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Stiftung Kindergesundheit fordert eine strickte Einschränkung des an
Kinder und Jugendlichen gerichteten Lebensmittel-Marketings im Fernsehen
und auch in sozialen Medien

Daran besteht kein Zweifel: Werbung und Marketing für Lebensmittel in
Medien haben Risiken und Nebenwirkungen. Im Fernsehen und im Internet
werden vor allem verarbeitete Produkte vermarktet, die zu viel Zucker,
Salz und gesättigte Fette enthalten. Sie haben schädliche Auswirkungen auf
das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen und fördern die Entstehung
von Übergewicht und Fettsucht, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in
einer aktuellen Stellungnahme.

„Die in den Medien angepriesenen Fertigprodukte und das in
Schnellrestaurants angebotene Essen haben weitaus mehr Kalorien pro 100 g
als unsere durchschnittlichen Mahlzeiten zuhause“, erläutert Prof. Dr.
Berthold Koletzko den Zusammenhang. Der Stoffwechselexperte der
Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung
Kindergesundheit betont: „Zahlreiche Studien zeigen, dass die an Kinder
gerichtete Werbung der Lebensmittelindustrie den Verzehr ungesunder
Produkte erhöht und mit der Zunahme von Adipositas und ihrer gefährlichen
Folgen verbunden ist“.

Bezahlte Vorbilder werben für Cola und Gummibärchen

Für die Industrie sind Kinder und Jugendliche als Konsumenten ein
wichtiger Marktfaktor mit einer Kaufkraft von 5,8 Milliarden Euro. Wie die
Lebensmittelhersteller vermehrt auch über sozialen Medien versuchen, diese
Kaufkraft auszuschöpfen, belegt die Verbraucherorganisation Foodwatch in
ihrem soeben veröffentlichten „Junkfluencer Report“.
Umfangreiche Recherchen von Foodwatch haben ergeben, dass internationale
Lebensmittelkonzerne wie Coca-Cola, McDonald‘s sowie Mondelez und auch
deutsche Unternehmen wie Dr. Oetker oder Haribo mit jungen Influencerinnen
und Influencern kooperieren, um in den sozialen Medien, auf Youtube,
Tiktok oder Instagram ihre Süßigkeiten, Softdrinks, Fertigprodukte oder
Fastfood zu propagieren.
Diese jungen Superstars des Internets erreichen Millionen von Kindern und
Jugendlichen und torpedieren mit ihren „Postings“ die Bemühungen vieler
Eltern, ihre Kinder für gesundes Essen zu motivieren. Die Werbebotschaften
fallen auf fruchtbaren Boden: Influencer genießen bei ihren Followern hohe
Glaubwürdigkeit und können deren Produktentscheidungen stark beeinflussen.
„Die von den Influencern übernommenen Ernährungsgewohnheiten können die
Gesundheit von Kindern dauerhaft nachteilig prägen“, sagt Prof. Dr.
Berthold Koletzko. „Deshalb fordern wir Kinder- und Jugendärzte schon seit
langem, die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung – darunter auch
die subtile und oft versteckte Werbung über soziale Medien – wirksam zu
beschränken. Denn die allermeisten beworbenen Produkte sind unausgewogen
und fördern langfristig ernährungsbedingte Krankheiten wie Bluthochdruck,
Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes und einige Arten von Krebs“.

Selbstverpflichtung – nur ein Ablenkungsmanöver?

Dabei haben sich die weltweit führenden Lebensmittelunternehmen bereits
2007 im Rahmen einer Initiative der Europäischen Union freiwillig dazu
verpflichtet, ihr Marketing verantwortungsvoller zu gestalten. In dem
sogenannten „EU Pledge“ haben sie zugesichert, freiwillig Regeln für an
Kinder gerichtetes Marketing einzuhalten. So sollen beispielsweise nur
noch Lebensmittel, die bestimmte Ernährungskriterien erfüllen, an Kinder
unter zwölf Jahren in TV, Print und Internet beworben werden.
Diese Selbstverpflichtung erwies sich jedoch als völlig unzureichend,
stellt die Stiftung Kindergesundheit fest. Nach einer in Deutschland
durchgeführten Untersuchung werden Produkte von EU-Pledge-Mitgliedern
sogar häufiger mit Kindermarketing beworben als von Nichtmitgliedern. Auch
das Kindermarketing im Internet nahm zu: Eine vom AOK-Bundesverband
unterstützte Studie der Universität Hamburg zeigt, dass Kinder 8 bis 22
Mal pro Tag mit Online-Werbeaktivitäten von Lebensmittelherstellern
konfrontiert werden.
Eine Studie in den USA zeigte, dass die dort von Unternehmen ausgelobte
freiwillige Selbstbeschränkung zur Werbung an Kinder nicht effektiv war
und Vorschulkinder weiterhin täglich der Werbung für ungesunde
Lebensmittel in Kinderprogrammen ausgesetzt sind.

Fast zwei Millionen dicke Kinder und Jugendliche

Die Zeit drängt, sagt die Stiftung Kindergesundheit. In Deutschland
verursachen die sogenannten nicht-übertragbaren Krankheiten über 90% aller
Todesfälle. Dabei haben im Kindesalter übernommene Ernährungsgewohnheiten
einen wichtigen Einfluss auf das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Diabetes und Krebserkrankungen. Eine unmittelbar sichtbare
Folge falscher Ernährungsweise ist die hohe Zahl übergewichtiger Kinder –
betroffen sind laut der Kinder- und Jugendgesundheits-Untersuchung KiGGS
(Welle 2) heute 15,4 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis
17 Jahren. Die über die Lebenszeit entstehenden Mehrkosten bei den heute
in Deutschland übergewichtigen Kindern schätzt eine Studie der Universität
Mannheim auf 393 Milliarden Euro.
Ein Risikofaktor ist der weiter zunehmende Verzehr verarbeiteter Produkte
wie Fertiggerichte, ‚Convenience Food’, Fastfood und vorbereiteter
Mahlzeiten. Nach den jüngst veröffentlichten Daten der Ernährungsstudie
KiGGS-Modul EsKiMo II geben fast alle 12- bis 17-Jährigen (97,8 %) an,
mindestens einmal in den letzten vier Wochen Fastfood verzehrt zu haben.
Mädchen konsumieren etwa 400 Gramm und Jungen etwa 600 Gramm Fastfood pro
Woche.
Zum Schutz der kindlichen Gesundheit fordert die Stiftung Kindergesundheit
deshalb in Übereinstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und
den kinderärztlichen Organisationen eine strikte Begrenzung der an Kinder
gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel. Andere Länder wie z.B.
Norwegen, Schweden, Chile oder Südkorea haben mit solchen Maßnahmen
bereits Erfolge erzielt: Dort ist der Konsum von Junkfood im Zeitraum von
2002 bis 2016 um 8,9% gesunken, während er in Ländern ohne solche
Beschränkungen im gleichen Zeitraum um 13,9% gestiegen ist.
„Die Gesundheit unserer Kinder darf nicht von den wirtschaftlichen
Interessen der Lebensmittel- und Werbewirtschaft bestimmt werden“,
unterstreicht Professor Berthold Koletzko. „Deshalb ist ein gesetzliches
Werbeverbot für ungesund zusammengesetzte Kinderlebensmittel in allen
Medien, einschließlich den sozialen Medien, überfällig“.