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Zur Abwendung einer humanitären Pflegekatastrophe muss die nächste
Bundesregierung neue Wege gehen und Innovationen anschieben

„Um ehrlich zu sein, die Hinweise zur Pflege im Sondierungspapier der
angehenden Ampelkoalition im Bund haben mich doch sehr entsetzt“, sagte
Prof. Dr. Frank Weidner, Direktor des Deutschen Instituts für angewandte
Pflegeforschung e.V. (DIP-Institut) heute am Rande einer Veranstaltung.
„Das ist bestenfalls alter Wein in alten Schläuchen und wird keinesfalls
ausreichen, die Probleme in der Pflege zu lösen“. SPD, Grüne und FDP
wollen in der Pflege auf bessere Arbeitsbedingungen, angemessene
Vergütung, mehr Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland,
Entbürokratisierung, Digitalisierung und Personalbemessung setzen. „Das
ist ja alles nicht falsch, aber das hören wir nun schon seit Jahren und
kommen doch nicht von der Stelle. Es fehlt an einem echten Neustart für
die Pflege“, monierte Weidner und schlägt den Masterplan Pflege für
Deutschland vor, der überwiegend von Fachleuten erarbeitet werden soll.

Weidner forscht mit seinen Teams seit mehr als 20 Jahren auf vielen
Gebieten der Pflege, entwickelt und evaluiert neue Versorgungs- und
Qualifikationsansätze und hat bereits zahlreiche innovative Projekte für
Bundes- und Landesministerien durchgeführt. Bundesweit bekannt sind u.a.
repräsentative Studien des DIP wie die Pflege-Thermometer-Reihe,
Landesberichterstattungen etwa in NRW, Niedersachsen und ein
Pflegemonitoring in Bayern. Ferner wird das Land Rheinland-Pfalz vom DIP
seit Jahren in Sachen Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative und in
Pflegebildungsprojekten begleitet. Eine Reihe von Ansätzen zur Prävention
und Kompetenzerweiterung der beruflichen Pflege stammen aus dem DIP.

Um eine humanitäre Pflegekatastrophe abzuwenden, wie der Bayerische Ge-
sundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) es erst kürzlich genannt hat,
braucht es einen Neustart in der Pflege. Weidner schlägt einen
vierteiligen Masterplan Pflege für Deutschland vor:

1.      Arbeitsgruppe Masterplan Pflege einsetzen: Gleich zu Beginn der
Arbeit der neuen Bundesregierung soll eine „Arbeitsgruppe Masterplan
Pflege“ mit Fachleuten aus dem Pflege- und Gesundheitswesen besetzt
werden. Die Arbeitsgruppe soll in erster Linie erkenntnisgeleitet und
nicht interessensorientiert zukunftsfähige Wege für eine Neuaufstellung
der Pflege im bundesdeutschen Gesundheitswesen ausloten, erarbeiten und
beschreiben. Ein Ziel muss dabei sein, die gesundheitliche
Versorgungssicherheit der Bevölkerung durch eine systematische
Neuaufstellung und Aufwertung der beruflichen Pflege zu erreichen. Neben
der Schaffung eines Innovationsklimas für die Pflege muss es um eine
Weiterentwicklung der Pflege zur eigenständigen Gesundheitsprofession
sowie um Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Vergütung in der Pflege
gehen.

2.      Investitionen in Innovationen tätigen: Wie bei allen anderen
gesellschaftlich relevanten Herausforderungen fallen die Lösungen nicht
vom Himmel, sondern werden durch Investitionen in Forschung, Wissenschaft
und Innovation herbeigeführt. Das soll ab sofort auch für die berufliche
Pflege in Deutschland gelten. Innerhalb der kommenden Legislatur muss
daher eine leistungsfähige Pflegeforschungsinfrastruktur in Deutschland
aufgebaut werden. Die vorhandenen Möglichkeiten zum primärqualifizierenden
Pflegestudium müssen zugleich finanziell hinreichend ausgestattet und
damit attraktiver für Studierende werden. Innovation in der Pflege und
ihre Akademisierung gehören zusammen.

3.      Pflege zur eigenständigen Gesundheitsprofession weiterentwickeln:
In den vergangenen Jahren wurden bereits Weichen gestellt, um die
berufliche Pflege in Deutschland, so wie es international bereits üblich
ist, zu einer eigenständigen Gesundheitsprofession auf Augenhöhe neben
Medizin und anderen Gesundheitsakteuren weiterzuentwickeln. Dazu zählen
pflegerische Vorbehaltsaufgaben, eigenständige Heilkundeausübung, z.B. bei
chronischen Erkrankungen, sowie erweiterte Kompetenzen bei der Verordnung
von Hilfsmitteln und Medikamenten. Mehr Verantwortung heißt dann auch
Karrieremöglichkeiten in der Pflege und zunehmende Attraktivität.

4.      Arbeitsbedingungen und Vergütungen verbessern: Selbstverständlich
müssen die Anstrengungen um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und
Weiterentwicklung der Vergütungen in der beruflichen Pflege durch eine
bundesweite Fachkräfte- und Qualifizierungsoffensive fortgesetzt und
intensiviert werden. Im Masterplan Pflege für Deutschland sollen dazu neue
Anregungen und Ansätze entwickelt und angeschoben werden.
„Die Investitionen für die Umsetzung eines Neustarts in der Pflege für
Deutschland werden in die Milliarden gehen und müssen bereits jetzt in die
Koalitionsverhandlungen eingepreist werden“, hob Weidner hervor. Das soll
sich aber durch eine langfristig gesicherte Versorgungssituation und ein
zunehmend attraktives Berufsfeld Pflege lohnen und am Ende für die
Patienten und Pflegebedürftigen auszahlen.