Pin It
Wissenschaftler in Deutschland und Polen erforschen in einem von zwei internationalen Fraunhofer-Leistungszentren neue Technologien für den Einsatz von 3D-Druckverfahren in der Medizintechnik.  © ronaldbonss.com
Wissenschaftler in Deutschland und Polen erforschen in einem von zwei internationalen Fraunhofer-Leistungszentren neue Technologien für den Einsatz von 3D-Druckverfahren in der Medizintechnik. © ronaldbonss.com

Deutsch-polnisches Leistungszentrum der Fraunhofer-Gesellschaft bringt
additive Fertigung in die Medizintechnik – erste Demonstratoren werden
bereits Ende 2021 präsentiert

Es geht um Hightech-Zahnersatz, um Prothesen, die Entzündungsreaktionen im
Körper eigenständig erkennen oder individuell angepasste Sitze für
Rollstühle. Ein deutsch-polnisches Leistungszentrum der Fraunhofer-
Gesellschaft erforscht neue Technologien für den Einsatz von 3D-
Druckverfahren, der sogenannten additiven Fertigung, in der
Medizintechnik. Für die Fraunhofer-Gesellschaft ist es eines von zwei im
März gestarteten internationalen Leistungszentren, die sich explizit der
grenzübergreifenden Zusammenarbeit widmen. Beteiligt am Zentrum »Additive
Technologien für Medizin und Gesundheit« (ATeM) sind auf deutscher Seite
das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden
sowie das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU
in Chemnitz. Sie kooperieren mit der Fakultät Maschinenbau und dem Center
for Advanced Manufacturing Technologies (CAMT) der Technischen Universität
Breslau. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das
Projekt finanziell.
Additive Technologien bergen gerade für Hersteller in der Medizintechnik
interessante Möglichkeiten. Der 3D-Druck erlaubt individuelle und auf den
Patienten zugeschnittene Lösungen sowie die Integration neuer,
verbesserter Eigenschaften und Funktionen in Bauteile. Dies ist meist
nicht nur deutlich kostengünstiger als herkömmliche Verfahren, sondern
erlaubt auch, neuartige Therapien und Behandlungsansätze bereitzustellen.
Das 2021 gegründete Leistungszentrum ATeM möchte die additive Fertigung in
den kommenden Jahren zum etablierten Standardwerkzeug in der
Medizintechnik machen. Ende des Jahres wollen die Projektpartner bereits
erste Demonstratoren vorstellen.

In verschiedenen Einzelprojekten loten die Partner dafür neue
Anwendungsfelder aus. Eines der Projekte beschäftigt sich mit den Chancen
des 3D-Drucks in der Zahnmedizin. »Großes Potential liegt in der Nutzung
innovativer Werkstoffe und der Integration zusätzlicher Funktionalitäten
in den Zahnersatz, die den Tragekomfort für den Patienten erhöhen«,
erklärt dazu Prof. Dr. Frank Brückner, Technologiefeldleiter Generieren
und Drucken am Fraunhofer IWS. Die additive Fertigung könnte es gestatten,
deutlich komplexere Implantate nach einem 3D-Scan des Mundraums sofort zu
drucken und damit Wartezeiten zu verkürzen. Über additive Verfahren ließen
sich beispielsweise auch Metall- und Kunststoffmaterialien für eine
verbesserte Ästhetik miteinander kombinieren.

Intelligente Hüftgelenke: Sensorik und Fasern eröffnen neue Möglichkeiten

Ein weiteres Anwendungsszenario betrifft Funktionserweiterungen, wie etwa
die direkte Integration von Sensoren in medizinische Komponenten.
Empfindliche Sensoren in additiv hergestellten Knie- oder Hüftgelenken
könnten Entzündungsreaktionen nach der Operation feststellen, indem sie
auf höhere Temperaturen oder veränderte Biomarker reagieren. Ebenfalls
gedruckt werden sollen in Zukunft Lab-on-a-Chip-Systeme, mit denen sich
Organfunktionen und Abläufe im menschlichen Körper auf einem Chip
darstellen lassen. Das kann beispielsweise beim Testen von Medikamenten
zum Einsatz kommen.

Wie sich faserverstärkte 3D-Strukturen drucken lassen, erforschen derzeit
Wissenschaftler in zwei Projekten unter der Leitung des Fraunhofer IWU.
»Ein belastungsgerechtes Design eines Produkts, das dazu noch sehr leicht
ist, erreichen wir mit dem Einsatz von Verstärkungsfasern, die wir direkt
in die Kunststoffmatrix einbringen«, erklärt Prof. Dr. Lothar Kroll,
Wissenschaftlicher Direktor Leichtbau- und Textiltechnologien am
Fraunhofer IWU. Damit ließen sich beispielsweise Schädelimplantate aus dem
biokompatiblen thermoplastischen Kunststoff Polyetheretherketon (PEEK)
drucken. Auch an individuell angepassten Sitzen für Rollstühle sowie
hochfesten Orthesen arbeiten die Forschenden momentan.

Patienten profitieren schon bald von den Ergebnissen

Bereits seit 2008 existiert ein Fraunhofer-Project-Center, das vom
Fraunhofer IWS und dem CAMT der TU Breslau betrieben wird. »Wir freuen
uns, dass wir mit dem neuen Leistungszentrum nun die Synergieeffekte
dieser erfolgreichen Zusammenarbeit weiter ausbauen können«, sagt Prof.
Dr. Edward Chlebus, Dekan der Fakultät Maschinenbau der TU Wroclaw. Das in
Deutschland von der Fraunhofer-Gesellschaft bereits langjährig erprobte
Model der Leistungszentren richtet einen starken Fokus auf den
Wissenstransfer und Industriekooperationen. Auch grenzübergreifend setzt
es nun wichtige Impulse für die Stärkung der europäischen Wirtschaft.

»Alle Partner sind Experten auf dem Gebiet der additiven Fertigung«, so
Robin Willner, Wissenschaftler am Fraunhofer IWS und Koordinator der
Geschäftsstelle des deutsch-polnischen Leitungszentrums. Die TU Breslau
sei zudem noch sehr eng mit der dortigen Medizinischen Fakultät verbunden.
»Zusammen haben wir nun einen guten Blick darauf, wo Bedarfe bestehen, wo
bisher noch keine Lösungen gefunden wurden und additive Technologien im
Medizin- und Gesundheitsbereich Mehrwerte schaffen könnten.«

Bereits Ende des dritten Quartals 2021 wollen die Beteiligten erste
Demonstratoren zu den verschiedenen Projekten präsentieren. Das ist zügig
möglich, weil die Partnereinrichtungen wichtige Grundlagen für die
aktuelle Forschung in der Vergangenheit bereits in verschiedenen
Vorstudien realisierten. Über Industriekooperationen oder mögliche
Ausgründungen sollen die Ideen für neue Medizinprodukte und Therapien
bereits in naher Zukunft den Patienten zugutekommen.