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Der Weg von gesunden Körperzellen zu Krebszellen führt über Mutationen:
Durch Veränderungen im Erbgut entkoppeln sich die Zellen vom geordneten
Zellverband, vermehren sich ungehemmt und verdrängen gesundes Gewebe.
Andere Mutationen wiederum sorgen dafür, dass die Krebszellen der
Immunabwehr entgehen. Mittlerweile sind einige dieser genetischen und
genregulatorischen Besonderheiten bekannt, die Tumorzellen einerseits
besonders gefährlich machen – andererseits aber auch als Angriffspunkte
für neuartige Wirkstoffe dienen können.

Was eine auf die individuelle Tumorgenetik abgestimmte, personalisierte
Medizin gerade für die Behandlung des Lungenkrebses bedeutet, diskutieren
Expertinnen und Experten auf dem 61. Kongress der Deutschen Gesellschaft
für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP), der vom 2. bis 6. Juni
2021 online stattfindet. Das Thema wird auch auf der kongressbegleitenden
Online-Pressekonferenz am Donnerstag, dem 3. Juni 2021, vorgestellt.

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Mit über 50.000 Neuerkrankungen jährlich ist der Lungenkrebs
(Bronchialkarzinom) die häufigste Krebsart in Deutschland. Zugleich ist er
auch einer der gefährlichsten: Rund 35.000 Menschen sterben jedes Jahr an
dem Krebs, der oft schon metastasiert hat, bevor er entdeckt wird. Doch
Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. „So wie die Patientinnen und
Patienten sich unterscheiden, bringt auch jeder Tumor seine individuellen
genetischen Eigenschaften mit sich“, sagt Professor Dr. med. Gernot Rohde,
Leiter des Schwerpunktes Pneumologie/Allergologie am Universitätsklinikum
Frankfurt und diesjähriger DGP-Kongresspräsident. Diese Eigenschaften
seien in den letzten Jahren immer genauer entschlüsselt und so der Weg zu
einer personalisierten Präzisionsmedizin geebnet worden.

Ansatzpunkt Treibermutationen: Signalwege hemmen, Tumorwachstum bremsen
Ein Feld intensiver Forschung sind dabei die so genannten
Treibermutationen. Durch diese entkoppeln die Krebszellen ihr Wachstum von
äußeren Einflussfaktoren. „Zellwachstum und -teilung werden normalerweise
durch Wachstumsfaktoren angestoßen, die sich mit bestimmten Rezeptoren auf
der Zelloberfläche verbinden“, erläutert Rohde. Dadurch wird im
Zellinneren eine mehrstufige Signalkette in Gang gesetzt, an der eine
ganze Reihe von Enzymen, unter anderem so genannte Tyrosinkinasen,
beteiligt sind. Bei rund jedem vierten nicht-kleinzelligen
Bronchialkarzinom (NSCLC) finden sich Mutationen, die diesen Signalweg
auch ohne Wachstumsfaktoren permanent aktiv halten. „Mithilfe von
Wirkstoffen, die die Tyrosinkinasen hemmen, kann das Tumorwachstum bei
Patienten mit dieser Lungenkrebsform gebremst werden“, sagt Rohde. Damit
sei es gelungen, ihre mittlere Überlebenszeit von 9,6 auf 31,5 Monate zu
verlängern. Ein weiterer Wirkstoff, der mit dem Enzym K-RAS ein
nachgeschaltetes Glied in der Signalkette anspricht, befindet sich zurzeit
in der Entwicklung. „Für Patienten mit K-RAS-Mutationen gibt es bislang
keine Therapieoption, weil Tyrosinkinasehemmer hier nicht wirken“, so
Rohde. Der neue K-RAS-Hemmer habe sich in klinischen Phase II Studien
bereits als wirksam erwiesen und könne den Krankheitsverlauf bei immerhin
rund 37 Prozent der untersuchten Patienten verlangsamen.

Immuncheckpoints im Fokus: Immunabwehr wieder ermöglichen
Ein weiteres Ziel der individualisierten Krebstherapie sind so genannte
Immuncheckpoints. „Viele Lungenkrebszellen bilden vermehrt spezielle
Oberflächenmoleküle aus, die den Angriff von Immunzellen hemmen“,
erläutert Rohde. Mithilfe neuartiger Antikörperbasierter Wirkstoffe
gelinge es immer besser, diese Hemmung aufzuheben – die Krebszellen
könnten dann vom Immunsystem wieder als gefährlich erkannt und abgetötet
werden. Gerade in Kombination mit einer Chemotherapie ergebe sich daraus
ein deutlicher Gewinn an Überlebenszeit für die Patienten. „Die Entdeckung
der Immuncheckpoints und der Treibermutationen, sowie der gezielt darauf
abgestimmten Wirkstoffe hat die Lungenkrebstherapie in den vergangenen
Jahren revolutioniert“, resümiert der DGP-Kongresspräsident.

Auf der Kongress-Pressekonferenz des 61. DGP-Kongresses, die am 3. Juni
2021 online stattfindet, spricht Rohde auch über die genetischen
Veränderungen, die der Mukoviszidose zugrunde liegen. Hier sind
mittlerweile über 1.000 unterschiedliche Mutationen identifiziert worden,
von denen einige bereits im Sinne einer personalisierten Präzisionsmedizin
mit speziell entwickelten Wirkstoffen adressiert werden können.