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Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz federführend bei der
Entwicklung und klinischen Testung des ersten wirksamen Medikaments - Ein
Forscherteam hat unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef
Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der
Universitätsmedizin Mainz, einen neuartigen medikamentösen Wirkstoff zur
Behandlung der Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) entwickelt: den
Transglutaminase-Hemmer ZED1227. Das Medikament basiert auf einem
erkrankungsspezifischen Wirkmechanismus. Die bisher einzige wirksame
Therapieoption für Betroffene ist eine streng glutenfreie Diät.

Im Rahmen einer klinischen Phase 2a-Studie haben die Mainzer
Wissenschaftler gemeinsam mit internationalen Kollegen gezeigt, dass
ZED1227 eine starke schützende Wirkung auf die Dünndarmschleimhaut hat und
die Entzündung, Erkrankungssymptome sowie die Lebensqualität der
Betroffenen verbessert. Damit ist ZED1227 das erste Zöliakie-Medikament,
für das eine klinische Wirksamkeit belegt werden konnte. Die
Studienergebnisse wurden jetzt in der international renommierten
Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht.

„Zöliakie-Betroffene verspüren durch die dauerhaft notwendige Vorsicht bei
der Ernährung einen erheblichen Leidensdruck. Mit dem Transglutaminase-
Hemmer ZED1227 wird ihnen zukünftig eine medikamentöse
Behandlungsmöglichkeit unterstützend zur glutenfreien Diät zur Verfügung
stehen, die ihnen zusätzlich einen erheblichen Zugewinn an Sicherheit und
Lebensqualität ermöglicht“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan,
der zusammen mit Prof. Markku Mäki (Tampere, Finnland) Erstautor der
Studie ist. Professor Schuppan leitet die Klinik-Ambulanz für Zöliakie und
Dünndarmerkrankungen an der Universitätsmedizin Mainz, einem bundesweiten
und internationalen Referenzzentrum für die Betreuung von Patienten mit
Zöliakie und komplexen Dünndarmerkrankungen, insbesondere auch für
Patienten mit den therapieresistenten und komplizierten Formen der
Erkrankung.

Die Zöliakie ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des
Dünndarms. Weltweit ist nahezu ein Prozent der Bevölkerung davon
betroffen. Die Autoimmunerkrankung wird durch den Verzehr des in
verschiedenen Getreiden wie Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel enthaltenen
Klebereiweißes Gluten verursacht. Bei der Erkrankung können
unterschiedliche Symptome, beispielsweise Durchfall oder Bauchschmerzen,
aber auch vielfältige Symptome außerhalb des Darms, inklusive
verschiedener Autoimmunerkrankungen, auftreten.

Wenn die bereits durch kleinste Mengen glutenhaltiger Nahrungsmittel
ausgelöste Entzündung der Dünndarmschleimhaut länger anhält, bilden sich
die sogenannten Zotten, die Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut, zurück.
Dadurch verkleinert sich die Oberfläche der Darmschleimhaut. In der Folge
können die Betroffenen weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufnehmen.
Unbehandelt kann die Zöliakie zu schwerwiegenden Komplikationen wie
Blutarmut, Knochenschwund, Wachstumsverzögerungen, Unfruchtbarkeit bis hin
zu Dünndarmtumoren führen.

Die Entwicklung des neuartigen Zöliakie-Medikaments ZED1227 wurde im
Rahmen des Spitzenclusters für Individualisierte Immunintervention (Ci3)
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Leuchtturmprojekt
gefördert.

Im Rahmen der aktuell publizierten Wirksamkeitsstudie haben die
teilnehmenden Patienten sich freiwillig einer täglichen Glutenbelastung
und zwei Endoskopien unterzogen. Der Arzneimittelwirkstoff ZED1227 wurde
als Tablette in drei unterschiedlichen Dosierungen verabreicht. Eine
vierte Patientengruppe erhielt ein Plazebo. Das Medikament verhinderte in
jeder Dosierung die glutenbedingte Entzündung und den Zottenschwund. Dabei
erwies sich die höchste Dosierung als am wirksamsten. Darüber hinaus
verbesserten sich mit jeder Dosierung des Medikaments die Zöliakie-
typischen Symptome sowie die empfundene Lebensqualität.

Beteiligt an der Patientenrekrutierung für die Phase-2a-Studie waren 20
klinische Zentren in sieben europäischen Ländern. Neben Mainz haben
Tampere (Finnland) und Oslo (Norwegen) die meisten der insgesamt 160
Patienten im Rahmen der Studie behandelt.
„Gemeinsam mit meinen Studien-Mitarbeiterinnen, Dr. Tina Friesing-Sosnik
und Sibylle Neufang, bin ich den Patienten unserer Mainzer Zöliakie-
Sprechstunde, die sich für diese Studie so bereitwillig und engagiert zur
Verfügung gestellt haben, sehr dankbar“, betont Professor Schuppan.

Der neue therapeutische Ansatz mit dem Medikament ZED1227 basiert auf der
Forschung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan zu den
krankheitsspezifischen Mechanismen bei der Zöliakie. Eine wesentliche
Rolle spielt dabei die Entdeckung des körpereigenen Enzyms
Transglutaminase (TG2), das im gesamten Darm vorkommt. Zöliakiepatienten
entwickeln gegen die Transglutaminase sogenannte TG2-Antikörper. Im Blut
von Zöliakiepatienten mit aktiver Erkrankung sind diese stark erhöht.

Gluten wird nicht vollständig verdaut. Unverdaute Glutenbruchstücke werden
von der Dünndarmschleimhaut aufgenommen. Die so aufgenommenen Bruchstücke
des Glutens reagieren mit TG2. Diese Reaktion verändert („deamidiert“) die
Glutenbruchstücke, so dass ihre entzündungsfördernde Wirkung in der
Darmschleimhaut stark erhöht wird. Das betrifft aber nur
Zöliakiepatienten, die eine besondere genetische Veranlagung mitbringen
müssen. Der neue medikamentöse Wirkstoff, das sogenannte „small molecule“
ZED1227, wurde entwickelt, um die überschießende Aktivität des Enzyms TG2
in der Dünndarmschleimhaut zu hemmen und so die durch Gluten
herbeigeführte Entzündung zu unterbinden.

Das Medikament wurde von den Mainzer Forschern in Zusammenarbeit mit den
Unternehmen Zedira GmbH (Darmstadt) und Dr. Falk Pharma GmbH (Freiburg)
entwickelt.
Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse der Phase-2a-Studie ist ab
Herbst 2021 eine größere Phase-2b-Folgestudie mit der besonders belasteten
Patientengruppe geplant, die nicht auf die glutenfreie Diät anspricht.

Originalpublikation:
Schuppan D, Mäki M, Lundin KEA, Isola J, Friesing-Sosnik T, Taavela J,
Popp A, Koskenpato J, Langhorst J, Hovde Ø, Lähdeaho ML, Fusco S, Schumann
M, Török HP, Kupcinskas J, Zopf Y, Lohse AW, Scheinin M, Kull K,
Biedermann L, Byrnes V, Stallmach A, Jahnsen J, Zeitz J, Mohrbacher R,
Greinwald R; CEC-3 Trial Group. A Randomized Trial of a Transglutaminase 2
Inhibitor for Celiac Disease. N Engl J Med 2021;385:35-45.
DOI: 10.1056/NEJMoa2032441