die Niederlande jetzt
gerade: Die Widerspruchslösung. Nach Ansicht der Deutschen
Transplantationsgesellschaft (DTG) und der Deutschen Gesellschaft für
Nephrologie (DGfN) ist die Einführung der Widerspruchlösung auch in
Deutschland dringend zu fordern. In keinem anderen hochentwickelten Land
werden so wenige Organe gespendet. Allerdings muss die Einführung der
Widerspruchslösung von einem umfassenden Maßnahmenpaket begleitet werden,
nur dann kann sie auch den gewünschten Erfolg haben.

Deutschland ist in Sachen Organspende und Transplantation unter den
Eurotransplant-Ländern trauriges Schlusslicht: Bezogen auf je 1 Mio.
Bürger betrug die Rate an Organspendern 2017 in Kroatien 31,8, in Belgien
30,6,  in Österreich 23,5, in den Niederlanden 14,3 und in Deutschland 9,3
[1]. Diese unglaublich niedrigen Spendezahlen – trotz laut Umfragen
unverändert hoher Spendebereitschaft der deutschen Bevölkerung (> 80%) –
hat fatale Folgen für die Menschen auf der Warteliste: Sie warteten bei
uns im Durchschnitt 5-10 Jahre auf eine Niere, in Österreich hingegen nur
18 Monate in Spanien sogar nur 12 Monate. Die langen Wartezeiten bedingen
immer kränkere Patienten zum Zeitpunkt der Transplantation, was sich trotz
hoher Versorgungsqualität auch auf die Behandlungsergebnisse in
Deutschland auswirkt.

Nach der Einführung der Widerspruchslösung in den Niederlanden sprechen
sich die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) und die Deutsche
Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) nun für die Einführung dieser Lösung
auch in Deutschland aus. „Die Niederländer haben reagiert, und zwar lange
bevor die Situation so prekär wurde wie bei uns. Ich wünsche mir ähnlich
mutige Politiker im Bundestag wie in Holland“, erklärt Professor Dr.
Christian Hugo, Generalsekretär der DTG.

In Deutschland gilt seit dem 1. November 2012 die sogenannte
Entscheidungslösung, die die 1997 eingeführte erweiterte Zustimmungslösung
ablöste. Die Krankenkassen müssen ihre Mitglieder alle 2-5 Jahre
anschreiben und ergebnisoffen über die Organspende informieren. Die
Menschen sollen so zu einer Entscheidung für oder gegen die Organ- und
Gewebespende „angeregt werden“ [2], wirklich entscheiden muss sich aber
niemand. Laut den Experten der DTG haben die vergangen fünf Jahre gezeigt,
dass diese Lösung nicht greift, die Zahl der Organe ist weiter
zurückgegangen. „Unser System ermöglicht den Menschen, die
Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema des eigenen Ablebens und der
eigenen Positionierung zur Organspende weiter zu vertagen“, erklärt
Professor Dr. Mark Dominik Alscher, Präsident der DGfN. Die
Widerspruchslösung hingegen sei eine echte Entscheidungslösung: Mit ihrer
Einführung in den Niederlanden werden alle holländischen Staatsbürger
verbindlich befragt, ob sie Organspender werden wollen oder nicht.

Das häufige Argument gegen die Widerspruchslösung, dass dadurch eine
Bevormundung der Gesellschaft vorgenommen werde, lassen DTG und DGfN nicht
gelten: „Bevormundung ist, wenn jemand anders eine Entscheidung für einen
trifft. Die Widerspruchslösung lässt aber jedem Bürger seine volle
Entscheidungsfreiheit. Letztlich sollte uns auch die Tatsache, dass gerade
viele als besonders liberal geltende Länder wie Schweden, Frankreich,
Belgien oder jetzt die Niederlande die Widerspruchslösung bereits
eingeführt haben, Sicherheit dahingehend geben, dass damit keinesfalls
demokratische und menschenrechtliche Grundsätze verletzt werden“, so Prof.
Hugo.

„Die Widerspruchslösung allein löst allerdings nicht alle Probleme, sie
muss von einem umfassenden Maßnahmenpaket begleitet werden“, erklärt DTG-
Präsident, Professor Bernhard Banas. „Wir haben in Deutschland zahlreiche
Probleme, die zu den schlechten Transplantationszahlen führen und die wir
in ihrer Gesamtheit angehen müssen.“ Konkret benennt er Defizite bei der
Erkennung von potenziellen Organspendern, bundesweit uneinheitliche
Regelungen für Transplantationsbeauftragte und die im internationalen
Vergleich nur limitierten Möglichkeiten der Transplantationsmedizin. „Es
braucht Veränderungen auf allen Ebenen – und dies muss auch ein Nachdenken
über ein 20 Jahre altes Transplantationsgesetz einschließen.“  Auch wenn
die Widerspruchslösung kein „Allheilmittel“ sei, stehe sie doch für einen
Wandel in der Kultur der Organspende und Transplantation. Denn
interessanterweise beeinflusst sie auch die Einstellung der Menschen zur
Organspende: Während in Ländern mit Zustimmungslösung die Organspende nach
dem Tode als außergewöhnlich „heroischer“, altruistischer Akt eingestuft
wird, ist sie in der Einschätzung der Bevölkerung, die seit langem eine
Widerspruchslösung haben, viel „selbstverständlicher“ und „normaler“, wie
eine Studie [3] zeigte. Die Widerspruchslösung kann somit die Organspende
im gesellschaftlichen Wertesystem verankern.

[1]
http://statistics.eurotransplant.org/index.php?search_type=donors+deceased&search_organ=all+organs&search_region=Germany&search_period=2016&search_characteristic=per+million+population
[2] https://www.organspende-
info.de/sites/all/files/files/BZGA-15-02525_Flyer_Entscheidungslo%CC%88sung_DE.pdf
[3] Davidai S, Gilovich T, Ross LD. The meaning of default options for
potential organ donors. Proc Natl Acad Sci U S A. 2012 Sep 18; 109(38):
15201–15205. Vollpublikation abrufbar unter:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3458339/