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Die Projektleiter der DIGIT-HF-Studie Prof. Dr. Udo Bavendiek (ganz l.) und Prof. Dr. Johann Bauersachs (ganz r.) von der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im Gespräch mit einem Patienten.  Foto: Tom Figiel/MHH  MHH
Die Projektleiter der DIGIT-HF-Studie Prof. Dr. Udo Bavendiek (ganz l.) und Prof. Dr. Johann Bauersachs (ganz r.) von der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im Gespräch mit einem Patienten. Foto: Tom Figiel/MHH MHH

DIGIT-HF Studie prüft Nutzen des Herzglykosids Digitoxin für besseres
Leben von Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz.
In Deutschland leiden bis zu vier Millionen Menschen an einer chronischen
Herzinsuffizienz. Trotz beachtlicher Fortschritte in Prävention und
Therapie ist die Herzschwäche immer noch einer der Hauptgründe für
Krankenhausaufenthalte und eine der häufigsten Todesursachen. Ob Patienten
mit Herzinsuffizienz, die zusätzlich zur Standardtherapie das Medikament
Digitoxin bekommen, länger und besser leben, wird zurzeit in einer großen
klinischen Studie untersucht. Die DIGIT-HF Studie (DIGitoxin to Improve
ouTcomes in patients with advanced chronic Heart Failure) läuft seit 2015
und wird noch bis 2024 weitergeführt, um die notwendige Gesamtzahl von
etwa 1700 Studienpatienten zu erreichen. Die Deutsche Herzstiftung
unterstützt innerhalb dieser vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) geförderten Studie das Projekt „Hochqualifiziertes
Biobanking und Biomarker-Analysen in der DIGIT-HF-Studie“ finanziell mit
einer Fördersumme von rund 80.000 Euro. „In der DIGIT-HF-Studie
untersuchen wir insbesondere, ob Digitoxin in der Lage ist, die
Herzschwäche-Symptome und das Überleben der Patienten merklich zu
verbessern und als Option für diejenigen Patienten in Frage kommt, bei
denen die Standardtherapie ausgereizt ist“, betont Studienleiter Prof. Dr.
med. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie
der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Unser Herz schlägt etwa 60 bis 100 Mal pro Minute, 80.000 bis 150.000 Mal
am Tag. Dabei pumpt es unaufhörlich Blut durch den Körper, um ihn mit
Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Ist die Pumpleistung vermindert,
sprechen Mediziner von chronischer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz.
Häufig entsteht sie als Folge eines Herzinfarkts oder durch eine Verengung
der Herzkranzgefäße. Die Betroffenen haben eine relativ schlechte
Prognose. Atemnot, schlechte Belastbarkeit, Wassereinlagerungen bis hin
zur Unbeweglichkeit, schwere Rhythmusstörungen oder Tod sind die Folgen.
Informationen rund um die Volkskrankheit Herzschwäche bieten die
bundesweiten Herzwochen unter dem Motto „Das schwache Herz“ mit
Aufklärungsaktionen und Ratgeberinfos, abrufbar unter
www.herzstiftung.de/herzwochen2020

Alternative zur Standardtherapie bei zusätzlich eingeschränkter
Nierenfunktion
Herzwirksame Glykoside, eine Gruppe von Wirkstoffen, die im Fingerhut
(Digitalis) vorkommen, steigern die Schlagkraft des Herzens. Diese Wirkung
ist schon seit über 200 Jahren bekannt. Seitdem finden Digitalis-Präparate
Anwendung in der Behandlung der Herzschwäche. Allerdings hat die Therapie
mit Digitalis an Bedeutung verloren, weil inzwischen wirkungsvolle
Medikamente entwickelt wurden wie Betablocker, ACE-Hemmer/Sartane, MRAs
(Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten), die heute als Standardtherapie
bei Herzschwäche gelten. Erst wenn diese Therapien ausgereizt sind, kommen
Herzglykoside wie Digoxin oder Digitoxin zum Einsatz. „Manche Patienten
vertragen die heutige Standardtherapie nicht. Viele Menschen mit schwachem
Herzen haben eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion. Bei ihnen ist
die Standardtherapie mit ACE-Hemmer/Sartan und MRA häufig nur begrenzt
möglich, da sie die Nierenfunktion weiter verschlechtern und es zu hohen
Kaliumspiegeln im Blut kommen kann. In diesen Fällen können Herzglykoside
eine sinnvolle Alternative sein.“ erläutert Prof. Dr. med. Udo Bavendiek,
Oberarzt in der Klinik für Kardiologie und Angiologie der MHH, der
gemeinsam mit Klinikdirektor Prof. Bauersachs die DIGIT-HF Studie ins
Leben gerufen hat und leitet.

