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Das Herz-Team als zentrale Instanz für patientenindividuelle Therapien von
Herz- und Kreislauf-Erkrankungen

Die Therapieoptionen für herzkranke Patienten haben sich in den
vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Dies gilt sowohl für den
Einsatz medikamentöser Substanzen als auch für die invasiven
Behandlungsoptionen. Daher kann die Entscheidung über die Wahl des
Therapieverfahrens für jeden einzelnen Patienten nicht mehr
monodisziplinär getroffen werden. Dieser wichtige Aspekt wird auch in den
aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien der europäischen und
amerikanischen Fachge-sellschaften adressiert und in entsprechenden
Empfehlungen ausgewiesen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die klinische
Realität in Deutschland in Bezug auf den stringenten Einsatz
„multidisziplinärer Herz-Teams“ zur patientenindividuellen Beratung,
Entscheidungsfindung und Therapieempfehlung im Sinne des „shared decision
making“ noch wesentliche Verbesserungspotentiale aufweist. Für das seit
Jahrzehnten in der Onkologie fest verankerte „multidisziplinäre Tumorboard
(MDT)“ konnte nachgewiesen werden, dass die prätherapeutische
Konsentierung im MDT nachweislich Konsequenzen auf die Ergebnisqualität
und den Patienten-Outcome hat. Es ist unbestritten, dass für einige Herz-
Kreislauf-Erkrankungen bereits multidisziplinäre Herz-Teams etabliert
sind. Dieses erfolgreiche Konzept gilt es konsequent und verbindlich für
alle invasiven Therapien von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu etablieren.

Was ist ein Herz-Team?
Bis heute werden mit dem Begriff „Herz-Team“ unterschiedliche
Teamstrukturen, verschiedene Prozesse und diverse infrastrukturell
bedingte Organisationsmodelle subsummiert. Die Mindestanforderung an ein
Herz-Team ist die nachvollziehbar strukturierte Abstimmung zwischen
Fachärztinnen und -ärzten für Herzchirurgie und Kardiologie oder
pädiatrische Kardiologie, ggf. unter Einbindung von Fachärzten für
Anästhesie mit kardioanästhesiologischer Kompetenz. Diese Zusammensetzung
zeigt bereits den Grundgedanken der fachgebietsübergreifenden
Zusammenarbeit, die die historisch bedingte, nicht mehr zeitgemäße und
arbiträre Trennung „schneidender“ und „sprechender“ bzw.
„diagnostizierender“ Fachgebiete überwindet. Hierdurch werden eine
patientenzentrierte sowie erkrankungs-spezifische Diagnostik und Therapie
ermöglicht.

In Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Herzerkrankung, der notwendigen
Diagnostik und den Co-Morbiditäten der Patientinnen und Patienten inkl.
Risikobewertung ist die Erweiterung von Herzteams zum Beispiel um
Vertreter der Fachgebiete Radiologie, Gefäßchirurgie, Neonatologie,
Neurologie etc. notwendig.

In diesem Kontext konnte bereits für bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen
gezeigt werden, dass durch strukturierte Teams, im Gegensatz zu
Einzelentscheidungen, fundiertere Entscheidungen getroffen werden.
Beispielsweise empfehlen die wissenschaftlichen Leitlinien zum Management
der infektiösen Endokarditis den kooperativen Ansatz eines
multidisziplinären „Endokarditis Teams“ mit besonderer Expertise. Gleiches
gilt auch für Patientinnen und Patienten mit einer Lungenembolie, die
durch ein „pulmonary embolism response team“ (PERT) oder Patienten nach
erfolgreicher Reanimation, die durch ein erfahrenes interprofessionelles
„Cardiac Arrest Receiving Team“ (CART) adäquat versorgt werden sollen.

