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Patient 1: Tim Klaenfoth geht es nach der Infusion seiner aufbereiteten körpereigenen T-Zellen gut. Foto: Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen  Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen
Patient 1: Tim Klaenfoth geht es nach der Infusion seiner aufbereiteten körpereigenen T-Zellen gut. Foto: Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen

Spezielle regulatorische T-Zellen sollen die entzündete Darmschleimhaut
zum Abheilen bringen – weltweit erster Patient im Erlanger DZI behandelt

Der gesamte Darm ist mit einer Oberfläche von knapp 400 Quadratmetern und
acht Metern Länge unser größtes Immunorgan. Hier befindet sich ein
Gleichgewicht zwischen entzündungsfördernden und -hemmenden Faktoren.
Reagiert die körpereigene Abwehr allerdings über, führt das zu
Entzündungen, die nicht mehr abklingen – so wie bei Colitis ulcerosa. Die
chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED), die hauptsächlich den
Dickdarm betrifft, kommt weltweit immer häufiger vor. Betroffene leiden an
anhaltenden blutigen Durchfällen und krampfartigen Bauchschmerzen, die die
Lebensqualität oft stark beeinträchtigen. Einer von ihnen ist Tim
Klaenfoth. Die Beschwerden des heute 22-Jährigen begannen schon 2015, doch
auch unzählige Behandlungsversuche mit verschiedenen Therapeutika brachten
keine anhaltende Besserung. Tim Klaenfoth setzte deshalb seine ganze
Hoffnung in eine neuartige Therapie, die er jetzt als weltweit erster
Colitis-ulcerosa-Patient im Deutschen Zentrum Immuntherapie (DZI) am
Universitätsklinikum Erlangen im Rahmen einer durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft geförderten Studie verabreicht bekam: Körpereigene
regulatorische T-Helferzellen (Treg) sollen das Gleichgewicht in seinem
Darm wiederherstellen und so die chronische Entzündung abklingen lassen.

Bei Tim Klaenfoth fing es mit Magen-Darm-Beschwerden und Durchfällen an.
Nach einer Darmspiegelung stellte ein Gastroenterologe bei dem damals
16-Jährigen die Diagnose Colitis ulcerosa. Tim Klaenfoth ging es nach und
nach immer schlechter, bei 1,80 Meter Körpergröße wog der Jugendliche bald
nur noch 57 Kilogramm. „Ich war schwach und konnte kaum aufstehen.
Irgendwann bin ich dann in die Notaufnahme gegangen“, erinnert sich Tim
Klaenfoth. Er wurde stationär behandelt und bekam Medikamente zur
Eindämmung der Symptome. „Ich dachte damals, mein Leben wäre vorbei. Im
ersten Jahr konnte ich meine Erkrankung nur schwer akzeptieren“, schildert
der junge Mann seine damalige Situation. Verschiedenste
Behandlungsmethoden brachten nicht den gewünschten Erfolg. Die Symptome
besserten sich nicht oder kamen bald vollständig zurück. „2016 hatte ich
dann genug von den vielen Behandlungen und ich brach die Therapie ab.
Daraufhin war ich sogar ein Jahr lang symptomfrei. Aber danach kamen die
Beschwerden wieder und ich ließ mich an der Charité behandeln“, sagt Tim
Klaenfoth. Die Berliner Ärzte machten den jungen Mann dann auf ein
Verbundprojekt zwischen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem
Uni-Klinikum Erlangen aufmerksam, da er alle bislang zur Verfügung
stehenden Therapieoptionen ausgeschöpft hatte. Für die vielversprechende
experimentelle Therapie nahm Tim Klaenfoth die über 400 Kilometer lange
Anreise in die Hugenottenstadt gern in Kauf.

Balanceakt der T-Zellen

„Im gesunden menschlichen Körper besteht ein Gleichgewicht zwischen
entzündungsfördernden T-Zellen, den sogenannten Effektor-T-Zellen, und
entzündungshemmenden regulatorischen T-Zellen, den Treg“, erklärt Prof.
Dr. Raja Atreya, Leiter des Schwerpunkts CED sowie Oberarzt der
Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie
(Direktor: Prof Dr. Markus F. Neurath) und des DZI am Uni-Klinikum
Erlangen. Treg sind eine spezialisierte Untergruppe von T-Zellen mit stark
entzündungshemmenden Eigenschaften. Sie haben die Funktion, die
Aktivierung des Immunsystems in bestimmten Situationen zu unterdrücken,
und verhindern dadurch eine Entzündungsreaktion. „Es konnte
wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass bei Patienten mit Colitis
ulcerosa das Gleichgewicht zwischen Effektor-T-Zellen und regulatorischen
T-Zellen gestört ist“, so Prof. Atreya. „Die Treg sind dabei nicht in
ausreichender Konzentration vorhanden und die entzündungsfördernden
T-Zellen somit in der Überzahl.“

