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Zwei Mitglieder der Ständigen Impfkommission kommen aus Erlangen und
entscheiden mit über die bundesweite COVID-19-Impfstrategie – Impfstart
„wahrscheinlich Anfang 2021“

In der Berufungsperiode von 2020 bis 2023 hat die Ständige Impfkommission
(STIKO) am Robert-Koch-Institut 18 Mitglieder – zwei von ihnen kommen aus
dem Universitätsklinikum Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU): Prof. Dr. Christian Bogdan, Direktor des
Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und
Hygiene, und Prof. Dr. Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts
– Klinische und Molekulare Virologie. In der STIKO arbeiten die beiden
Erlanger Wissenschaftler mit an einer COVID-19-Impfstrategie für
Deutschland. Diese könnte noch in diesem Jahr feststehen.

Die STIKO entwickelt Impfempfehlungen für ganz Deutschland. Sie ist ein
unabhängiges Expertengremium, das von der Ge¬schäfts¬stelle im Fach¬gebiet
Impf¬prävention des Robert-Koch-Instituts koordiniert und unterstützt
wird. Erst wenn die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das
deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) einen Impfstoff zugelassen haben –
wenn er also aufgrund klinischer Phase-III-Studien als wirksam, sicher und
qualitativ hochwertig gilt –, kann die STIKO eine Impfempfehlung
aussprechen. Die Kommission berücksichtigt dabei nicht nur gesundheitliche
Nutzen-Risiko-Aspekte für den Einzelnen, sondern bewertet Impfungen auch
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung.

Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung“

In der STIKO-Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung“ leisten Prof. Bogdan und
Prof. Überla
die Vorarbeit für eine bundesweite Impfstrategie. Neben Virologen und
Mikrobiologen gehören auch Kinderärzte, niedergelassene
Allgemeinmediziner, Vertreter des Öffentlichen Gesundheitsdiensts,
Ethiker, Statistiker und andere Fachleute zur AG. „In der Arbeitsgruppe
analysieren wir die umfangreiche Literatur zu COVID-19. Es geht vor allem
um die Frage, was man mit der COVID-19-Impfung erreichen will und wer
geimpft werden soll“, erklärt Prof. Bogdan – seit 2011 STIKO-Mitglied. Die
Arbeitsgruppe entwirft eine Empfehlung, über die dann wiederum die gesamte
STIKO abstimmt. Dabei können jederzeit Korrekturen vorgenommen werden –
die AG bekommt also ein neutrales Feedback. Dann geht die Beschlussvorlage
an den Gemeinsamen Bundesausschuss der Krankenkassen (G-BA). Der befindet
darüber, ob die Impfung in die Schutzimpfungs-Richtlinie aufgenommen wird
und damit von den Krankenkassen erstattet werden muss.

„Wir sind angenehm überrascht“ – erste Impfstoffzulassung im Dezember 2020
wahrscheinlich

Derzeit trifft sich die COVID-19-AG der STIKO alle zwei Wochen online.
Arbeitsgruppenmeetings finden damit viel häufiger statt als vor der
Corona-Pandemie. „Ich gehe davon aus, dass die Zulassung eines oder
mehrerer COVID-19-Impfstoffe noch im Dezember 2020 erfolgen wird und dass
wir auch zeitnah unsere Strategie veröffentlichen. Verabreicht werden
könnte der Impfstoff wahrscheinlich schon Anfang 2021“, schätzt Prof.
Bogdan. Das Besondere: Normalerweise beurteilt die STIKO einen Impfstoff
erst dann, wenn dieser bereits zugelassen ist. „Eine Impfstoffentwicklung
hat in der Vergangenheit manchmal 10 bis 15 Jahre gedauert“, erklärt Prof.
Überla, der seit 2017 Mitglied der STIKO ist. Bei der Corona-Impfung ist
es anders: Die STIKO evaluiert die Impfstoffe parallel zum
Zulassungsverfahren von EMA und PEI. Viele Verwaltungs- und
Entscheidungsprozesse wurden extrem beschleunigt. „Wir wollen keine Zeit
verlieren. Trotzdem werden wir nicht einfach irgendetwas durchwinken“,
versichert Prof. Bogdan. Die Zahlen zur Wirksamkeit seien momentan aber
„sehr vielversprechend“. „Von drei verschiedenen Impfstoffherstellern
wurden jetzt Schutzraten von 90 Prozent und höher berichtet, was uns
angenehm überrascht hat.“ Bei der Grippeimpfung gebe es zum Beispiel einen
deutlich niedrigeren Schutz von nur 50 bis 60 Prozent, je nach Saison.
„Trotzdem müssen wir auch für die Corona-Impfung eine detaillierte Nutzen-
Risiko-Bewertung vornehmen. An den Regeln und Sicherheitsanforderungen hat
sich trotz des rasanten Tempos nichts geändert“, so Prof. Bogdan weiter.