Digitoxin: In der Therapie bewährt, aber Nutzenbeweis steht noch aus
Obwohl Digitalis-Präparate schon seit Jahrhunderten erfolgreich in der
Herzschwächetherapie eingesetzt werden, steht der wissenschaftliche Beweis
für ihren Nutzen noch aus. Die DIGIT-HF Studie soll nun klären, ob die
Einnahme von Digitoxin zusätzlich zur heute üblichen Behandlung
tatsächlich dazu führt, dass die Patienten länger leben und weniger Zeit
im Krankenhaus verbringen müssen. Warum wurde Digitoxin als Wirkstoff
gewählt?  „Bisherige Studien wurden mit Digoxin durchgeführt. Der Einsatz
von Digoxin ist aber bei einer gestörten Nierenfunktion nur eingeschränkt
möglich, da es nahezu ausschließlich über die Niere ausgeschieden wird“,
erklärt Bauersachs und fährt fort: „Im Gegensatz dazu wird Digitoxin bei
einer gestörten Nierenfunktion vermehrt über den Darm ausgeschieden. Das
Medikament Digitoxin ist somit auch für vorbelastete Patienten mit
Nierenschwäche verträglich. Das haben Ergebnisse aus bisherigen
Untersuchungen bestätigt.“ Auch Patienten mit Vorhofflimmern werden in die
Untersuchungen einbezogen, weil derzeit noch wenig über den Nutzen von
Digitalis-Glykosiden bei Patienten bekannt ist, die gleichzeitig an
Herzschwäche und Vorhofflimmern erkrankt sind.
In der Substudie „Hochqualifiziertes Biobanking und Biomarker-Analysen in
der DIGIT-HF-Studie“ wird eine Datenbank mit Patientenproben erstellt, um
Biomarker zu identifizieren, mit denen die weitere Krankheitsentwicklung,
beispielsweise eine Verschlechterung, frühzeitig vorhergesagt werden kann.
Geeignete Biomarker würden es möglich machen, im Sinne einer
personalisierten Medizin rechtzeitig therapeutisch gegenzusteuern. Ein
weiteres Ziel der Studie ist es, mithilfe der Biomarker-Analysen bislang
nicht bekannte Wirkmechanismen von Herzglykosiden zu identifizieren.
Die DIGIT-HF Studie wird von der MHH in Zusammenarbeit mit anderen
Kliniken in Deutschland und Österreich durchgeführt. Zur Beantwortung der
Forschungsfrage sind insgesamt etwa 1700 Studienpatienten nötig. 900
Patienten wurden bereits im Rahmen der Studie behandelt, weitere 800
Studienteilnehmer sollen bis 2024 eingeschlossen werden. Dabei wird jeder
Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Behandlungsgruppen
zugeordnet. Die Patienten der einen Gruppe bekommen das zu testende
Medikament Digitoxin. Die anderen erhalten stattdessen ein identisch
aussehendes Scheinmedikament (Placebo). Die Studie wird verblindet
durchgeführt, das heißt weder Arzt noch Patient wissen, welcher Teilnehmer
zu welcher Gruppe gehört.

Studie läuft auch in Corona-Zeiten
In diesem Jahr läuft die Durchführung der Studie wegen der Covid-19
Pandemie unter erschwerten Bedingungen ab. Während des Lockdowns im
Frühjahr konnten persönliche Visiten nur dann stattfinden, wenn es
medizinisch notwendig war, nicht zu reinen Forschungszwecken. „Aber wir
haben Möglichkeiten gefunden, die Studienvisiten auf andere Art
durchzuführen, zum Beispiel telefonisch. So konnten die bisherigen
Teilnehmer problemlos im Rahmen der Studie weiter betreut werden. Sehr
schwierig war in dieser Zeit jedoch der Einschluss neuer Patienten.“ sagt
der Arzt und Forscher Bavendiek. Anders als die meisten klinischen Studien
ist DIGIT-HF unabhängig von Industriegeldern finanziert. „Da die
Pharmaindustrie in der Regel neue Wirkstoffe erforscht, hat sie wenig
Interesse an dem alten Medikament Digitoxin, das schon lange für die
Behandlung der Herzschwäche zugelassen ist“, erklärt Bauersachs, und
weiter: „Der Nutzen der Digitalis-Präparate ist aber immer noch nicht
zweifelsfrei wissenschaftlich nachgewiesen. Das sollte in einer klinischen
Studie geklärt werden.“
Die beiden Studienleiter sehen dem Ergebnis zuversichtlich entgegen. „Wir
hoffen, dass unsere Studie Digitoxin als Mehrwert-Medikament bestätigen
wird. Wenn dieses Herzglykosid tatsächlich das Leben der Patienten
verlängert und zu weniger Krankenhausaufenthalten führt, also auch die
Lebensqualität der Betroffenen verbessert, haben wir ein wirksames und
kostengünstiges Medikament, das die Behandlungsmöglichkeiten bei
Herzschwäche deutlich erweitert“, fasst Bavendiek zusammen.
(AL)

Tipp: Der Ratgeber „Das schwache Herz“ (180 S.) kann kostenfrei per Tel.
unter 069 955128-400 (E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) angefordert
werden. Leicht verständlich informieren Herzexperten über Ursachen,
Vorbeugung sowie über aktuelle Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten der
Herzschwäche. Weitere Infos unter www.herzstiftung.de/herzwochen2020 und
www.herzstiftung.de/herzschwaeche-therapie

Die Herzwochen stehen unter dem Motto „Das schwache Herz“ und richten sich
an Patienten, Angehörige, Ärzte und alle, die sich für das Thema
Herzschwäche interessieren. An der Aufklärungskampagne beteiligen sich
Kliniken, niedergelassene Kardiologen, Krankenkassen und Betriebe. Infos
zu Online-Vorträgen, Telefonaktionen und Ratgeber-Angeboten sind unter
www.herzstiftung.de/herzwochen2020 abrufbar oder per Tel. 069 955128-333
zu erfragen.