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Regionale Abweichungen bei Nutzung von ambulanten Leistungen in Deutschland
Regionale Abweichungen bei Nutzung von ambulanten Leistungen in Deutschland

Deutsche gehen häufiger zum Arzt als die Bürger anderer Industriestaaten.
Laut OECD kam jeder Bundesbürger im letzten Jahr durchschnittlich auf zehn
Arztbesuche, in Frankreich sind es nur sechs und in Schweden sogar nur
drei. Doch auch innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede: So
nehmen Hamburger 30% mehr ambulante Leistungen in Anspruch als
Brandenburger. Oft wird dieses Verhalten durch eine regionale Über- oder
Unterversorgung  begründet. Eine aktuelle Studie des RWI – Leibniz-
Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Tilburg zeigt
jedoch, dass die Unterschiede hauptsächlich auf Eigenschaften der
Patienten zurückzuführen sind – und nicht auf die ärztliche Versorgung.

Die wichtigsten Ergebnisse:

• Wie intensiv ambulante Leistungen genutzt werden, unterscheidet sich
stark zwischen einzelnen Regionen in Deutschland. Am stärksten nehmen
Menschen in Hamburg, Berlin und dem Saarland ärztliche Leistungen in
Anspruch, am wenigsten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-
Anhalt.

• Die RWI-Studie zeigt, dass dies zu über 90 Prozent auf Unterschiede
zwischen den Patienten zurückzuführen ist. Ein Hauptgrund für das
verschiedene Gesundheitsverhalten sind demnach die jeweiligen
Einstellungen und der Gesundheitszustand der Patienten. Die Zahl und die
Ausstattung der Arztpraxen in der Umgebung spielen dagegen nur eine
geringe Rolle.

• Für die Studie werteten die Autoren die ambulanten Leistungspunkte von
mehr als sechs Millionen Krankenversicherten aus. Dabei untersuchten sie
das Verhalten von Menschen, die innerhalb des Untersuchungszeitraums von
einer Region in eine andere umzogen: Im Durchschnitt nehmen Patienten nach
einem Umzug ebenso viele ärztliche Leistungen in Anspruch wie vorher, auch
wenn sich die ambulanten Versorgungsstrukturen zwischen den Wohnorten
unterscheiden.

• Frühere Studien zeigen, dass sich die ärztliche Versorgung
beispielsweise in den USA und den Niederlanden stärker auf das
Patientenverhalten auswirkt als in Deutschland. Das könnte daran liegen,
dass die Versorgung hierzulande stärker reguliert und auch in abgelegenen
Regionen vergleichsweise gut ist. Zugleich ist das Patientenverhalten kaum
beschränkt – dafür sorgen etwa die freie Arztwahl und die geringen
Zuzahlungen.

• Bei Fachärzten spielt die Versorgung eine größere Rolle als bei
Allgemeinmedizinern. Bei ihnen sind die regionalen Unterschiede von
ambulanten Behandlungen zu rund 32 Prozent auf die Versorgung
zurückzuführen, bei Allgemeinmedizinern nur zu 7 Prozent.

„Unsere Studie macht deutlich, dass ein höheres Angebot an Ärzten nicht
automatisch dazu führt, dass Patienten öfter zum Arzt gehen“, sagt RWI-
Gesundheitsökonom Ansgar Wübker, einer der Autoren der Studie.
„Stattdessen scheinen kulturelle Unterschiede und Einstellungen eine große
Rolle zu spielen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Menschen in
Ostdeutschland durchschnittlich deutlich weniger ärztlich behandelt werden
als im Westen.“ Allerdings könnte die ärztliche Versorgung in Zukunft eine
größere Rolle spielen, ergänzt Koautor Martin Salm von der Universität
Tilburg: „Angesichts der demografischen Entwicklung in ländlichen Regionen
dürfte die Frage, ob man zum Arzt geht oder nicht, künftig stärker von der
Versorgung abhängen als bisher.“

Die Analyse basiert auf Daten von 6,3 Millionen Versicherten einer großen
deutschen Krankenversicherungsgruppe. Beobachtet wurden Patienten ab 18
Jahren im Zeitraum von 2006 bis 2012. Darunter befanden sich rund 203.000
Patienten, die im beobachteten Zeitraum umgezogen sind.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ansgar Wübker, Tel.: (0201) 81 49-242, Ansgar.Wuebker@rwi-
essen.de
Leonard Goebel (Kommunikation), Tel.: (0201) 81 49-210, leonard.goebel
@rwi-essen.de

Originalpublikation:
Dieser Pressemitteilung liegt die Studie „Sources of regional variation in
healthcare utilization in Germany“ von Martin Salm und Ansgar Wübker
zugrunde. Sie ist in der Januar-Ausgabe des Journal of Health Economics
erschienen.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S016762961830866X?via%3Dihub