Körpereigene T-Zellen gewinnen und zurückführen

Der Ansatz der Erlanger Wissenschaftler: Aus dem Blut des Patienten werden
mittels Leukapherese, also der Blutzelltrennung, zuerst körpereigene
regulatorische T-Zellen gewonnen und diese anschließend im Reinraumlabor
vermehrt. Die körpereigenen Treg werden dem Patienten anschließend als
einmalige Infusion wieder zurückgegeben. PD Dr. Bosch-Voskens, Oberärztin
der Hautklinik (Direktorin: Prof. Dr. Carola Berking) des Uni-Klinikums
Erlangen, erklärt: „So wollen wir das natürliche Gleichgewicht der
verschiedenen T-Zellen im Darm wiederherstellen und die entzündlichen
Veränderungen der Darmschleimhaut damit zum Abheilen bringen. Im
Tiermodell hat sich bereits gezeigt, dass der therapeutische Einsatz von
Treg einen heilenden Effekt hat. Wir sind deshalb äußerst zuversichtlich,
dass dieser Ansatz auch bei Herrn Klaenfoth ein positives Ergebnis bringen
wird.“ Im DZI besteht für Patienten wie Tim Klaenfoth die besondere
Möglichkeit, im Rahmen von Studien eine neue Behandlungsoption
wahrzunehmen, die andernorts noch nicht zur Verfügung steht. Die Treg-
Studie im Sonderforschungsbereich Transregio 241 wurde in Kooperation mit
der Charité – Universitätsmedizin Berlin konzipiert und wird von Dr.
Bosch-Voskens und Prof. Atreya unter der Leitung von Prof. Dr. Markus F.
Neurath durchgeführt.

Weltweit erster behandelter Colitis-ulcerosa-Patient

Tim Klaenfoth ist der weltweit erste Patient mit Colitis ulcerosa, der die
Treg-Therapie erhalten hat. Nach nur etwa 30 Minuten hatte der 22-Jährige
die Infusion der aufbereiteten Zellen hinter sich. Im Anschluss wurden Tim
Klaenfoths Temperatur und Blutdruck regelmäßig kontrolliert: zuerst jede
Viertelstunde, danach jede Stunde und später alle drei Stunden – auch
nachts. „Die Infusion an sich habe ich vertragen. Durch die ständige
Überwachung bin ich etwas müde“, berichtet Tim Klaenfoth. Ansonsten gehe
es ihm gut. Hinter dem Präparat steckt jedoch jahrelange Forschung. Seit
2012 arbeiteten die Erlanger Wissenschaftler der Medizin 1 und der
Hautklinik daran, ein Produkt aus körpereigenen regulatorischen T-Zellen
in der benötigten Qualität und Menge herzustellen, das die
Entzündungsreaktion bei Colitis ulcerosa zurückgehen lässt. Das Ziel der
aktuell laufenden Phase-I-Studie ist es, die Verträglichkeit und
Sicherheit der Infusion von körpereigenen regulatorischen T-Zellen für
Patienten mit Colitis ulcerosa nachzuweisen. Die Erlanger Forscher
erwarten sich außerdem eine Aussage darüber, ob die Tregs tatsächlich in
den Darm einwandern und dort die aktive Entzündung der Darmschleimhaut
hemmen. So wollen sie es künftig ermöglichen, mehr Colitis-ulcerosa-
Patienten eine wirksame Therapie anbieten zu können.

„Weltweit wurden bisher ca. 160 Patientenfälle veröffentlicht, die eine
ähnliche Infusion mit regulatorischen T-Zellen erhalten haben. Der Einsatz
bei Colitis ulcerosa wurde bislang noch nicht erprobt. Wir sind daher sehr
stolz, diesen Therapieansatz nun bei uns in Erlagen weltweit zum ersten
Mal durchzuführen“, freut sich Prof. Neurath. Bei Tim Klaenfoths nächstem
Besuch am Uni-Klinikum Erlangen wird sich nach der geplanten
Darmspiegelung dann zeigen, ob die Entzündung zurückgegangen ist und die
Therapie erfolgreich war. „Meine Lebensqualität würde sich dadurch
mindestens verdoppeln. Ich möchte mich endlich wieder frei bewegen
können“, sagt Tim Klaenfoth. Damit stünde seinem erfolgreichen
Studienabschluss in Schweden nichts mehr im Weg und sein Traum von einem
Auslandsaufenthalt in Japan käme ein ganzes Stück näher.