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Enzym blockiert Wächterfunktion gegen unkontrollierte Zellteilung

Wissenschaftler des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden im
Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) haben gemeinsam
mit einem internationalen Forscherteam in Laborversuchen einen bislang
unbekannten Überlebensmechanismus im Zellkern besonders aggressiver
Tumorzellen entschlüsselt. Eine wichtige Rolle hierbei spielt das
proteinspaltende Enzym Caspase 8, das sich ausschließlich bei aggressiven
Krebszellen im Zellkern anreichert. Ließe sich das Enzym an dieser Stelle
chemisch hemmen, wäre es denkbar, verschiedene Krebserkrankungen auch in
fortgeschrittenen Stadien wirkungsvoll zu bekämpfen.

Die Aufdeckung des Mechanismus bietet daher einen vielversprechenden
Ansatz für die Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien. Neben dem
schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom) und Prostatatumoren konnte der
entsprechende Mechanismus für weitere Tumorarten, darunter
Bauchspeicheldrüsenkrebs, Blasenkrebs, Brustkrebs, Darmkrebs,
Eierstockkrebs, Hodenkrebs, Lungenkrebs, Nierenkrebs und Tumoren des Hirns
nahegelegt werden. Die Ergebnisse der Untersuchung sind am heutigen
Mittwoch (22. Januar 2020) auf der Website des Fachmagazins „Molecular
Cell“ (www.cell.com, DOI 10.1016/j.molcel.2019.12.023) veröffentlicht
worden.

Tumorzellen vermehren sich meist besonders schnell und setzen dabei
Kontrollmechanismen außer Kraft, mit denen der Körper die Teilung kranker
Zellen zu verhindern sucht. Häufig spielen hierbei Mutationen des im
Zellkern enthaltenen Proteins p53 eine Rolle, das eine wichtige
Kontrollfunktion im Zellzyklus ausübt. Gerade in besonders aggressiven
Krebszellen, die bei metastasierenden Tumorerkrankungen wie dem malignen
Melanom eine wichtige Rolle spielen, liegt p53 allerdings zumeist in
seiner funktionsfähigen Normalform vor. Trotzdem kann es seiner
Wächterfunktion offensichtlich nicht nachkommen. Verantwortlich hierfür
ist ein bislang unbekannter Mechanismus, der bewirkt, dass der p53-Spiegel
im Kern besonders aggressiver Krebszellen zu gering ist, um geschädigte
Krebszellen in den programmierten Zelltod – eine Art Selbstmordprogramm
der Zelle – zu treiben.

Eine wichtige Rolle in diesem Mechanismus spielt das Enzym Caspase 8, das
normalerweise nur im Zytoplasma – der den Zellkern umgebenden
Grundsubstanz der Zelle – vorkommt, sich bei aggressiven Krebszellen
jedoch im Zellkern anreichert. „Wir konnten erstmals zeigen, dass Caspase
8 im Zellkern ein spezielles Protein – USP28 – spaltet, das dafür
verantwortlich ist, den p53-Spiegel in Krebszellen mit erhöhter DNA-
Schädigung anzureichern. In der Folge wird p53 zu stark abgebaut und kann
seine Kontrollfunktion nicht mehr ausüben. Zellen mit geschädigter DNA
werden dann nicht mehr in den programmierten Zelltod getrieben, sondern
stattdessen der Zellteilung zugeführt“, erklärt Prof. Dagmar Kulms,
Leiterin des Bereichs „Experimentelle Dermatologie“ des
Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden im Nationalen Centrum für
Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC). „Wie wirkungsvoll dieser Mechanismus
ist, zeigen die schlechten Überlebensraten von Patienten, bei denen sich
eine Anreicherung von Caspase 8 im Zellkern von Tumorzellen nachweisen
lässt. Gerade diese Zellen finden sich oft auch gehäuft in der restlichen
Tumormasse, die sich bei vielen aggressiven Krebserkrankungen der zunächst
erfolgreichen Behandlung entzieht“, sagt Dr. Mads Daugaard vom Vancouver
Prostate Centre (Kanada).

Die Wissenschaftler konnten den Mechanismus im Labor anhand zahlreicher
Zelllinien sowie Patientengewebe für das maligne Melanom und Prostatakrebs
belegen. Zum gleichen Ergebnis führten Untersuchungen an Zelllinien
weiterer Tumorarten, darunter Bauchspeicheldrüsenkrebs, Blasenkrebs,
Brustkrebs, Darmkrebs, Eierstockkrebs, Hodenkrebs, Lungenkrebs,
Nierenkrebs und Tumoren des Hirns.

Besonders vielversprechend ist, dass Caspase 8 nur bei besonders
aggressiven Krebszellen im Zellkern vorkommt und dort das Protein USP28
spaltet. Ließe sich die Interaktion von Caspase 8 und USP28 mit einem
chemischen Wirkstoff hemmen, könnten die aggressiven Tumorzellen künftig
sehr gezielt bekämpft werden. „Dies könnte im Idealfall dazu führen, dass
bei metastasierten Krebserkrankungen, bei denen heutige Tumortherapien
versagen, möglicherweise das Wachstum und die Ausbreitung gestoppt werden
könnten. Der Mechanismus spielt in einer Vielzahl von Krebsarten eine
Rolle. Daher sind unsere Ergebnisse von besonders großer klinischer
Relevanz“, sagt Prof. Stefan Beissert, Direktor der Klinik für
Dermatologie des Universitätsklinikums Dresden. Gemeinsam mit
spezialisierten Chemikern wollen die Wissenschaftler künftig an einem
entsprechenden Wirkstoff forschen.

Veröffentlichung
Ines Müller, Elwira Strozyk, Sebastian Schindler, Stefan Beissert, Htoo
Zarni Oo, Thomas Sauter, Philippe Lucarelli, Sebastian Raeth, Angelika
Hausser, Nader Al Nakouzi, Ladan Fazli, Martin E. Gleave, He Liu, Hans-Uwe
Simon, Henning Walczak, Douglas R. Green, Jiri Bartek, Mads Daugaard and
Dagmar Kulms: Cancer cells employ nuclear caspase-8 to overcome the
p53-dependent G2/M checkpoint through cleavage of USP28
Molecular Cell DOI 10.1016/j.molcel.2019.12.023