Was ist die Aufgabe des Herz-Teams?
Das Herz-Team hat die Aufgabe, jeden Patienten fokussiert auf seine
Herzerkrankung, seine Co-Morbiditäten und auch die persönliche
Lebenssituation differenziert zu erfassen und einen individualisierten
Therapievorschlag im Herz-Team und danach mit dem Patienten zu
konsentieren. Dieser umfängliche Prozess muss ergebnisoffen geführt
werden, auch wenn im Ergebnis ggf. nicht leitlinienkonforme Empfehlungen
erfolgen. Hierbei ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Patient
eine im Herz-Team konsentierte Empfehlung erhält und nicht bereits im
Vorfeld mit Therapiepräferenzen konfrontiert wird. Für die Abwägung,
welche Therapieverfahren für den jeweiligen Patienten die beste Option
darstellt, sind Fachärztinnen und -ärzte mit entsprechender Expertise aus
dem medikamentös-konservativen, dem interventionellen und dem operativen
Bereich der Herzmedizin und ggf. auch anderer Fachgebiete (siehe oben)
notwendig.

Wie funktioniert das Herz-Team am besten?
In einem gemeinsamen Herzzentrum mit Fachabteilungen für Herzchirurgie und
Kardiologie / pädiatrische Kardiologie oder auch in einem gemeinsamen
Herz- und Gefäßzentrum, in dem Fachärztinnen und -ärzte für Herzchirurgie,
Gefäßchirurgie, Kardiologie, pädiatrische Kardiologie und Angiologie
zusammenarbeiten, lassen sich bestmöglich patientenindividuelle
Entscheidungen treffen. Diese müssen grundsätzlich frei von ökonomischen
Zwängen und abteilungsbezogenen Partikular-interessen getroffen werden.
Hierzu erscheint u.a. eine zentrums-bezogene Budgetierung sinnvoll, wenn
nicht sogar notwendig.
Periodik, Struktur und Dokumentation von Herz-Team-Sitzungen sind obligat
festzulegen. Ferner sind nicht nur „allgemeine“ Herz-Team-Sitzungen
notwendig, sondern es müssen auch spezielle erkrankungsbezogene Sitzungen
durch besonders qualifizierte Herz-Teams etabliert sein (z.B. angeborene
Herzfehler, Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmus-
störungen etc.). Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit fokussiert auf
bestmögliche, patientenindividuelle Therapieempfehlungen und ermöglicht
eine exzellente Versorgungs- und Ergebnisqualität. Dies gilt insbesondere
auch für die wissenschaftliche Begleitung von Innovationen und die
klinische Einführung neuer Therapieverfahren. Ökonomische Implikationen
müssen in diesen ärztlichen Entscheidungsprozessen in den Hintergrund
treten. Es muss mit der Krankenhausverwaltung ein Weg gefunden werden,
neue Therapieverfahren zügig und unkompliziert im Herz-Team einführen zu
können.

Neben zentrumsinternen Herz-Teams existieren heutzutage auch institutions-
und fachgebietsübergreifende Kooperationen im Sinne von Herz-Team-
Abstimmungen. Diese haben zumeist keine feste Periodik, keine verbindlich
festgelegte Struktur und eine weniger differenzierte Dokumentation. Ein
einmalig wöchentliches Vorstellen von ausgewählten Patientinnen und
Patienten aus der kardiologischen Diagnostik verfehlt den Sinn des Herz-
Teams.

