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Die Behandlung von chronischen Autoimmunkrankheiten muss nicht
zwangsläufig mit kostspieligen Medikamenten und unerwünschten
Nebenwirkungen einhergehen. Mit Hilfe von Neuromodulation können
Krankheiten wie rheumatoide Arthritis, chronische Kopfschmerzen, Asthma
oder Parkinson behandelt werden. Um dieses Vorhaben zu realisieren,
entwickeln Forschende am Fraunhofer IZM im europaweiten Projekt
Moore4Medical eine neue Generation von Mikroimplantaten. Das Besondere an
der hochminiaturisierten Elektronik: Mittels Ultraschallwellen können die
Implantate komplett kabellos geladen werden.

Aus dem Bereich der Consumer-Elektronik ist das Moore‘sche Gesetz nicht
mehr wegzudenken. Alle zwei Jahre sollen neue Chip-Generationen doppelt so
leistungsfähig sein wie ihre Vorgänger. Das im Jahr 1965 aufgekommene
Paradigma lässt jedoch bisher einen wichtigen Anwendungsbereich der
Elektronik aus – die Medizintechnik.
Um Krankenhausaufenthalte und Kosten im Gesundheitswesen durch
personalisierte Lösungen zu reduzieren, wird seit einigen Jahrzehnten auf
neue therapeutische Ansätze zurückgegriffen. Ein Beispiel sind sogenannte
Elektrozeutika, also mit elektronischen Lösungen ausgestattete
Mikroimplantate, die mit Strom personalisiert und lokal behandeln, ohne
dabei Nebenwirkungen im Körper auszulösen. Nun haben es sich Forschende am
Fraunhofer IZM zur Aufgabe gemacht, einen neuen Weg einzuschlagen und
setzen dabei anstelle von Strom auf Ultraschall.

Ultraschallwellen sind Druckwellen, die von außen angewandt, in den Körper
eindringen und somit das Mikroimplantat erreichen. Im Vergleich zu
konventionellen batteriegeladenen Geräten sind klare Vorteile zu erkennen:
Mit Hilfe von Ultraschall können die Implantate von außen geladen werden,
was häufige invasive Eingriffe oder kabelgebundene Ladung obsolet macht.
Vor allem die extreme Miniaturisierung der Systeme ist eine Innovation auf
dem Gebiet und ermöglicht es den Mikroimplantaten, gerade einmal 20
Mikrometer kleine Nerven präzise zu stimulieren.

Indem das Team am Fraunhofer IZM Ultraschall zur Ladung der Implantate
nutzbar macht, wird für die effiziente Energieübertragung als eine der
größten technologischen Herausforderungen in der Medizintechnik eine
Lösung gefunden. Denn eingebaute Batterien erschweren bisher die
Miniaturisierung, wobei eine Erschöpfung der Energie unausweichlich ist
und somit ein Auswechseln, sprich ein weiterer operativer Eingriff,
erfolgen muss. Zudem können mit Induktionsspulen ausgestattete
batteriebetriebene Implantate nur in Hautnähe eingesetzt werden.
Im Gegensatz dazu machen es kleinste Ultraschallwandler möglich, die
Mikroimplantate der Zukunft auch weit im Körperinneren zu verwenden.
Trifft hochfrequenter Schall auf sie, geraten sie in Schwingung. Diese
winzigen Bewegungen werden in elektrische Energie für das Mikroimplantat
umgewandelt. Die Herausforderung besteht darin, die schwingenden
Mikrostrukturen optimal auszurichten, um hohe Verluste bei der
Energieübertragung zu vermeiden. Gleichzeitig können nur extrem kleine
Strukturen Gebrauch finden, da die Gesamtgröße des Implantats einige
Millimeter nicht überschreiten darf.

Ultraschallwandler, Elektroden zur Aufzeichnung neuronaler Aktivitäten
sowie passive Komponenten – all diese Bauteile auf wenige Millimeter zu
miniaturisieren, zu integrieren und langlebig aufzubauen, ist eine große,
jedoch nicht unüberwindbare Hürde. Aktuell bewerten die Forschenden,
welche Materialien sie für den Prototypen verwenden können: Hierbei
handelt es sich um eine zentrale Entscheidung, denn diese müssen
biokompatibel und gleichzeitig für die Verkapselung und Energieübertragung
durch Schallwellen geeignet sein. Im weiteren Verlauf werden mehrere
Schallwandler auch in Gruppen aufgebaut, so dass eine Kombination der
elektronischen Komponenten und dadurch ein konzentrierteres Ausstrahlen
der Ultraschallwelle erreicht wird.

Das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM ist
eines von 66 beteiligten Unternehmen in dem EU-geförderten Projekt
Moore4Medical. Das Institut ist für die Koordinierung und Durchführung des
Arbeitspakets „Implantable Devices“ verantwortlich. Zum Projektende im
Juni 2023 soll eine offene Technologie-Plattform in einer Art Toolbox
entstehen, die schnellere, kostengünstigere und leistungsfähigere
Medizintechnik ermöglicht. Zukünftige Forschungen könnten diese im Projekt
entwickelten Grundbausteine für spezialisierte Anwendungen in den
Bereichen kabellose Mikroimplantate, Organ-on-Chip, 3D-Ultraschall,
dauerhaftes Monitoring mittels Sensoren, Medikamenten-Adhärenz durch
intelligente Verabreichung sowie röntgenfreie Chirurgie mit optischer
Erfassung weiterentwickeln und somit die Medizintechnik leistungsstark
voranbringen.