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Das Geschäft mit der Homöopathie boomt. Globuli gehören in Deutschland zu
den häufig konsumierten Arzneimitteln. Allerdings gibt es keinen
belastbaren empirischen Nachweis für die Wirkung homöopathischer
Präparate. Trotzdem gehören sie zum Sortiment der Apotheken. Doch wie
zuverlässig klären Apotheker die Kundschaft über die pseudomedizinischen
Mittel auf? Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Erfurt unter
Leitung von Tilmann Betsch, Professor für Sozial-, Organisations- und
Wirtschaftspsychologie, hat dies in einer Studie, die jetzt in der
Zeitschrift „Skeptiker“ erschienen ist, untersucht und bescheinigt der
Mehrheit der Apotheker Weiterbildungsbedarf.

Zur Wirksamkeit der Homöopathie finden sich in der Literatur eine Reihe
von klinischen Studien. Einige davon verfehlen jedoch die methodischen
Mindeststandards für valide Untersuchungen. In den verbleibenden Studien,
die wissenschaftlichen Kriterien genügen, lässt sich kein nachweisbarer
Effekt homöopathischer Präparate feststellen, der über die Wirkung eines
Placebos hinausginge. Patienten konsumieren aber weiterhin homöopathische
Präparate. Gekauft werden sie immer noch am häufigsten in den Apotheken.
Insofern kommt den Apothekern eine besondere Verantwortung zu. Nach den
Leitlinien der Bundesapothekenkammer sollen Beratung und Beurteilung der
Wirksamkeit von Präparaten nach pharmakologisch-toxikologischen Kriterien
erfolgen. Bedeutet: Kunden dürfen erwarten, in einer Apotheke nach
aktuellen wissenschaftlichen Kriterien beraten zu werden.

Ob wir das wirklich, wenn es um Homöopathie geht, haben Tilman Betsch und
sein Team in einer Feldstudie untersucht. Dafür haben sie 2017 insgesamt
100 Apotheken in Stuttgart, Erfurt, Leipzig und Frankfurt zufällig
ausgesucht – 25 pro Stadt. In die Stichprobe befanden sie 23 Filialen
einer Kette und 77 freie Apotheken. Ihre Erhebung führten die
Wissenschaftler als verdecktes Interview durch, die vier weiblichen
Mitglieder des Autorenteams besuchten die ihnen zugelosten Apotheken als
Kundinnen und baten um ein Mittel für ihre erkälteten Familienmitglieder.
Für den Verlauf des weiteren Gesprächs hatte das Team einen Leitfaden mit
standardisierten Antworten auf Fragen erstellt, die nach den Vorgaben der
Bundesapothekenkammer für Beratungsgespräche zu erwarten wären. In allen
Varianten fragte die Kundin zuerst, ob es sich bei vorgeschlagenen
Medikamenten auch um homöopathische Präparate handelt. Wurde dies bejaht,
fragte sie nach Unterschieden in der Wirksamkeit. Enthielt die
Erstempfehlung keine homöopathischen Präparate, fragte die Kundin: „Ich
habe gehört, dass Homöopathie vielleicht auch eine Alternative wäre.
Stimmt das?“ Abschließend bat die Kundin um eine konkrete Empfehlung.
Direkt im Anschluss an das Beratungsgespräch wurde ein
Gedächtnisprotokollbogen ausgefüllt. Zentral dabei war, ob Unterschiede in
der Wirksamkeit zwischen homöopathischen und nicht-homöopathischen
Präparaten thematisiert wurden, und ob die Wirksamkeit mit Bezug auf den
Stand der Forschung begründet wurde.