Gibt es Parallelen zum „multidisziplinären Tumorboard (MDT)?
Wie bereits dargestellt, ist das multidisziplinäre Tumorboard in der
Onkologie fest verankert. Das MDT ermöglicht durch seine Strukturierung
und die verbindlichen Vorgaben evidenzbasierte Bewertungen und
Entscheidungsfindungen im Team und beeinflusst dadurch entscheidend die
Patientensicherheit und die Behandlungsqualität. Für die Abstimmung im MDT
bedarf es einer gewissenhaften Aufbereitung der notwendigen Informationen,
um eine differenzierte und umfassende Darstellung zu ermöglichen. Die
Umsetzung des Konsensergebnisses ist nicht begrenzt auf die Institution,
in der das MDT etabliert ist. Ergänzend sollen MDT auch Empfehlungen und
Vorgaben für spezielle Tumorarten geben und hierbei Prävention,
Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge berücksichtigen. Des
Weiteren obliegt es dem MDT, auch Forschung und Wissenschaft zu
unterstützen. Schließlich ist das MDT ein wichtiges Element der
studentischen Lehre wie auch der ärztlichen Weiterbildung. Das Ergebnis
der Beratung im MDT ist für die Beteiligten bindend und muss den
Patientinnen und Patienten durch die behandlungsführende Ärztin
verständlich vermittelt werden – in der Regel sind die Patienten an einer
Adhärenz an diese Therapieempfehlung interessiert. Auch für Herz-Teams
sind die für das MDT dargestellten Aspekte sinnvoll und notwendig.
Bei Patientinnen mit Tumorerkrankungen stellt sich regelmäßig die Frage
nach dem mittel- und langfristigen Überleben bzw. der Prognose der
Tumorerkrankung. Dieser Fokus ist bei Herzpatienten zumeist weniger
ausgeprägt, da im Zusammenhang mit invasiven Therapiemaßnahmen (Operation,
Intervention) häufig die Hoffnung verbunden ist, durch Beseitigung der
Symptomatik die Herzerkrankung zu „heilen“. Viele Herz- und Gefäß-
Erkrankungen haben unbehandelt innerhalb von fünf Jahren eine mindestens
so hohe Sterblichkeitsgefahr wie manche Tumorerkrankungen, das Interesse
an einer langfristig wirksamen Therapie ist bei Herzpatienten jedoch
deutlich geringer. Es muss daher auch Aufgabe des Herz-Teams sein,
wissenschaftliche Daten zu langfristigen Therapiefolgen im Blick zu haben.
Ein besonderes Beispiel für ein aktives Herz-Team findet sich in der
Kinderherzmedizin, in der diese Team-Arbeit seit Jahrzehnten eine gelebte
Selbstverständlichkeit ist. Im Rahmen von Therapieentscheidungen bei
Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen mit angeborenen
Herzfehlern wird bei der interdisziplinären Zusammenarbeit von
Kinderherzchirurgen und Kinderkardiologen stets der gemeinsame Blick auf
die kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven gerichtet. In gleicher
Art und Weise sollte dies auch für Patientinnen und Patienten mit
erworbenen Herzerkrankungen erfolgen.

Kann das Herz-Team wirtschaftlich arbeiten?
Die gemeinsame Budgetierung in einem Herzzentrum entlastet die
Verantwortlichen nicht von der Notwendigkeit, Entscheidungen unter
Einbeziehung wirtschaftlicher Aspekte zu treffen, dennoch müssen prioritär
patientenorientierte Entscheidungen im Vordergrund stehen. In Zentren mit
abteilungs- oder bereichsbezogenen Budgets lässt sich nicht ausschließen,
dass Therapieentscheidungen für Patientinnen und Patienten von
Partikularinteressen beeinflusst werden könnten. Die Vorteile für die
Kostenträger ergeben sich daraus, dass eine leitliniengerechte, nach
Qualitätskriterien evaluierte Therapie für einen Patienten zu einem
nachhaltig besseren Ergebnis führt. Durch das im Herz-Team gegebene
„Mehrmeinungsverfahren“ ist davon auszugehen, dass eine Über- oder
Unterversorgung wenig wahrscheinlich ist. Beispielsweise ist in Österreich
das Gesundheitssystem als Teil der Daseinsvorsorge der Bundesregierung
anders gestaltet und nicht wie in Deutschland ein überwiegend ökonomisch
orientierter Wirtschaftszweig.
Insgesamt zeigt sich, dass strukturierte Herz-Teams in vielerlei Hinsicht
erhebliche Vorteile, insbesondere für die uns anvertrauten Patientinnen
und Patienten, bieten. Im Gegensatz zur Onkologie bedarf es in der
Herzmedizin weiterer Anstrengungen zur verbindlichen Etablierung von Herz-
Teams, um die zuvor skizzierten Aspekte in der klinischen
Patientenversorgung fest zu verankern und die evidenzbasierte
patientenindividuelle Behandlung zu verbessern.

Autoren:
Prof. Dr. Andreas Böning, DGTHG Präsident
Dr. Andreas Beckmann, DGTHG Geschäftsführer