Zulassung mehrerer Impfstoffe für unterschiedliche Personengruppen möglich

Die Daten aus klinischen Phase-I- und Phase-II-Studien mit ersten
Impfstoffkandidaten liegen bereits vor und auch die Ergebnisse aus den
Phase-III-Studien soll die STIKO in Kürze erhalten. In den derzeit
laufenden Phase-III-Studien wird überprüft, ob Geimpfte neutralisierende
Antikörper gegen das Virus SARS-CoV-2 bilden und ob bei den Probanden
zudem eine spezifische Immunantwort aufgebaut wird, die durch
T-Lymphozyten – also bestimmte weiße Blutzellen – vermittelt wird. „In den
Studien wird erfasst, wie viele COVID-19-Infektionen bei den Geimpften im
Vergleich zu einer ungeimpften Kontrollgruppe auftreten. So kann die
Wirksamkeit eines Impfstoffs abschließend beurteilt werden“, erklärt Prof.
Überla. „Wenn die Studienunterlagen dann zur STIKO kommen, prüfen wir, ob
Wirksamkeit und Sicherheit ausreichend nachgewiesen wurden und ob der
Nutzen der Impfung für die Bevölkerung so groß ist, dass wir eine
Empfehlung aussprechen können. Wir müssen auch darüber entscheiden, welche
Personengruppen den Impfstoff überhaupt erhalten sollen bzw. wer ihn
zuerst bekommt. Oberste Ziele sind, Risikogruppen wie Ältere und Menschen
mit Grunderkrankungen bestmöglich zu schützen und eine Weiterverbreitung
des Virus zu verhindern.“

Dabei kann es auch passieren, dass die STIKO über verschiedene zugelassene
Impfstoffe befinden muss und dass diese eventuell für unterschiedliche
Personengruppen infrage kommen. Da es noch viele Monate dauern wird, bis
größere Bevölkerungsgruppen geimpft sind, sollten sich die Menschen nach
Ansicht der Erlanger Experten nicht vorschnell in Sicherheit wiegen. „Ein
Impfstoff wird uns nicht erlauben, alle Hygienemaßnahmen schlagartig über
Bord zu werfen“, betont Prof. Bogdan. „Wir werden zunächst nur einen Teil
der Gesellschaft durch eine Impfung schützen können und müssen dann sehen,
wie gut es mit der Produktion und Verteilung der Impfstoffe und mit der
Durchführung der Impfungen vorangeht.“

„Persönlich hoffe ich dennoch, dass es uns als Gesellschaft gelingt,
innerhalb von 90 Tagen nach Zulassung 90 Prozent der Hochrisikogruppen mit
einem Impfstoff zu schützen, der mindestens eine Wirksamkeit von 90
Prozent aufweist. Für mich sind das die 90-90-90-Ziele der
COVID-19-Impfung“, so Prof. Überla. „Damit könnten wir einen großen Teil
der COVID-19-Todesfälle vermeiden und das Risiko der Überlastung des
Gesundheitssystems bannen. Wenn wir das erreichen, kann eine Neubewertung
der Kontaktreduktionsmaßnahmen erfolgen, die natürlich auch die vielen
negativen Folgen für jeden Einzelnen, die Wirtschaft und die Gesellschaft
berücksichtigt.“

Nebenwirkungen umfassend dokumentieren – „Langzeitfolgen sind sehr selten“

Das Gute: Die Phase-III-Studien für den Corona-Impfstoff sind deutlich
größer angelegt als bei vielen früher zugelassenen Impfstoffen. „Wir
sprechen schon jetzt von über 43.000 Personen, die einen der sogenannten
COVID-19-mRNA-Impfstoffe im Rahmen einer Phase-III-Studie erhalten haben.
Im Rahmen der laufenden Phase-III-Studie zu einem der Adenovirus-basierten
COVID-19-Impfstoffe ist der Einschluss von bis zu 60.000 Probanden
vorgesehen. Bei so großen Gruppen können wir auch seltene Nebenwirkungen
erkennen, die zum Beispiel bei weniger als einem von 1.000 Geimpften
auftreten. Dabei ist immer auch zu prüfen, ob Nebenwirkungen kausal auf
die Impfung zurückzuführen sind oder ob sie einfach zufällig mit einer
Impfung zusammentrafen. Deshalb muss es eine langfristige gründliche
Dokumentation von unerwünschten Ereignissen geben, die möglicherweise mit
der Impfung in Verbindung stehen“, erklärt Prof. Bogdan. „Es geht
letztlich immer um eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Sehr seltene
Nebenwirkungen werden wir erst beobachten können, wenn der Impfstoff
längerfristig genutzt wird und wenn wir Anwendungsstudien machen können.
Langzeitfolgen sind aber sehr selten. Die meisten unerwünschten Ereignisse
treten schon zwei, drei Wochen nach einer Impfung auf“, ergänzt Prof.
Überla.

STIKO: strenge Regularien und Unabhängigkeit

Alle STIKO-Mitglieder arbeiten komplett ehrenamtlich als unabhängige
Experten. Für die Aufnahme in die Kommission gelten strenge
Befangenheitsregeln. Bei STIKO-Mitgliedern dürfen keine
Interessenkonflikte in Bezug auf eine Impfstoffentwicklung bestehen –
etwa, weil jemand ein Pharmaunternehmen berät, entsprechende Aktien
besitzt oder an einer Universität Industrieforschung betreibt. Alles muss
offengelegt werden. „Wenn es da irgendeinen Anschein der Befangenheit
gibt, wird man für Jahre für STIKO-Abstimmungen über Impfstoffe des
entsprechenden Unternehmens gesperrt“, betont Klaus Überla. „Als
Mitglieder der STIKO sind wir nur unserem Gewissen und der unparteiischen
Erfüllung unserer Aufgaben verpflichtet.“