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In China ist die Kurzsichtigkeit bei Kindern während des strengen
Lockdowns leicht angestiegen, wie eine großangelegte Untersuchung ergab.
Ursachen waren Tageslichtmangel und verstärktes Sehen im Nahbereich. Eine
neue Studie zeigt nun, dass dieser Trend in der Volksrepublik nach dem
Lockdown wieder rückläufig ist – der Aufenthalt im Freien bei Tageslicht
bremst die Entwicklung kindlicher Kurzsichtigkeit ab. Darauf macht die
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) aus Anlass des
Weltkindertages am 20. September 2021 aufmerksam.

Wie sich die Situation in Deutschland darstellt und was Eltern gegen die
Kurzsichtigkeit ihrer Kinder unternehmen können, diskutieren DOG-Experten
auf der Vorab-Pressekonferenz zur DOG 2021 online. Der Kongress findet vom
30. September bis 3. Oktober 2021 virtuell statt.

Kurzsichtigkeit entwickelt sich meist im Alter zwischen acht und zwölf
Jahren und hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten weltweit
zugenommen. In asiatischen Ländern wie Singapur und China liegt die Rate
der Myopie, wie der Fachausdruck für Kurzsichtigkeit lautet, unter jungen
Erwachsenen bei über 80 Prozent, in Europa knapp unter 50 Prozent. Vor
allem zwei Faktoren fördern Kurzsichtigkeit: Tageslichtmangel und langes
Nahsehen. „In Asien verbringen Kinder sehr viel Zeit in geschlossenen
Räumen, um zu lernen. Dies ist der Hauptgrund für die stark verbreitete
Myopie in Fernost“, sagt Professor Dr. med. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt
der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie und Schielbehandlung
an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg.

Während des strengen Lockdowns in China mit Ausgangsbeschränkungen und
lang andauernden Schulschließungen haben sich Tageslichtmangel und
Nahsehen weiter intensiviert. In der Folge stieg die Kurzsichtigkeit
gerade bei jüngeren Kindern an, wie eine chinesische Studie mit hoher
Fallzahl belegt (1). „Der Unterschied bei den Brillenwerten zu den
Vorjahren war zwar gering, aber statistisch signifikant“, erläutert
Lagrèze.

Eine weitere Studie aus China zeigt unterdessen, dass die Myopierate nach
dem Lockdown wieder rückläufig ist (2). „Dies ist ein Beweis, dass
Lichtmenge und Sehgewohnheiten einen Einfluss auf die Myopisierung haben“,
konstatiert der Freiburger DOG-Experte. Hinweise, dass man den
Lockdowneffekt auf Deutschland übertragen kann, gibt es jedoch nicht. „Uns
liegen leider keine vergleichbaren Daten vor“, erklärt Lagrèze. „Zudem war
der Lockdown in China deutlich strenger als bei uns.“

Dass die intensive Nutzung von PC, Tablets oder Smartphones
Kurzsichtigkeit fördert, erscheint unwahrscheinlich: Laut KIGGS-Studie hat
die Myopierate unter deutschen Kindern in den zurückliegenden elf Jahren
nicht zugenommen (3); auch der relative Anteil an Brillen, die wegen
Kurzsichtigkeit verordnet werden, blieb in den vergangenen 16 Jahren
unverändert (4). „Es gibt bislang keine kontrollierte Studie, die einen
Einfluss von Smartphones, PCs oder Tablets auf die Kurzsichtigkeit
belegt“, sagt Lagrèze. Erwiesen ist jedoch, dass Tageslicht vor
Kurzsichtigkeit schützt. „Kinder sollten deshalb täglich zwei Stunden im
Freien verbringen“, fügt der DOG-Experte hinzu. Studien belegten zudem
einen negativen Einfluss der Nutzung digitaler Geräte auf die
psychosoziale Entwicklung und Konzentrationsfähigkeit der Kinder. „Eltern
sind in jedem Fall gut beraten, die digitale Bildschirmzeit ihrer Kinder
zu begrenzen“, so Lagrèze.

Setzt die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit ein, sollte das Fortschreiten
abgebremst werden – mit hochverdünnten Atropinaugentropfen, speziellen
Brillen oder Kontaktlinsen. „Starke Kurzsichtigkeit ist neben dem Faktor
Lebensalter der Hauptrisikofaktor für teils gravierende Augenerkrankungen
wie Makuladegeneration, Netzhautablösung oder Glaukom“, betont DOG-
Präsident Professor Dr. med. Hagen Thieme. „Wir erwarten daher mit
Spannung die Ergebnisse einer Studie zur Therapie der Kurzsichtigkeit mit
Atropintropfen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert.“

Auf der Online-Vorab-Pressekonferenz am 23. September 2021 wird Professor
Wolf Lagrèze auch über den aktuellen Stand zur Therapie kindlicher
Kurzsichtigkeit mit Atropinaugentropfen berichten.

Quellen:
(1)     Wang J, Li Y, Musch DC, et al. Progression of Myopia in School-
Aged Children After COVID-19 Home Confinement. JAMA Ophthalmol.
2021;139(3):293–300. doi:10.1001/jamaophthalmol.2020.6239
(2)     Chang P et al. Ophthalmology 2021; epub
(3)     Schuster, Alexander et al. Prävalenz von Kurzsichtigkeit und deren
Veränderung bei Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse der deutschen KiGGS-
Studie. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 855-60; DOI:
10.3238/arztebl.2020.0855
(4)     Wesemann, W. Häufigkeit der Brillenträger in Deutschland.
Ophthalmologe 115, 421–423 (2018).
<https://doi.org/10.1007/s00347-018-0698-9>