Das Ergebnis: In 54 der 100 Fälle enthielt das Beratungsgespräch
mindestens eine Frage aus den Beratungsleitlinien der
Bundesapothekenkammer, z.B. das Vorliegen anderer Erkrankungen. Die
Erstempfehlungen enthielten immer mehrere Präparate. Am häufigsten wurden
Halsschmerzmittel empfohlen, gefolgt von schleimhautabschwellenden
Nasensprays, Schmerzmitteln und Komplexmitteln. Die große Mehrheit der
Erstempfehlungen enthielt kein homöopathisches Präparat, ausschließlich
homöopathische Präparate wurden in keinem Fall empfohlen. In 14 der 100
Beratungen enthielten die Erstempfehlungen auch homöopathische Präparate.
Nach Unterschieden in der Wirksamkeit zwischen homöopathischen und
„schulmedizinischen“ Präparaten gab der Apotheker in 14 Fällen an, dass
keine Unterschiede in der Wirksamkeit bestünden. Unterschiede in der
Wirksamkeit in den restlichen 13 Fällen wurde am häufigsten damit
begründet, dass Homöopathie besser bei Kindern als bei Erwachsenen wirke
und sich deshalb auch als Alternative zu stärker wirkenden
schulmedizinischen Präparaten anböte. Auf empirische Evidenz wurde nur in
zwei Fällen Bezug genommen. Hier wurde allerdings behauptet, dass die,
wenn auch schwächere Wirkung von Homöopathie, in klinischen Studien
nachgewiesen worden wäre. In den 86 Beratungsgesprächen, in denen die
Erstempfehlung keine homöopathischen Präparate enthielt, fragte die
Kundin, ob Homöopathie eine Alternative wäre. In 27,9 % der Fälle wurde
dies verneint, in 48,8 % der Fälle wurde die Frage bejaht. In den
restlichen 20 Beratungsgesprächen wurde die Frage nicht eindeutig
beantwortet. Mitunter wurde dabei darauf verwiesen, dass Kunden häufig
homöopathische Präparate in Kombination mit anderen „zur Unterstützung“
einnähmen. Auch in diesen 86 Gesprächen fragte die Kundin nach der Wirkung
von Homöopathie. In lediglich 5 der 86 Fälle verwiesen die Apotheker
darauf, dass die Wirkung von Homöopathie empirisch nicht nachgewiesen sei.
In 19 Fällen wurde sogar behauptet, dass die Wirkung homöopathischer
Präparate durch klinische Studien eindeutig bewiesen sei. In 11 Fällen
(12,8 %) wurde gesagt, dass die Wirkung durch das Erfahrungswissen
nachgewiesen wäre. Abschließend fragte die Kundin immer nach einer
endgültigen Empfehlung. Insgesamt blieb die überwiegende Mehrheit der
Apotheker bei ihrer Erstempfehlung. Nur fünf Personen boten zusätzlich
homöopathische Präparate an.

Aber was lässt sich daraus bezüglich der Beratung der Apotheker in Sachen
Homöopathie schließen? „Zum einen zeigen unsere Ergebnisse, dass im Falle
eines grippalen Infektes die überwiegende Mehrzahl von ihnen zu
schulmedizinischen Präparaten rät, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
einer Linderung der Symptome führen“, erläutert Prof. Tilmann Betsch. Wird
also laut der Erfurter Studie in Apotheken mit Bezug auf wissenschaftliche
Kriterien beraten? „Was die Wirkung von Homöopathie betrifft, so zeichnet
unser Untersuchungsergebnis ein eher düsteres Bild“, sagt Professor
Betsch. In nur 5 % aller Beratungsgespräche wurde gesagt, dass es für die
Wirkung von Homöopathie keine wissenschaftlichen Belege gäbe. In 30 %
aller Beratungsgespräche wurde dagegen behauptet, dass die Wirkung von
Homöopathie entweder in Studien nachgewiesen sei oder sich aus dem
Erfahrungswissen ergäbe. „Nach den Leitlinien der Bundesapothekenkammer
soll jedoch die Beurteilung der Wirksamkeit von Präparaten nach
pharmakologisch-toxikologischen Kriterien erfolgen. Zumindest was die
Begründung ihrer Empfehlungen betrifft, folgte die überwiegende Mehrheit
der von uns befragten Apotheker diesen Leitlinien nicht. Während ihre
Empfehlungen in der Regel nachweislich wirksame Medikamente enthielten,
unterschied sich ihr Wissen über die Wirkung von Homöopathie mehrheitlich
nicht von Laien-Meinungen. Zumindest was letzteren Bereich betrifft,
scheint ein (Weiter)-Bildungsbedarf bei vielen Apothekern zu bestehen.“

Zur Studie von Tilmann Betsch, Jana Chalupny, Susanne Grünewald, Lena
Hofert und Lisa-Marie Männer im „Skeptiker“: https://www.gwup.org
/zeitschrift-skeptiker